Predigt vom 16.09.2001 (nach dem Terroranschlag in Amerika)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Trotz alles Bösen – Gott selbst steht ein für das Gelingen seiner Schöpfung
Predigttext

24. Sonntag im Jahreskreis

zu Lk 15,1-32


Wie kann Gott so etwas zulassen?“

„Wie kann er überhaupt all das Schreckliche, soviel abgrundtief Böses in unserer Welt zulassen?“

„Wie konnte er eine Welt erschaffen, in der es soviel unsägliches Leid, so unfaßbare Schuld gibt?“

„Ist seine Schöpfung nicht gänzlich missglückt?“

So oder so ähnlich können wir Menschen in diesen Tagen und auch sonst oft reden und fragen hören, angesichts ungeheuerlicher Gräueltaten erst vor wenigen Jahren auf dem Balkan; und jetzt wieder angesichts dessen, was am 11. September in Amerika passierte.

Gibt es Antworten? Ich glaube, die letzten, die uns wirklich zufriedenstellenden Antworten können uns wohl noch nicht zuteil werden. Sie sind noch Teil des Geheimnisses Gottes, das endgültig erst gelüftet wird, wenn wir einmal bei ihm sind und in seinem Licht auf unser eigenes Leben und auf die Geschicke der Erde zurückblicken dürfen. Jetzt können wir nur glauben, dass wir dann sehen werden, wie Er durch alle Irrungen und Wirrungen hindurch selbst da Sinn einstiftet und eingestiftet hat, wo wir ihn bei bestem Willen nicht zu sehen vermögen.

Wir müssen uns wohl für jetzt mit Hinweisen begnügen, und ich möchte, bevor ich auf das Evangelium schaue, zunächst einmal auf uns selbst blicken. Zu dem, was uns allen mit am kostbarsten ist, zählt ohne Zweifel unsere Freiheit. Frei wollen wir alle sein, nicht fremd-, sondern selbstbestimmt, keine Sklaven oder Marionetten an den Strippen von Menschen oder auch Gottes, sondern solche, die frei und aus eigenem Wollen ihr Leben gestalten. Gott als Geber dieser kostbaren Gabe der Freiheit – das ist eigentlich der erste und oft vergessene Charakterzug, den Jesus vom Vater seines Gleichnisses zeichnet. Kein Drängen, Bitten, Beschwören, geschweige denn irgendeine Art von Zwang gibt es hier – dieser Vater lässt seinen Sohn frei; er darf entscheiden, ob er bei ihm bleiben oder von ihm weggehen will. Und daher läßt er ihn in aller Freiheit ziehen.

Gott, der jedem von uns, jedem Menschen die Gabe der Freiheit geschenkt hat, weil er es unternommen hat, im Menschen keine Marionette, sondern einen Partner einen Bundespartner, ein zu Liebe und Freundschaft fähiges Wesen zu erschaffen. Welch schönes Ziel der Schöpfung, Geschöpfen teilzugeben an seiner göttlichen Freiheit und Freude, die aus der Liebe stammt und diese zugleich ermöglicht, weil es Liebe ohne Freiheit nie geben kann. Aber auch: welches Risiko!

Wer frei ist, zu lieben, ist auch frei, die Liebe zu verwerfen und zu hassen. Welche Höhen und welche Abgründe ermöglicht die Freiheit, Höhen des Guten, wie in einem heiligen Franziskus, aber auch Abgründe des Bösen und der Menschenverachtung, wie bei den Menschen, die diesen Terror verübten.

Nichts, gar nichts, kann das Geschehene rechtfertigen; aber so sehr wir es zurecht mit Abscheu betrachten, sollte es uns und Amerika nicht dazu verführen, in selbstgerechter Pose die eigenen Hände in reiner Unschuld zu waschen. Freiheitsmissbrauch betreiben nicht nur die, die statt zu lieben hassen, sondern auch die, die den Hass in anderen nicht verhindern, obwohl sie es könnten, oder ihn gar schüren. Unrecht gebiert neues und schlimmeres Unrecht - das erleben wir jetzt, da das Geschehene natürlich auch etwas mit dem ungelösten Nahostproblem zu tun hat. Eine unverantwortliche Siedlungspolitik von seiten Israels trotz, ja gegen bestehende Verträge, schüren Hass. Das Messen mit ungleichem Maß, was die Erfüllung von UN-Resolutionen betrifft und mangelnder Wille, auch den Palästinensern den ihnen notwendigen Lebensraum und Selbständigkeit zu gewähren, schüren Hass. Noch einmal: nichts rechtfertigt die abgrundtief böse Tat gegen unschuldige Zivilisten in Amerika. Aber auch diese Medaille hat noch eine andere Seite. 

Doch nun die Frage: Wie konnte Gott das Risiko einer solchen Welt mit so viel Unheil eingehen? Er konnte es, weil er selbst für das Gelingen seiner Schöpfung einsteht. Der verlorene Sohn des Gleichnisses steht ja nicht nur für den einzelnen Menschen. Er steht auch für die Menschheit insgesamt, für ihre Verlorenheit, ihr Getrenntsein vom lebenspendenden Gott. Was wir am Vater des Gleichnisses sehen, das vollzieht und erfüllt sich in seinem Sohn. Es ist der Vater, der dem verlorenen Sohn entgegengeht, und er tut es in seinem Sohn  Jesus Christus, der in seiner Menschwerdung uns entgegengeht. Und wieder: Es ist der Vater, der den Heimgekehrten in seine Arme nimmt und zugleich sind dies die ausgestreckten Arme Jesu am Kreuz, mit denen er uns Sünder, selbst den Verlorensten, an sich ziehen will. Es ist die je größere Liebe Gottes, die selbst in noch tiefere Dunkelheit, in noch größere Verlorenheit hinabstieg, als der ärgste Sünder verloren und im Dunkeln ist. Hier ist eine Liebe, die größer ist als alle Bosheit der Welt, die das Böse gleichsam nochmal unterfängt, in der Hoffnung, dass am Ende selbst noch der gottfernste Sünder den Weg in die Arme des Vaters findet, die zugleich die des Gekreuzigten sind.

Sind das Antworten? Nein, aber Hinweise, dass Gott weiß, was er tat, als er diese unsere Schöpfung ins Dasein rief, und dass es nichts gibt, das aus seinen guten Plänen mit der Schöpfung und Menschheit herausfällt. In dieser Hoffnung wenden wir uns im Gebet an ihn: für uns, dass wir selbst die Gabe der Freiheit immer mehr in seinem Sinn gebrauchen, und auch für die Opfer und Täter des furchtbaren Anschlags in Amerika.

Pfarrer Bodo Windolf

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