Predigt vom 19. Mai 2002 (Pfingsten)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Zeitgeist und Heiliger Geist
Predigttext

Pfingsten 2002
Ev:Joh 20,19-23

Zeitgeist und Heiliger Geist

Zeitgeist und Heiliger Geist, Geist der Moderne und Geist des Christentums werden sich offensichtlich immer fremder, driften immer weiter auseinander. Freilich, der Zeitgeist ist schillernd. Er beinhaltet manches Gute, aber leider auch viel Beängstigendes.

Zwei Zitate: Im Programm zum „5. Deutschen Trendtag“, den das Hamburger Trendbüro am 18. Mai 2000 in der Hansestadt ausrichtete, war folgendes zu lesen: „Ein neuer Geist herrscht in deutschen Landen: Hausfrauen spekulieren an der Börse, Studenten gründen ihre eigenen Firmen. Wirtschaft wird zum Lifestyle in einer Zeit, die eine Option auf das Glück für jeden bereit hält. Das Ich wird als Aktiengesellschaft begriffen, das nach den Prinzipien der Ökonomie geführt und vermarktet wird.

Der amerikanische Managementberater Tom Peters drückt diesen neuen Geist unserer Zeit folgendermaßen aus: „Wir sind die Manager unserer eigenen Firma, der Ich-AG. Um heute im Geschäft zu bleiben, ist unser Hauptanliegen, Marketingchef der Marke Ich zu sein.“ (beides zitiert nach: Johano Strasser, Leben und Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes, Zürich München, o.J., 37)

Was hier Platz greift und als der neue Geist unserer Gesellschaft verkündet wird, ist ein vollkommen neues Menschenbild, und ich bin nicht sicher, ob wir schon realisiert haben, wie weit es schon fortgeschritten ist und das Denken vieler Menschen bestimmt. Ich habe diese Zitate dem Buch „Leben oder Überleben“ von Johano Strasser entnommen – Pfarrer Kobilke und ich haben erst kürzlich in der Stadtbibliothek anlässlich der Besprechung seines Buches mit ihm diskutiert – und in seiner, wie ich finde, in vielen Punkten sehr treffenden Analyse unserer Zeit beschreibt er dieses neue Menschenbild mit Schlagwörtern wie „Ökonomisierung des Menschen“, „Selbstvermarktung“, „Selbstinstrumentalisierung“, als „Deformierung des Menschen zum Produktionsfaktor und zum Menschenmaterial“ (S. 36f); gewissermaßen als Oberbegriff von all dem spricht er von der „empolyability“, das heißt von der „profitablen Verwendbarkeit“ (S.28) des Menschen, der hier mehr und mehr zur reinen „Menschenware“ (vgl. S. 53) verkommt.

Das Credo dieses neuen Geistes lautet: Der Mensch ist das wert, was er leistet. Wird er zum Beispiel aufgrund einer Behinderung kaum Leistung bringen können, ist der günstigste Fall der, wenn er rechtzeitig entsorgt werden kann. Was ja auch geschieht. Eine vorgeburtlich diagnostizierte Behinderung kommt heute so gut wie einem Todesurteil gleich. Ein weiteres Beispiel ist das inzwischen verabschiedete Stammzellenimportgesetz, bei dem in geradezu unheimlicher Weise deutlich wird, wie der Mensch zu profitabel verwertbarem Menschenmaterial verkommt. Was hier am Beginn menschlichen Lebens geschieht, ist eine Tendenz, die viele in unserer durchökonomisierten Gesellschaft an ihrem Arbeitsplatz am eigenen Leib erfahren. Zustimmend will ich noch einmal den eigentlich dem Christentum eher reserviert gegenüberstehenden Johano Strasser zitieren: „Das ökonomistische Menschenbild ist das eigentliche Gegenkonzept zum christliche-humanistischen, das die von aller Leistung und ihrer Bewertung unabhängige Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt.“ (S. 34)

Liebe Gemeinde!

Was hat all das mit Pfingsten zu tun?

Pfingsten ist der Tag, an dem die junge nachösterliche Kirche das Getto der nach außen verschlossenen Türen verlassen hat und auf die Straße ging, um in der Kraft des Gottesgeistes die Frohbotschaft hinaus zu tragen in die damalige Gesellschaft. Genauso ist es heute auch unsere Aufgabe als Christen, unsere Stimme auch außerhalb der Kirchenmauern zu erheben. Zustimmend und fördernd, wo im Zeitgeist Gutes und Schönes enthalten ist, aber Widerstand leistend, wo der Zeitgeist zerstörerisch, den Menschen in seiner Würde zerstörend wirkt.

Mag sein, dass die Stimme der Kirche und der Christen immer weniger gehört wird. Das ist alles andere als ein Grund zum Schmollen und zum Jammern. Entscheidend ist, dass es diese Stimmen auch heute noch gibt. Es ist immer wieder eine unzeitgemäße Stimme, aber gerade die ist es, die unsere Zeit am dringendsten braucht, will sie nicht in immer tiefere Banalität versinken.

Der Heilige Geist ist, wir gesagt, kein Geist des Schmollens, des Jammerns, kein Geist, der sich in das Schneckenhaus des kirchlichen Binnenraums verkriecht, sondern ein Geist der Kraft, der Stärke, des Mutes. Als Christen müssen wir uns nicht entschuldigen, dass wir das heutzutage überhaupt noch sind und so manches anders vertreten als viele Zeitgenossen. Vielmehr wäre es an uns, als Getaufte und mit Heiligem Geist Gefirmte, das heißt Gestärkte, den Gott des Lebens zu verkünden; den Gott, der den Wert des Menschen nicht nach seinem Leistungsvermögen und nach seiner Profitabilität bemisst, sondern ihm Würde verleiht, eine Würde, für die einzustehen durch das Wort und durch die Art unseres Umgangs mit Menschen uns allen aufgetragen ist.

Es wird auch an uns liegen, ob es entgegen einem ökonomistischen Menschenbild auch in Zukunft noch das christlich-humanistische geben wird.

Pfarrer Bodo Windolf

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