Predigt vom 22. Juni 2000 (Fronleichnam)

St. Severin Garching

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Prediger

Pfarrer Bodo Windolf
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Thema

Geld am Sonntag
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Predigt-Text

„Beten?  Machen Sie mehr aus Ihrem Sonntag!  Machen Sie Geld!“

 

Eine, wie ich finde, höchst originelle Werbeanzeige aus der Zeitschrift „Euro am Sonntag“. Eine, wie ich finde, höchst originelle Aufforderung zum Tanz, zum Tanz – ums Goldene Kalb.

Als ob es reichen würde, von Montag bis Freitag, als ob es reichen würde, selbst von Montag bis Samstag fürs liebe Geld zu schuften. Es wäre doch gelacht, wenn wir es nicht fertigbrächten, irgendwann auch den Sonntag mit den Werktagen gleichzuschalten! „Euro am Sonntag“ –natürlich ist das Programm: Was sich noch der totalen Durchökonomisierung der Gesellschaft widersetzt, was sich immer noch nicht den Gesetzen von Wertschöpfung, Gewinn, Profit beugen will, muss Schritt für Schritt plattgewalzt werden. Und daher: Nicht Gott, nicht Beten, sondern Euro am Sonntag.

Sind wir nicht alle unverbesserliche Gottesanbeter? Und wenn wir den wahren Gott für abgesetzt erklären, dann setzen wir an seine Stelle eben unweigerlich einen Götzen, und wenn es ein so lächerlicher wie der „Euro am Sonntag“ ist, sprich: das Geld, die Wirtschaft als allesbeherrschender, Werk- wie Feiertage bestimmender Lebenssinn. (Um nicht falsch verstanden zu werden, möchte ich hinzufügen, dass ich hier nicht gegen die Wirtschaft als solche spreche, sondern gegen bestimmte Ausformungen oder besser: Auswüchse wirtschaftlichen Denkens hierzulande und anderswo.)

Dabei merkt der Macher dieses Slogans nicht einmal, dass seine Kampagne für „mehr Geld statt Beten“ wirtschaftlich geradezu kontraproduktiv ist. Eine breit angelegte Untersuchung in den USA hat erst kürzlich statistisch nachweisen können, dass religiöse Menschen, also solche, die beten und den Sonntag halten, durchschnittlich länger leben als areligiöse Menschen, weniger anfällig sind für Krankheiten, besonders auch solche, die häufig zum Tod führen, dass sie weniger zu Depressionen neigen, und dass sie daher alles in allem – wirtschaftlich leistungsfähiger sind.

 

Nun ist es allerdings meine Absicht nicht, wie Sie verstehen werden, Beten und Gottesdienstbesuch als wichtige Faktoren wirtschaftlichen Kalküls anzupreisen und deshalb zu empfehlen. Empfehlen will ich beides natürlich, aber aus einem anderen Grund. Und daher will ich einmal nicht nach dem Zweck, sondern nach dem Sinn des Sonntags fragen. Ich will fragen nicht nach dem Sonntag, der mehr oder weniger ein- und untergegangen ist im „schönen Wochenende“, das wir einander wünschen und wofür wir ihn schätzen – wie selten ist heute noch zu hören: Ich wünsche Dir einen gesegneten Sonntag! -; ich will daher auch nicht fragen nach dem Sonntag, den wir zur Erholung, zum Verschnaufen, für Unternehmungen, für die Familie brauchen; all das ist gut und wichtig, bewegt sich aber noch auf der Ebene der Zwecke. Nein, ich will fragen nach dem Sinn des Sonntags. Und die Frage nach dem Sinn reicht immer weit über die Frage hinaus: Was habe ich hier und jetzt davon? Was bringt’s mir? Was nutzt es mir?, (z.B. den Sonntag dadurch zum Sonntag zu machen, dass ich den Gottesdienst besuche).

 

Zunächst einmal ist rein als Faktum festzustellen, dass der Sonntag eines der ganz großen Erbstücke und Geschenke ist, das der jüdisch-christliche Glaube der Menschheit vermacht hat. In Gestalt des Sabbats wurde er vom jüdischen Volk gewissermaßen erfunden; in Gestalt des Sonntags wurde er vom Christentum an Menschheit weitergereicht.

Um den Sinngehalt dieses Tages zu verstehen, möchte ich auf den alttestamentlichen Schöpfungsbericht zurückgreifen und ihn einmal vergleichen mit einem außerbiblischen Schöpfungs-Mythos, nämlich mit dem mesopotamischen Atrachasis-Epos.

Nach diesem hatten die Götter eines Tages die schwere Arbeit satt, die sie im Kosmos zu verrichten hatten. Deshalb verschafften sie sich zu ihrer Entlastung Arbeitssklaven. Zuerst wurde die Arbeit einer niedrigeren Götterklasse zugeschoben. Die aber ließen sich das nicht gefallen und probten schon bald den Aufstand. Da verfielen sie auf einen anderen Ausweg: So lasst uns doch Menschen erschaffen, die für uns die Fronarbeit in der Welt leisten. Und so geschah es: die Menschen traten als Arbeitssklaven der Götter ins Dasein.

Ganz anders der biblische Schöpfungsbericht. Hier „arbeitet“ Gott selbst. In der Bildsprache dieser Erzählung setzt er an sechs Tagen arbeitend die Schöpfung ins Dasein. Dann geschieht das zweite Entscheidende: Am siebten Tag „ruht„ Gott, schaut auf sein Werk zurück und befindet es für gut. Genau diesen Zeitrhythmus aber des Ein- undAusatmens von Arbeit und Muße übergibt er dem Volk Israel.

Was hier geschildert wird, ist nicht naives, voraufklärerisches Denken, sondern indirekte Kritik einer Auffassung innerhalb der gesamten antiken Welt, für die das Atrachasis-Epos repräsentativ ist. Nach allgemeiner antiker Auffassung war Muße allein Sache der männlichen, freien, gehobenen Schicht, Arbeit aber Sache der Frauen und Sklaven.

Demgegenüber wird nun gesagt: Arbeit gehört zur Würde des Menschen, zur Würde von Frau und Mann. Sie ist Teilhabe am Werk Gottes, der uns nicht eine fix und fertige Welt anvertraut, sondern uns auffordert, sie zu gestalten, in ihr schöpferisch tätig zu werden, so unsere Fähigkeiten zu entfalten und damit zugleich zur Vollendung der Welt und unserer selbst beizutragen.

 

Das ist die eine Seite. Doch kennt nun das Alte Testament noch eine andere Kennzeichnung der Arbeit. Das dritte Gebot des Dekalogs spricht von „knechtischer Arbeit“, die am Tag des Herrn nicht verrichtet werden darf. Mit dem Wort „knechtisch“ ist ursprünglich durchaus nichts Verächtliches gemeint. Vielmehr wird hier in tiefer Weise angedeutet, dass Arbeit trotz ihrer Würde ihren Zweck nicht in sich selbst trägt. Wir sind eben nicht geschaffen, um zu arbeiten, wie uns der Atrachasis-Mythos glauben machen möchte. Vielmehr dient die Arbeit einem Zweck außerhalb ihrer; sie ist zweckdienlich; sie dient dem Lebensunterhalt, der Gewinnschöpfung, der Selbstentfaltung, der Entfaltung anderer, usw.; sie ist also „knechtisch“, nutzbringend, dienlich in diesem Sinn.

Wie gesagt: das ist gut und notwendig so. Und doch will uns Gott nach biblischem Zeugnis einen Tag in der Woche schenken, an dem wir eben nicht „Knechte“ der Daseinssorge sein sollen, sondern Herren; nicht Sklaven der Arbeit und des Broterwerbs und des Geld Machens, sondern Freie, befreit von den Zwängen des normalen Alltags.

An diesem Tag sollen wir nicht „zu etwas gut sein“, sondern einfach dasein, aus Freude, aus Dankbarkeit für das Dasein; weil Gott uns gewissermaßen zusagt: Du bist erschaffen nicht, um nur zu etwas nutze zu sein; nein, du bist erschaffen um deinetselbst willen, weil es gut ist, dass es dich gibt, von mir bejaht, geliebt, einfach so. Und weil das der Sinn deines Daseins ist, deshalb brauchst du einen Tag, dich an diesen Sinn zu erinnern und ihn vor allem auch zu feiern; und daher repräsentiert der Sonntag den Sinn des Daseins überhaupt. Er ist Tag des Daseinsdankes, daher Tag der „eucharistia“, der Danksagungsfeier, Tag der Preisung des Herrn, der Preisung dessen also, der allen anderen Dingen und Verrichtungen meines Lebensalltages allererst einen bleibenden Sinn verleiht.

 

Von dem Werbespruch: „Beten? Machen Sie mehr aus Ihrem Sonntag! Machen Sie Geld!“, bin ich ausgegangen. In Wirklichkeit bedeutet dieses Mehr also ein tödliches Weniger. Wo der Sonntag ohne Not – bei Ärzten, Pflegekräften, aber auch solchen, die wie die in der Gastronomie Tätigen einen Dienst für einen schönen Sonntag anderer erfüllen, ist das natürlich etwas anderes – wo also der Sonntag auf Dauer und ohne Not zu einem fast normalen Arbeitstag wird; oder wo er nur noch der Erholung dient, um am Montag wieder fit für die Arbeit zu sein; oder nur dem Vergnügen oder auch nur der Familie; wo also Gott keinen zentralen Ort mehr am Sonntag hat wie etwa beim Besuch des Sonntagsgottesdienste – da wird der Sonntag entleert. Es droht der Verlust jener Sinnmitte, die allem anderen meines Lebens erst letzten Sinn gibt, und zwar um das kärgliche Linsengericht von etwas mehr Geld, Vergnügen oder anderem.

 

Zum Schluss möchte ich all jenen unter Ihnen danken, die auch gegen den Strom der Zeit heute noch den Sonntag als Sonntag zu feiern wissen, als Tag des Dankes an Gott, als Tag der „eucharistia“, als Tag des gemeinsamen Betens, Singens und Gott Lobens. Und in diesem Sinn wollen wir nun gemeinsam diesen Tag feiern und Christus in der eucharistischen Gestalt des Brotes verehren und hinaustragen in unsere Gemeinde.


Pfarrer Bodo Windolf, Garching St. Severin

 

 

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