Predigt vom 24. April 2000 (Ostermontag)

St. Severin Garching

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Prediger

Pfarrer Bodo Windolf
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Thema

Ostermontag
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Predigt-Text

Zu Beginn zwei Sätze aus einem Beitrag zu J.S.Bachs Matthäuspassion, nachzulesen im Feuilleton der Osterausgabe der SZ; Autor: Rainer Stephan: „Wer die Passionserzählung, womöglich noch im Salbungston religiöser Selbstgewissheit, als eine letzten Endes doch tröstliche Geschichte von Leid und Erlösung vorträgt, nimmt ihr gerade den schmerzhaft skandalösen, ja anstößigen Kern.“ Und so lautet das Resümee: An die Stelle der „frommen Lügen der Beschwichtigungstheologie“ ist eine Religion zu setzen, die sich als „Rückbindung nicht mehr an die Allmacht Gottes, sondern (...) an die Ohnmacht des Allmächtigen“ versteht (SZ vom 22./23./24.2000, S. 17). Mit anderen Worten: Leiden, Sterben; nein, man muss da schon genauer sein: Folter und brutaler Mord nicht nur an diesem Unschuldigen vor 2000 Jahren, sondern an nicht zählbaren ähnlich Unglücklichen, sind zu nehmen als das, was sie scheinen: sie haben das letzte Wort, sind die definitiv stärkere und damit definitive Realität, an der jeder Glaube an einen allmächtigen Gott, der Gerechtigkeit und Erlösung (bes. den Opfern der Geschichte) schenken könnte, wo irdische Gerechtigkeit versagt, ohnmächtig scheitert.

Szenenwechsel: Die Konsequenz aus dem, was der SZ-Autor vermutlich so dahinschreibt, erlebt eine Junge Französin mit dem ganzen darin enthaltenen Zynismus zutiefst existentiell. Rückblickend schreibt sie über sich als junges Mädchen, die ganz unter dem Eindruck des 1. Weltkrieges mit seinen 8 ½ Millionen Toten und weiteren Millionen Verstümmelten und Entstellten stand: „Mit fünfzehn war ich strikt atheistisch und fand die Welt täglich absurder.“ Mit siebzehn verfasst sie folgenden Text: „Gott ist tot – es lebe der Tod! Man hat gesagt: ‚Gott ist tot.‘ Weil das wahr ist (...) wird man realistisch, positiv, praktisch werden müssen. Ich sage ‚werden‘. Ich bin überrascht vom allgemeinen Mangel an Lebensvernunft. (...) Die Revolutionäre (...) haben die Frage schlecht verstanden: sie können zwar die Welt aufs beste einrichten (...) aber ausziehen muss man doch, wohl oder übel. Die Gelehrten sind eher kindlich: sie meinen immer, den Tod zu töten: sie töten gewisse Arten des Sterbens: Tollwut, Pocken. Dem Tod geht es dabei gut. Für die Pazifisten bin ich voller Sympathie, aber im Rechnen sind sie schwach. Wäre es ihnen 1914 gelungen, den Krieg zu knebeln, so wären 1998 doch alle, die der Krieg nicht umgebracht hätte, endgültig auf ihrem persönlichen Friedhof untergebracht (...) Und die Mütter (...) Wohl gibt es jene, die kein Kanonenfutter herstellen wollen, aber versucht ihnen einmal beizubringen, dass sie immerhin Todesfutter herstellen. (...) Und dann gibt es die Leute, die sich amüsieren, die die Zeit totschlagen, bis schließlich die Zeit sie totschlägt. Ich gehöre dazu.“

Ja, sie gehörte dazu, diese junge Französin, zu einer Nachkriegsgeneration Intellektueller, die aus der Absurdität eines Daseins, dessen Ziel nur Tod ist, keinen anderen Ausweg sahen als Selbstmord – oder sie Flucht nach vorn in einen alles betäubenden Lebensgenuss.

Frage: Sind der Feuilletonist der SZ, die junge Französin und so viele Zeitgenossen, die auf der Jagd nach Vergnügen und dem ultimativen Kick dieselbe Flucht nach vorn praktizieren, nicht die modernen Emmausjünger unserer Zeit, die entweder eine dem Tod Paroli bietende Hoffnung für ihr Leben nie kannten, oder denen diese Hoffnung angesichts des Leidens und der Ungerechtigkeit und der Macht des Bösen in der Welt wie eine Seifenblase aus Illusion und Selbsttäuschung zerplatzt ist? Ist nicht tatsächlich alles absurd, weil der Tod am Ende doch alle gleich macht: Opfer und Täter, Glückliche und Unglückliche, Verbrecher und Biedermänner, Gläubige und Ungläubige? Und ist es daher nicht auch ehrlicher, den Tod des Gekreuzigten vor 2000 Jahren unter die Rubrik einzuordnen: ein Idealist und Utopist mehr, der an der Härte und Tragik des Lebens gescheitert ist?

 

Lassen Sie mich nun an dieser Stelle endlich - wie man es von mir ja nicht besser erwartet –„Beschwichtigungstheologie“ betreiben! Ich möchte sie aufhängen an einem kleinen Wörtchen, an einem schwachen Wörtchen, dessen Stärke aber vielleicht gerade in seiner Schwachheit liegt. Ich möchte meine Beschwichtigungstheologie aufhängen an dem Wörtchen – „vielleicht“.

Ich werde keinem, der an Gott zweifelt oder die Auferstehungsbotschaft für „fromme Lügen“ erklärt, beweisen können, dass es Gott und Auferstehung gibt. Aber so groß Zweifel und Nichtglaube daran auch sein mögen – auch das Gegenteil wird niemand beweisen. Vielmehr bleibt ein Rest Ungewissheit – ein Vielleicht: vielleicht hat diese sonderbare, in Deutschland  allmählich aussterbende Spezies der Christen doch nicht so Unrecht mit dem, was sie da glauben und an Ostern und sonntäglich feiern; vielleicht ist ja die Stimme in mir selbst doch nicht so töricht, die sich einfach nicht damit abfinden will, dass Leid, Trennung sich Liebender durch Tod, himmelschreiendes Unrecht, Folter, Mord, das letzte Wort haben sollen in unserer Welt; eine Stimme, die insgeheim doch auf Leben, auf Leben in Fülle, Freude, Gerechtigkeit und Friede hofft?

Dieses „Vielleicht ist doch etwas daran“ bleibt ein Stachel für jeden Menschen, auch und gerade für den entschieden Ungläubigen. Als die junge Französin – ihr Name war übrigens Madeleine Delbrel – sich diesem „Vielleicht“ stellte; als für sie durch verschiedene Ereignisse ihres Lebens die Existenz Gottes nicht mehr strikt unmöglich erschien, wollte sie Ihn auch nicht mehr so behandeln, als existiere Er gewiss nicht, und sie begann zu beten. So wurde sie zu einer wohl der überzeugendsten Christinnen des vergangenen Jahrhunderts, sie, die bewusst ihr Christsein im atheistisch-kommunistischen Milieu der Arbeiterstadt Ivry nahe Paris lebte, im Dienst an den Menschen zusammenarbeitend mit den dortigen politischen Kräften, zutiefst verstehend und solidarisch auch und gerade mit vielen ungläubigen Menschen.

Was im Beitrag der SZ als „Beschwichtigungstheologie“ verächltlich gemacht wird, hatte in ihr Leben genauso wie in das der Emmausjünger und so vieler anderer wie eine Bombe eingeschlagen und sie mit vorher nicht gekannter Freude, Wärme, Lebenssinn und vor allem Liebesfähigkeit erfüllt. Eine Botschaft, die Leben damals wie heute nach 2000 Jahren so durch und durch zum Guten zu verändern vermag und es auch für uns will, und die Antwort gibt auf bedrängendste Fragen unseres Daseins – vielleicht weniger darauf, warum z.B. Gott Leiden zulässt, als vielmehr darauf, wie es einen Sinn erhält – sollte eine solche Botschaft nicht vielleicht doch die wahre Antwort bereithalten? Mag manch einer auch zweifeln, wichtig wäre nur, sich von diesem „Vielleicht“ beunruhigen zu lassen und vielleicht zu entdecken: Gott hat die Ohnmacht (des Kreuzes) gewählt, um gerade in ihr Seine (All-)Macht über alle Mächte von Bosheit, Leid und Tod in unserer Welt zu erweisen. Ostern feiern heißt: danken für den Glauben daran und für die „unglaubliche“ Hoffnung, die wir daraus schöpfen dürfen.

 

Pfarrer Bodo Windolf, Garching St. Severin

 

 

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