Predigt im Pfarrbrief Ostern 2000

St. Severin Garching

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Prediger

Pfarrer Bodo Windolf  (im Pfarrbrief Ostern 2000)
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Thema

„Heiliges Jahr 2000“
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Predigt-Text

In der Weihnacht 1999 hat Johannes Paul II. das „Große Jubiläum des Jahres 2000“ mit dem Durchschreiten der „Heiligen Pforte“ der Petersbasilika eröffnet. Dieser seit 1400 übliche Ritus will zeichenhaft das neue Leben mit Christus, die „Tür“ zum Vater (vgl. Joh 10,7), und damit den Übergang aus dem Bereich der Gottferne in den Bereich der Gottnähe zum Ausdruck bringen. Doch welchen Sinn hat überhaupt die Ausrufung des „Heiligen Jahres 2000“?, so fragt mancher Zeitgenosse. Es sei der Versuch gewagt, im Anschluß an das 1994 erfolgte Apostolische Schreiben „Tertio Millennio Adveniente“ (die Nummerangaben beziehen sich im folgenden darauf) einen Sinn dieses Ereignisses zu erschließen, der vielleicht sogar für Nicht-Christen von Bedeutung sein könnte.

Jubiläen als Er-Innern

Zunächst einmal ist das Feiern von Jubiläen etwas Allgemein-Menschliches (vgl. Nr. 17). Ihr Zweck ist das Er-Innern, d.h.: man möchte sich einer Person oder eines Ereignisses aus dem persönlichen oder öffentlichen Leben neu inne, neu bewußt werden in seiner Bedeutung für die Gegenwart; man möchte es in das Innere des eigenen Gedächtnisses und Herzens aufnehmen, um daraus Gegenwart zu bedenken und zu gestalten. Wie sollten nun 2000 Jahre Christentum nicht Anlaß genug sein, in diesem Sinn an DEN zu er-innern, der nicht nur die „Zeitenwende“ markiert, sondern schon so oft zu einer „Lebenswende“ geführt hat, wo Menschen Ihn selbst und seine Botschaft als Sinn und Ziel ihres Lebens in ihr Innerstes aufnahmen? Ein gewöhnliches Jahr auf eine ungewöhnliche Weise zu begehen, wie der Papst einmal formulierte, und zwar dankbar er-innernd, ist mithin das Angebot dieses Jubiläums.

Erfüllte Zeit

Wohin zielt unsere individuelle Lebenszeit und die Geschichtszeit der Menschheit insgesamt? Hat beides überhaupt ein Ziel? Werden die Freuden, die Leiden, die Kämpfe, die Spuren unseres Daseins einst einfach „vom Winde verweht“ sein? Zielt alles auf Leere, auf das Nichts? Bewegen wir uns ständig im Kreis einer ewigen Wiederkehr, wie die Griechen der Antike und die fernöstlichen Religionen es annehmen? Müssen wir daher, wie dieselben sagen, alles Zeitliche als letztlich wertlos abstreifen, um auf diese Weise dem nichtigen Dasein dieser Weltzeit entfliehen zu können? - Oder dürfen wir ein Ziel für jeden einzelnen von uns und für das Universum insgesamt erhoffen?

Der Grund für die Feier einer runden Jahreszahl liegt auch darin, dass wir als Christen diese letzte Frage mit Ja beantworten und damit ein neues Verständnis der Zeit einhergeht. Denn indem ich nicht mehr alles Zeitlich-Endliche hinter mir lassen muss, um zum Ewigen zu gelangen, sondern im Gegenteil „die Ewigkeit (selbst) in die Zeit eingetreten ist“,weil „Gott sich mit der Inkarnation in der Geschichte des Menschen niedergelassen hat“ (Nr. 9), hat die Zeit eine ganz neue Qualität und Würde bekommen. Denn was ich in der Ewigkeit sein werde, das muss ich hier und jetzt leben. Das in der Zeit Gelebte bekommt damit ein ewigkeitshaltiges Gewicht. Da aber nur Gott meinem Tun in der Zeit einen Ewigkeitswert zu geben vermag, wird meine Zeit nur in dem Maße „erfüllte Zeit“, wie ich sie aus der Hinwendung zu Gott und seinem Sohn Jesus Christus gestalte. Ansonsten droht sie „leere“, von Gott und Menschen als wertlos vergessene Zeit zu werden.

Das Jobeljahr: a) Schuldenerlaß

Das „Heilige Jahr“ hat eine biblische Wurzel, nämlich das sog. alttestamentliche „Jobeljahr“. Begangen wurde es als eine Intensivform der Bräuche des „Sabbatjahres“, nach denen in jedem siebten Jahr keine Aussaat erfolgen und so auch einmal Erde ruhen sollte. Vor allem aber war der Erlaß der Schulden nach genauen Vorschriften und die Freilassung der Sklaven vorgesehen (vgl. Ex 23,10-11; Lev 25,1-28; Dtn 5,1-6). Das Jobeljahr sollte nun nach sieben mal sieben Jahren stattfinden: „Erklärt dieses fünfzigste Jahr für heilig und ruft Freiheit für alle Bewohner des Landes aus! Es gelte euch als Jubeljahr. Jeder von euch soll zu seinem Grundbesitz zurückkehren, jeder soll zu seiner Sippe heimkehren“ (Lev 25,10). Sein Sinn war also, „die Gleichheit zwischen allen Söhnen und Töchtern Israels wiederherzustellen“ (Nr. 12). Diese Idee aufgreifend hat Johannes Paul II. mit seinem Schreiben den Anstoß zu einem Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Erde gegeben, um ihnen so im Verbund mit anderen Maßnahmen wirtschaftlich auf die Beine zu helfen. Diese Initiative, für die er in Reden vor der UNO und bei vielen Auslandsreisen warb, hat weltweit Anhänger gefunden und man darf gespannt sein, ob die Gespräche mit und in nationalen Regierungen sowie Finanzorganisationen wie Weltbank und Internationaler Währungsfond zu einem entsprechenden Ergebnis führen. Natürlich kann es auch im privaten Bereich Situationen geben, in denen jemand gegenüber einem Menschen, der finanziell in seiner Schuld steht, durch einen (Teil-)Nachlass der Schulden einen Akt der Solidarität und mitmenschlicher Hilfe setzt. Hier ist jeder in seinem Gewissen gefordert.

b) Schulderlaß

So drückend materielle Schulden sein können, noch drückender kann persönliche Schuld belasten, gerade auch dann, wenn sie verdrängt wurde und unbewußt körperliche und seelische Schäden bewirkt. So heißt es in Nr. 32: „Die Freude jedes Jubeljahres ist in besonderer Weise eine Freude über den Nachlaß von Schuld, die Freude der Umkehr.“ Wie sehr Umkehr als Abkehr von einem verkehrten oder auch nur oberflächlichen Leben und als entschiedene Hinkehr zum Gott Jesu Christi tatsächlich eine vorher nicht gekannte Freude schenkt, wird nur der erfahren, der einen solchen Schritt vollzieht. Dabei hat Umkehr immer auch etwas mit Heilung von oft tiefen und besonders seelisch schmerzenden Wunden zu tun. Wenn man daher bedenkt, dass das Wort „heilig“ von der Wortwurzel her eng mit dem Wort „heil“ zusammenhängt, dann wird das „Heilige Jahr 2000“ nur in dem Maße ein auch für uns persönlich heiliges Jahr, wie es uns Heil und Heilung schenkt. Doch Heil und Heilung in bezug auf was?

Ohne Zweifel gehört zu unseren tiefsten Sehnsüchten die Sehnsucht nach heilen Beziehungen oder nach Heilung von Beziehungen, wenn sie gestört sind, also die Sehnsucht nach Frieden: nach Frieden des eigenen Herzens bzw. Frieden mit sich selbst, nach Frieden in der Ehe und der Familie sowie mit anderen Menschen, mit denen wir zu tun haben, nach Frieden zwischen den Völkern, nicht zuletzt auch nach Frieden mit Gott. Genau das aber, nämlich Frieden zu stiften in diesem umfassenden Sinn, ist die innerste Mitte von Leben und Werk Jesu Christi. „Er ist unser Friede ... um (uns) in seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte (uns) durch das Kreuz mit Gott ... Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet“ (Eph 2,14-16).

Wie aber gelangt man zu diesem Frieden?

Ein erster Schritt könnte sein zu vergeben, wo dies noch not-wendig ist. Denn unvergebenes Unrecht, das einem z.B. von seiten der Eltern, Geschwister, Kinder, Ehepartner, Vorgesetzen, Kollegen etc. widerfuhr, vergiftet als innerer Groll und als Verbitterung zunächst einmal unser eigenes Herz. Entsprechende Verletzungen, die oft bis in die Kindheit zurückreichen, können in der Regel erst anfangen, wirklich zu heilen, wenn man – auch und gerade gegen die eigenen inneren Widerstände und alles Nicht-Wollen - doch zum Verzeihen bereit ist.

Ein zweiter Schritt könnte sein, sich Vergebung schenken zu lassen. Ich bin überzeugt, dass viele Probleme der Menschen heute in ungeahntem Ausmaß auch religiöse Wurzeln haben, mag dies oft auch nicht bewusst sein. Es kann sich dabei durchaus um eine persönliche Schuld handeln. Häufig aber ist es auch ein weitgehend unbestimmtes Unbehagen am eigenen Dasein, eine Sinnleere, resultierend vielleicht aus einer völlig verkehrten Werteskala der persönlichen Lebensgestaltung. Wieviele vernachlässigen, was das Leben wirklich trägt, investieren alles mögliche für Eintagsfliegen flüchtigen Genusses, erachten Beruf, Karriere, Verdienst für viel wichtiger als die Investition ihrer selbst für ein gelungenes Ehe- und Familienleben, meinen insgesamt, für Gott und ein den Alltag prägendes religiöses Leben keine Zeit und kein Bedürfnis zu haben. Dass so der Hunger nach einem nicht nur vorletzten, sondern letzten Sinn unseres Lebens, unser Hunger nach mehr als das, was man einfach haben kann, nicht gestillt wird, liegt auf der Hand. Die (Wieder-)Herstellung und Heilung der Beziehung zu Gott – wieviel Ordnendes und Heilendes für das eigene Leben und seine Werteskala könnte von hier ausgehen! Daher möchte ich in diesem Zusammenhang hinweisen auf ein fast vergessenes Sakrament, das in besonderer Weise ein Sakrament der Heilung ist, nämlich auf das Sakrament der Versöhnung. Wie es das Wort sagt – es kommt von Ver-Sohnung – will es die Beziehung zu Gott heilen, also die Tochter- und Sohnschaft wiederherstellen, und von hier aus auch die Beziehung zu den Mitmenschen. Ein Gespräch oder sogar Beichtgespräch mit einem Priester oder Seelsorger des eigenen Vertrauens zu führen, könnte ein großer Schritt sein, das „Heilige Jahr“ zu einem heiligen Jahr für einen selbst werden zu lassen, ein Schritt, der vielleicht nur ein wenig Überwindung kostet, aber sicher nicht bereut wird.

 

Ich wünsche Ihnen, den Menschen unserer Gemeinde, dass jeder in diesem „Heiligen Jahr 2000“ seinen Schritt auf Gott zu tut und damit verbunden eine gesegnete österliche Zeit.

Ihr Pfarrer Bodo Windolf

 

 

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