Predigt vom 7. Juli 2002 

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Wer war Jesus?"
Predigttext

14. Sonntag im Jahreskreis
7. Juli 2002
Sach 9,9-10
Röm 8,9.11-13
Mt 11,25-30

„Wer war Jesus?“ Diese Frage hielt das Christentum von Anfang an in Atem. Jesus selbst hat sie zu einer der Kernfragen unseres Glaubens gemacht: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15), fragt er eines Tages seine Jünger. Auf die Antwort des Felsenmannes Petrus hat Er ausdrücklich Seine Kirche gebaut: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“

Trotz dieser Antwort ist die Frage über die Jahrhunderte hinweg bis heute nicht zur Ruhe gekommen. Was heißt schon „Gottes Sohn“? Auch diese Auskunft ist vielfältig interpretierbar. Denn im Alten Testament galt z.B. auch der König oder das Volk Israel insgesamt als Sohn Gottes. Muss man nicht doch auf dem Teppich bleiben und die überhöhenden Aussagen der frühen Kirche über die Gottheit Jesu auf ein realistisches, heute vertretbares Maß zurückschrauben? War Jesus nicht doch nur ein großer Mensch, vielleicht ein religiöses Genie, ein charismatischer Wanderprediger, ein utopischer Sozialrevolutionär, ein schwärmerischer Freund von Randexistenzen, ein kraftvoller Prophet, ein Vorbild echter Menschlichkeit, als was alles er vielen Menschen heute gilt; sicher der Initiator des Christentums, aber am Ende doch nicht mehr als ein Religionsstifter unter anderen? Einer neben Buddha, Mohammed, usf.?

Jesus so zu sehen, fordert heraus, ihn einmal anderen Religionsstiftern gegenüber zu stellen. Und gerade das heutige Evangelium lässt uns ein überraschendes Detail erkennen.

Beginnen möchte ich mit einem der ganz Großen der Religionsgeschichte, mit Buddha! Kurz vor seinem Tod spricht er zu seinem getreuesten Freund Ananda, der verzweifelt fragt, wer denn nun die Leitung des Sangha (Ordens) übernehmen solle, folgende Worte: „Ich habe, Ananda, die Lehre dargelegt ... Ein Vollendeter, Ananda, glaubt nicht, dass er den Orden leiten müsse oder dass der Orden auf ihn angewiesen sei ... Darum, Ananda, seid selbst eure Insel, selbst eure Zuflucht; habt die Lehre als Insel, die Lehre als Zuflucht, habt keine andere Zuflucht!“ Etwas später fügt er hinzu: „Es mag sein, Ananda, dass bei einigen von euch die Meinung aufkommt: ‚Das Wort des Meisters ist erstorben, wir haben keinen Lehrer mehr!’ – So, Ananda, dürft ihr es nicht ansehen. Die Wahrheiten und die Ordensregeln, die ich dargelegt und für euch alle erlassen habe, die sollen nach meinem Tod euer Lehrer sein!“ (Dhiganikaya 16, 2, 25-26)

Es ist offensichtlich: mit diesen geradezu testamentarischen Worten weist Buddha ganz und gar von sich selbst weg allein auf die Lehre und die Wahrheit, die zu verkünden sein Auftrag war. Nicht auf ihn selbst, den Verkünder, kommt es an, sondern ausschließlich auf das Verkündete.

Ähnlich sieht es bei Mose sowie allen anderen Propheten des Alten Testaments aus. Nie verweisen sie auf sich selbst, sondern immer auf Jahwe, in dessen Auftrag sie sprechen. Deswegen beginnen sie, wie z.B. auch in der heutigen 1. Lesung, ihre Reden mit: „So spricht der Herr“, oder: „So spricht Jahwe, der Gott Israels“ (Ex 5,1).

Und noch einmal sehen wir dieselbe Art des Selbstverständnisses bei Mohammed, der sich in eine Reihe mit den alttestamentlichen Propheten stellt, auch wenn er sich als der letzte und abschließend Gesandte, nämlich als das „Siegel der Propheten“ versteht. Auch er verweist nicht auf sich selbst, sondern ganz und gar auf Allah, den und dessen Wort er allein zu verkünden hat.

Ganz anderes können wir nun bei Jesus beobachten. Nicht von sich selbst weg auf eine von ihm unterschiedene Lehre oder Wahrheit verweist er, sondern, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, in äußerster Schlichtheit auf sich selbst. „Kommt alle zu mir ...“, hören wir Ihn im heutigen Evangelium sprechen. Den von der Mühsal und den Lasten des Lebens Geplagten bietet er nicht die Befolgung einer Lehre oder eines ethischen oder asketischen Programms an, sondern sich selbst. An die Stelle einer abstrakten Lehre tritt er selbst als eine lebendige Person. Die Frage nach der Wahrheit ist nicht mehr eine Was-Frage: Was ist wahr und gut, erfüllend und heilbringend für mein Leben; sondern sie wird zu einer Wer-Frage: Wer ist es, der mein Leben wahr und gut, erfüllend und heilbringend macht? Und so liegt es ganz auf der Linie unserer heutigen Evangelienperikope, wenn Jesus im Johannesevangelium über sich sagt: Ich lehre euch nicht irgendeine abstrakte Wahrheit, sondern ich bin die Wahrheit, ich bin der Weg und ich bin das Leben; letztlich durch mich allein, durch mich als Person gelangt ihr zum Vater und darum zum Ziel eures Lebens (vgl. Joh 14,6).

Doch es folgt noch Erstaunlicheres: Derselbe, der in einem nicht mehr zu überbietenden Selbstbewusstsein die erfüllende Ruhe und sogar das Heil der Menschen an seine Person bindet, sagt zugleich über sich: „ ... denn ich bin gütig und von Herzen demütig.“ Man stelle sich vor, irgendeine menschliche Gestalt – und sei sie noch so verehrungswürdig wie z.B. ein hl. Franziskus oder eine Mutter Theresa – würde solches über sich sagen: Kommt zu mir! Schaut auf mich! Seht meine Demut! Wäre solches Sprechen nicht der offensichtliche Beweis nicht für Demut, sondern für das nackte Gegenteil, für Stolz, Hochmut, Überheblichkeit?

Der englische Schriftsteller C.S.Lewis, schreibt, dass der hier deutlich werdende Anspruch Jesu, mit dem Er auf sich selbst verweist; und die gleichzeitige Demut, die Er für sich behauptet, so herausfordernd sei, „dass nur zwei Ansichten über diesen Menschen möglich sind: entweder war er ein phantasierender Irrer von ungewöhnlich widerwärtiger Art, oder aber Er war und ist genau das, was Er sagt. Es gibt da keinen mittleren Weg“ (Über den Schmerz, Gießen 1988, 20).

Nur der Glaube, dass uns in Jesus Christus die unendliche Größe und Hoheit Gottes selbst begegnet, zugleich aber die Demut dessen, der bereit war, einer von uns zu werden und die Lasten und Mühsale unseres menschlichen Daseins mit uns und für uns zu tragen – allein dieser Glaube kann das heutige Evangelium für uns glaubwürdig machen. Sonst wäre es besser, es beiseite zu legen und sich überzeugenderen Dingen zuzuwenden.

Aber auch umgekehrt gilt: Die in ihrer inneren Spannung unerfindbaren Worte dieser Perikope erschließen uns den Glauben der Kirche über Jesus Christus als allein schlüssig. Niemand außer Gott darf uns einladen, zu ihm zu kommen, um von ihm her Ruhe, Rettung, Erquickung und Heil für unsere Seelen zu erwarten. Niemand außer Gott, der in die Niedrigkeit eines menschlichen Lebens hinabgestiegen ist, kann uns glaubwürdig seiner Demut versichern. Denn sonst wären solche Worte nur der Erweis von Einbildung und Hochstaplerei.

Es mag sein, dass viele vermeintlich Weise und Kluge dieser Welt dennoch anders über die Person Jesu Christi denken. Es braucht wohl auch die von Jesus im Evangelium gepriesene Einfachheit des Herzens, um glauben zu können: In Jesus Christus begegnet mir Gott selbst, nämlich der ewige Sohn des Vaters. Er begegnet mir in einem menschlichen Antlitz voller Güte und Demut. Er begegnet mir als der, der mich einlädt, all meine Sorgen und Nöte zu Ihm zu tragen, nicht weil er sie mir einfach abnehmen würde, sondern weil er mir jene Kraft schenkt, durch die ich sie leichter zu tragen vermag, weil ich mich von ihm getragen wissen darf.

Pfarrer Bodo Windolf

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