Predigt vom 13. Jan. 2002 (Patrozinium Hl. Severin)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Embryonenforschung und Menschenwürde
Predigttext

Patrozinium 13.Januar 2002

Evang.: Mt 3,13-17

Der heilige Severin, den einige seiner Biographen als „Mönch und Staatsmann“ zugleich bezeichnet haben, war ein durchaus politischer Heiliger, der sich stark in die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit einmischte und der es vermochte – modern gesprochen – einem christlichen Humanismus unter seinen Zeitgenossen Einfluss und Geltung zu verschaffen.

Daher sei mir gestattet, zum heutigen Patrozinium einige Randbemerkungen zu einer gesellschaftspolitischen Frage ersten Ranges zu machen; ersten Ranges, weil bei ihr nicht weniger als die Humanität zukünftigen wissenschaftlichen Forschens und medizinischen Heilens in unserem Land auf dem Spiel steht.


Ende Januar wird der Bundestag erstmals über die Frage des Imports embryonaler Stammzellen aus Israel, und zwar aus zuvor getöteten menschlichen Embryonen debattieren. Ihm liegen zwei Stellungnahmen vor: die der Enquete-Kommission des Bundestags für „Recht und Ethik der modernen Medizin“, die den Import mehrheitlich ablehnt; sowie die des sogenannten „Nationalen Ethikrates“, die ihn mehrheitlich befürwortet.

Kurz zur Erinnerung: Es geht um die Frage: Ab welchem Zeitpunkt ist der Mensch ein Mensch, daher ein mit Würde begabtes Wesen, das  ein unveräußerliches Recht  auf Leben besitzt? Von der Antwort auf diese Frage hängt die Antwort auf die weitere Frage ab: Dürfen wir menschliche Embryonen gewissermaßen als Rohstoff benutzen, um sie für Forschungszwecke und – allerdings noch in weiter Ferne – vielleicht irgendwann einmal für Heilzwecke zu verwerten oder gar zu produzieren?

Dazu ungeordnet, schlaglichtartig, in gebotener Kürze, wie gesagt, ein paar Randbemerkungen:

1.   zur angewandten politischen Methode:
Der „Nationale Ethikrat“, der den in Frage stehenden Import unter gewissen Auflagen befürwortet, ist demokratisch nicht legitimiert. Denn seine Mitglieder sind nicht vom Parlament oder einem das Parteienspektrum abdeckenden  Gremium ausgesucht, sondern allein von jemandem, der in dieser Frage selbst Partei ist, vom Bundeskanzler höchstpersönlich, und zwar so, dass das von ihm gewünschte Ergebnis absehbar war; eine Strategie, die glänzend aufging. Dies geschah an der schon bestehenden demokratisch legitimierten Enquete-Kommission  des Bundestages vorbei und hatte natürlich die Aufgabe, ihr Votum zu relativieren oder gar auszuhebeln. Ich spare mir weitere Kommentare über das Demokratieverständnis, das hier deutlich wird. 

2. Man spricht in unserem Zusammenhang viel von einer „Ethik des Heilens“ und sogar einer moralischen Pflicht denen gegenüber, denen vielleicht einmal mittels verbrauchender Embryonenforschung geholfen werden kann. Man verschweigt in der Regel, dass es hier auch um viel Geld geht. Einer der Bonner Wissenschaftler, der auf freie Fahrt für besagte Forschung drängt, hat schon 1998 umfangreiche Patentanträge auf die von ihm beabsichtigte Forschung und ihre erwarteten Ergebnisse gestellt. Natürlich ist grundsätzlich gegen Patentierungen überhaupt nichts einzuwenden. Aber man wird den Verdacht nicht los, dass es auch und gerade wirtschaftliche Begehrlichkeiten sind, die (weniger die Überzeugung als vielmehr) das Interesse wecken, menschliches Leben möglichst spät unter den Schutz des Staates zu stellen. Jeder klar denkende Mensch muss aufs höchste alarmiert sein, wenn in einer solch fundamentalen Frage wie der nach dem Beginn schützenswerten menschlichen Lebens eine interessegelenkte Definition das Handeln bestimmt. Jedenfalls liegt auf der Hand, dass dies mit Wissenschaft nichts mehr zu tun hat.

3.
Seit 1997 untersucht im Auftrag der Max-Planck-Gesellschaft eine unabhängige Historikerkommission, in welchem Ausmaß Wissenschaftler der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft sich an verbrecherischen Menschenversuchen während des Dritten Reiches im Dienst an der Rassenideologie der Nazis beteiligt haben. Auf einem Symposion im Juni letzten Jahres hat sich Hubert Markl als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, die aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hervorgegangen ist, bei überlebenden Opfern solcher Menschenversuche öffentlich entschuldigt und dabei gesagt, dass „solche Verbrechen eine unauslöschliche Schande (sind) nicht nur für die, die sie ausführten, sondern auch für alle, die sie duldeten, ja eigentlich für die Biowissenschaften selbst, in deren Namen sie begangen wurden“ und man müsse „bereit sein ... aus der Einsicht in die Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft zu lernen.“

Für mich ist es erschütternd, zu sehen, wie dieser einflussreiche und ohne Zweifel kluge Wissenschaftler trotz solcher Worte genau da, wo es heute auf ihn ankäme, nun doch wieder mit höchstem rhetorischem Aufwand  letztlich für genau das eintritt, wofür glaubwürdig zu entschuldigen er sich bemühte, nämlich für den wissenschaftlichen Zugriff auf menschliches „Untersuchungsmaterial“ (womit sich seine Entschuldigung für ein von ihm selbst ja nicht zu verantwortendes Gestern als wohlfeil herausstellt). Er tut es, und kann es nur tun, weil er Embryonen von der Teilhabe an der Menschenwürde ausschließt. Denn für ihn ist Menschenwürde ein „kulturbezogener Zuschreibungsbegriff“ (Rede vom 22.6.2001); mit anderen Worten: Nicht weil ein menschliches Wesen teilhat an der Gattung Mensch, kommt ihm auch automatisch Menschenwürde und darum ein nicht aufhebbares Lebensrecht zu, sondern es braucht noch weitere Kriterien, aufgrund derer die einen in den Genuss entsprechender Rechte gelangen, andere aber herausfallen. Ich frage mich: Sehen Herr Markl und die, die wie er argumentieren, nicht, dass hier unabsehbare Schleusen geöffnet werden; dass dies eine Einladung ist, je nach Interessenlage je neu zu definieren, wann menschliches Leben beginnt und wer unter die Kategorie Mensch fällt und wer nicht, und dass dies in letzter Konsequenz sogar die verbrecherischen Menschenversuche der Nazi-Wissenschaftler deckt, die aufgrund ihrer pervertierten Kultur und Ideologie den Begriff des Untermenschen erfanden und diese vom Schutz des Gesetzes ausschlossen?

Hier schließe ich meine nächste Randbemerkung an:

4. Dass ein menschliches Wesen Mensch ist, darf nicht der Verleihung eines Titels oder der Aufnahme in einen Club gleichen. Wo eine Kultur oder die Machthaber einer Gesellschaft das Menschsein wie einen Titel den einen zuteilen und den andern verweigern, die einen nach Clubbedingungen aufnehmen und die anderen ausschließen – da beginnt die totalitäre Herrschaft der Starken über die Wehrlosen. Universale Menschenrechte gibt es da und nur da, wo sie von nichts anderem abhängig gemacht werden als allein von der Tatsache: Träger menschlichen Lebens und daher zerstörendem Forschen und Experimentieren absolut entzogen zu sein.

5. Samen- und Eizelle sind für sich genommen Teile menschlichen Lebens, aber selbstverständlich keine Menschen. Doch bei ihrer Verschmelzung geschieht der alles entscheidende qualitative Sprung: aus einem Etwas ist ein Jemand geworden, der noch nicht, aber später einmal Ich sagen wird. Alles Weitere ist eine kontinuierliche Entwicklung, die an keiner einzigen Stelle mehr einen Bruch gegenüber einem vorherigen Zustand aufweisen wird.  Und das zeigt, dass sich dieses kleine schutzlose Wesen nicht zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt; übrigens nicht nur bis zur Geburt, sondern von nun an bis an sein Lebensende. 

Er tut dies in unterschiedlichen Weisen und Graden der Abhängigkeit von seiner zunächst mütterlichen, später familiären, dann auch beruflichen usw. Umwelt. Nun aber aus der bloßen Tatsache der Abhängigkeit vom mütterlichen Organismus und der Nicht-überlebens-Fähigkeit ohne ihn ein Recht auf Tötung dieses schutzbedürftigen Wesens abzuleiten, bestätigt nur die barbarische Moral des Rechts des Stärkeren.

6. In der frühesten Phase dieser Entwicklung ist der menschliche Embryo nicht geschützt durch die spontane, emotionale Tötungshemmung, wie sie ein Kindergesicht auslöst. Aber es ist nachgerade unmenschlich, daraus den Schluss zu ziehen, daher dürfe ich ihn töten. Vielmehr ist er gerade wegen seines totalen Ausgeliefert- und Wehrlosseins um so mehr unserem und des Staates Schutz  anvertraut.

7. Die Forschung an und mit sogenannten „adulten Stammzellen“, die zum Beispiel aus Nabelschnurblut gewonnen werden und für die daher die Tötung von Embryonen nicht notwendig ist, hat schon überaus große, auch therapeutische Erfolge erzielt. Ihr Potenzial ist weitaus größer, als von Befürwortern verbrauchender Embryonenforschung behauptet wird. Auf diesem Gebiet der Forschung nimmt Deutschland weltweit gesehen schon jetzt eine Spitzenstellung ein und es könnte in diesem ethisch unproblematischen Forschungsbereich durchaus eine Vorreiterrolle übernehmen, die sie somit von der weltweiten Forschung gerade nicht abkoppeln würde.

8. Der Embryo als Rohstofflieferant wird Frauen als Rohstofflieferantinnen nach sich ziehen. Deren Rohstoff „Eizelle“ würde im Falle eines Erfolges in unabsehbarer Zahl gebraucht, um immunologische Abwehrreaktionen des Körpers zu vermeiden. Vermutlich würden vornehmlich Frauen aus der Dritten Welt angeheuert, um die höchst unangenehme und nicht unproblematische Prozedur hormoneller Stimulation zur Gewinnung von möglichst vielen Eizellen auf einmal und ihre operative Gewinnung über sich ergehen zu lassen, was für sie vielleicht, wenn überhaupt (bei unserem westlichen Geschäftsgebaren) lukrativ wäre, aber natürlich ebenso der Menschenwürde, diesmal von Frauen, entgegenstünde.

Eine 9.  und letzte Randbemerkung, diesmal persönlicher Art:

Ich für meine Person möchte nicht eine Stunde länger leben aufgrund von Forschungen und Therapien, die um den Preis von Abermillionen Lebensstunden erkauft sind, um die wir Menschen durch Tötung im Embryonalstadium ihres Daseins betrügen. Eine Zivilisation, die darauf ihren medizinischen Fortschritt baut, hat das Recht verwirkt, sich als human zu bezeichnen.


Liebe Gemeinde!

Jeder von ihnen hat zu der in Frage stehenden Problematik sicher eine eigene Meinung. Ich vertrete hier nicht nur meinen persönlichen Standpunkt, sondern den der Kirche, die, Gott sei es gedankt, im Moment als fast einzige Institution mit unbeirrter Konsequenz (und dafür auch nicht wenig angefeindet) für den Schutz des Menschen vom Anfang bis zu seinem Ende eintritt. Es geht um nicht weniger als darum – um es mit den Worten von Bischof Fürst von Rottenburg auszudrücken – „das Entstehen einer Reproduktionsindustrie“ zu verhindern, „die dazu führt, dass menschliches Leben zur Handelsware wird.“

Pfarrer Bodo Windolf

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