Predigt vom 13. April 2001 (Karfreitag)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Gott, der Vater. Ein Gehorsam einfordernder Tyrann?
Predigttext

Gott, der Vater. Ein Gehorsam einfordernder Tyrann?

 "An einen Gott, der seinen eigenen Sohn opfert, kann ich nicht glauben!" "Was soll das für ein Vatergott sein, der seinen Sohn am Holz bluten sehen muss, damit seiner Gerechtigkeit Genüge getan sei?"

 Liebe Schwestern und Brüder!

 Diese oder ähnliche Gedanken sind vielleicht so manchem auch von Ihnen schon durch den Kopf gegangen. Nicht wenige können und wollen nicht an einen solchen Gott glauben, an diesen Gott der Christen, der scheinbar ungerührt zuschaut, nein wegsieht, als sein Sohn qualvoll stirbt .Haben sie nicht recht mit diesem Einwand?

 Ich möchte diese durchaus bedrängende Frage nach unserem christlichen Gottesbild angesichts eines Vaters, der seinen Sohn in die äußerste Schmach sendet, um die Welt wieder ins Lot zu bringen, heute und auch an den kommenden Ostertagen einmal, in verschiedenen Anläufen von verschiedenen Seiten her, zu beleuchten versuchen. Ich möchte Linien ausziehen, die in der heiligen Schrift nur angedeutet sind, aber meines Erachtens ausreichen, um in die Richtung auf eine Antwort zu weisen.

 Gehen wir zunächst einmal zurück an den Anfang der Bibel, an den Anfang der Anfänge, an den Beginn der Schöpfung: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Der weitere Verlauf des Textes kann sich gar nicht genug tun, die Gutheit, nein die Sehr-gutheit der ursprünglichen Schöpfung zu preisen. "Gott sah, was er gemacht hatte, und es war sehr gut." So zieht ein Schöpfungstag nach dem anderen vorbei, Bild für die Entfaltung unseres Universums in Jahrmilliarden und -millionen.

 Doch da, mitten am sechsten Tag, ist es auf einmal wie ein Stocken, wie ein Zögern. Er, der souverän alles durch sein Wort hinaus ins Dasein spricht: "Gott sprach: es werde... und es ward", er wendet sich plötzlich nach innen wie zu einem innergöttlichen Selbstgespräch: " Lasst uns Menschen machen nach unserem Abbild, uns ähnlich." Der eine Gott, der hier von sich im Plural spricht: "Lasst uns den Menschen machen"? Ist hier gleich zu Beginn des Alten Testamentes vielleicht schon angedeutet, was wir Christen den einen und doch dreifaltigen Gott, die liebende Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligen Geist nennen werden?

Doch was mag der Inhalt dieses Gespräches gewesen sein? Menschlich ausgedrückt kann es eigentlich nur um eine Frage gegangen sein: Gott, der ohne Zeit ist, sieht ja schon auf die Berge von Schuld, durch die Menschen seine gute Schöpfung verunstalten werden. Er sieht schon auf die Meere von Leid, aus dem Unzählige werden trinken müssen. Kann Gott Geschöpfe ins Dasein rufen, die frei sind zum Guten, aber auch zum Bösen und von denen er genau weiß: sie werden ihre Freiheit missbrauchen, sie werden sie zu Unsäglichem missbrauchen? Wird nicht alles in einem letzten Desaster enden?

Wie uns allen vor Augen steht, ist Gott das Wagnis gerade einer solchen Schöpfung eingegangen, einer Schöpfung, in der es das Böse, das Leid, den Tod gibt. Wie, so fragen viele, hat er es können? Wäre es nicht besser gewesen, überhaupt gar nichts zu erschaffen als eine solche Schöpfung?

Liebe Gemeinde!

Es gibt wohl nichts Müßigeres als die Frage, ob es nicht besser wäre, wir und die Erde würden gar nicht existieren. Die Frage nützt nichts. Wir sind nun einmal da, und im allgemeinen freuen wir uns auch darüber, freuen wir uns, dass es mich gibt. Und daher stelle ich mir, hineinlauschend in den Tonfall der heiligen Schrift, das Ergebnis dieses innergöttlichen Gesprächs und Ratschlusses folgendermaßen vor: Der Sohn, das ewige Wort des Vaters, durch den und auf den hin alles geschaffen ist - Er hat sich selbst angeboten, für das Gelingen der Schöpfung einzustehen. Er hat sich dem Vater angeboten, sich aus dem Schöpfungsdesaster nicht heraus zu halten, sondern mitten hinein zu gehen, all diese Berge von menschlicher Schuld auf sich zu nehmen und in sich sühnend auszuleiden und so zu zeigen, dass seine göttliche Liebe immer noch stärker und größer ist als selbst alle aufgetürmte Schuld dieser Erde. Und es muss wohl so sein, dass der Vater, menschlich gesprochen, diesem Selbstangebot des Sohnes zu Menschwerdung und Kreuz schweren Herzens zustimmte. Nicht als Gehorsam einfordernder Tyrann, sondern gleichsam ihm die „Erlaubnis“ gebend hat Gott, der Vater, seinen Sohn in die Welt zu dieser Erlösungstat am Kreuz gesandt. So, gerade so wurde Gott selbst solidarisch mit seiner ganzen leidenden Schöpfung, indem Er ein leidender Mensch wie wir, nein ein leidender Mensch unendlich mehr als wir wurde und auf diese Weise unsere Schuld erlitt und auslitt und umerlitt in das Leid seiner göttlichen Liebe. Daher ist das Geschehen am Kreuz nicht nur ein Geschehen zwischen dem Menschen Jesus Christus und Gott, sondern es ist ein Geschehen im Herzen Gottes selbst, ein Geschehen zwischen Gott, dem Vater, und Gott, seinem geliebten Sohn. Wenn Jesus am Kreuz schreit: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" und wenn wir ernst machen mit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, dann kommen wir nicht umhin zu sagen: Hier ist Gott von Gott verlassen, Gott der Sohn von Gott, seinem geliebten Vater. Und in dieser Verlassenheit erleidet er das Wesen der Sünde selbst, nämlich die Gottferne, die schlechthinnige Abwesenheit Gottes, er erleidet jenen Verlassenheitsabgrund, der die Sünde von Gottes Heiligkeit trennt; und er erleidet es in einer Tiefe, die jede Erfahrung der Hölle unendlich weit hinter sich lässt, weil nur der Sohn wirklich weiß, was es heißt, von Gott verlassen, vom Vater definitiv getrennt zu sein. Ist es vorstellbar, dass den Vater diese seeliche Nacht seines Sohnes, die menschlich tiefer reicht als aller körperliche Schmerz der Kreuzestortur, - ist es vorstellbar, dass den Vater diese abgrundtiefe Gottesnacht unberührt gelassen hätte?

Nein, ein solcher Vater wäre eine grausige Karikatur des Vaters, den wir als Christen verehren. Und so will ich an den Schluss dieser Predigt die Worte eines der großen deutschen Dichter des letzten Jahrhunderts stellen, eine Betrachtung von Reinhold Schneider zum Verlassenheitsschrei Jesu am Kreuz: 

"Mit seinem Leibe ist die Seele gekreuzigt, aber in diese höchste Verlassenheit reicht keines Menschen Gedanke, keines Herzens Empfindung hinab. ...fassen können wir es nicht, dass Gott verlassen ist von Gott; weder den Schmerz des Sohnes noch den Schmerz des Vaters werden wir jemals begreifen. Denn es ist ja gewiss, dass dieser Ruf den Vater auf das furchtbarste traf. Dass er in diesem Augenblick den Himmel nicht öffnete, ... ist vielleicht das Opfer über allen Opfern - ein Opfer, das dem Schmerz, dem Alleinsein des Sohnes nicht nachsteht oder sie gar übersteigt. Und so ist, im heiligen Drama der Erlösertat, vielleicht keine mächtigere Offenbarung göttlicher Liebe als dieser Ruf des Verlassenen und die Antwort des Schweigens. Denn eine Antwort ist es für uns,... auch dieses Leid muss gelitten werden, damit das Maß der Sühne erfüllt werde und ausreiche bis zum Ende der Zeiten. So furchtbar ist der Frevel auf Erden, wird dieser Frevel noch sein und sich steigern, dass der Gekreuzigte dieses Alleinsein erfahren und die ewige Liebe schweigend seine Klage aufnehmen musste."

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Wer zu schauen versteht, der kann durch die vom Speer durchbohrte und geöffnete Seite des gekreuzigten Herrn hindurch bis in das aufgebrochene Herz des dreifaltigen Gottes schauen. Es ist sein Engagement, die Liebe und der Selbsteinsatz von Sohn und Vater und Heiligem Geist, der diese Erlösungstat vollbracht hat; es ist Tat des Sohnes, die zu tun der Vater ihm schweren Herzens erlaubt und wozu er ihn gesandt hat. "So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er diesen seinen einzig geliebten Sohn für sie dahin gab, damit alle die an ihn glauben nicht verloren gehen, sondern durch ihn gerettet werden."

Pfarrer Bodo Windolf

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