Predigt vom 15. September 2002 

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Die Liebe Gottes kennt keine Grenzen
Predigttext

St. Severin Garching
24. Sonntag im Jahreskreis
15. September 2002
Ev: Mt 18,21-35

Die Liebe Gottes kennt keine Grenzen

Kennt Gottes Liebe Grenzen? Setzt Gottes Liebe Grenzen? Stellt sie Bedingungen? Fordert sie Vorleistungen? „Nur wenn du dieses oder jenes tust und erfüllst, werde ich dir meine Liebe schenken und sie dir nicht entziehen.“

Wenn wir hinein horchen in die Grundbotschaft Jesu, kann es natürlich nur eine Antwort auf diese Frage geben: Nein. Gottes Liebe kennt und sie setzt keine Grenzen. Sie stellt auch keine Bedingungen. Wer in der Angst lebt: Ich muss mir diese Liebe erst verdienen; oder: So wie ich bin, kann Gott mich gar nicht mögen. Oder auch umgekehrt: Ich verdiene seine Liebe ja, wo ich doch ein so anständiger Kerl bin und eigentlich nichts Böses tue – wer so oder so denkt, hat noch nicht wirklich verstanden, was es heißt: Ich bin von Gott geliebt; einfach so, umsonst; ohne jede Vorleistung, weil ich ich bin; weil ich da bin, sein Geschöpf, seit Ewigkeit lebend in Gottes Herzen, seit meiner Zeugung in mein jetziges Dasein gerufen, ins Dasein geliebt.

Doch nun hören wir das heutige Evangelium. Es geht um Vergebung, also um eine bestimmte Gestalt der Liebe; nämlich um eine von den Gestalten, die sie annimmt, wenn ihr Böses widerfährt. Endet nun das Gleichnis Jesu nicht damit, dass es der Liebe Gottes in Gestalt Seiner Vergebungsbereitschaft doch eine Grenze setzt? „Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln – nämlich alles bis zum letzten Heller einfordern – der seinem Bruder (und seiner Schwester) nicht aus ganzem Herzen vergibt“, so beendet Jesus seine Gleichnisrede. Mit anderen Worten: Nur wenn du vergibst, wird auch Gott dir vergeben. Also doch Bedingungen, Vorleistungen?

Gehen wir der Reihenfolge nach vor und fragen wir, worum es Jesus zunächst einmal geht.

Das erste, um das sich alles dreht, könnte man bezeichnen als eine radikale Entgrenzung unserer menschlichen Liebe, und zwar nach dem Vorbild Gottes.

Vermutlich empfinden wir es wie Petrus, dass es doch eigentlich schon recht hoch gegriffen und ausgesprochen großmütig ist, wenn wir immerhin bereit sind, siebenmal zu verzeihen. Irgendwann muss ja mal Schluss damit sein. Alles hat seine Grenze.

Die Antwort Jesu: nicht sieben mal, sondern siebenundsiebzig mal, ist eine Ausweitung, die alle menschlichen Maßstäbe sprengt und unsere oft so kleine menschliche Liebe unmittelbar mit der ungeheuren Weite der Liebe Gottes konfrontiert und uns herausfordert, von dieser Liebe her unsere Maßstäbe zu nehmen und uns ausweiten zu lassen.

Dann erzählt Jesus ein Gleichnis zur Illustration seiner Forderung. Frage: Der Diener, der mit seinen 10 000 Talenten Schulden vor den König tritt – wer ist das eigentlich? Die Antwort kann nur lauten: Das ist der Frager selbst, das ist Petrus, ja das ist jeder von uns. Das griechische Wort für „zehntausend“ (mnrioi), bezeichnet die höchste Zahl, die das Griechische kennt. Diese ungeheure, unbezahlbare Summe kann entsprechend nur heißen: Mit restlos allem, was wir sind und haben, stehen wir in Gottes Schuld; und noch einmal mehr durch das, wodurch wir an ihm und anderen tatsächlich schuldig werden, oft vielleicht weniger durch das Böse, das wir tun, als viel mehr durch das Gute, das wir aus Lauheit, Oberflächlichkeit, Bequemlichkeit, kurz: aus mangelnder Liebe unterlassen. Es geht hier gar nicht mehr darum, zu messen und zu vergleichen: Ich bin doch gar nicht so schlimm! Ich bin zumindest besser als der oder die, und meine Schuld ist ja gar nicht so groß. All das tut jetzt hier gar nichts zur Sache, wird beiseite gewischt. Es geht allein darum, dass auch wir, wir alle, letztlich wie der Diener mit leeren Händen vor Gott stehen, nicht zuletzt auch aufgrund persönlicher Schuld, die wir selbst nicht zu messen vermögen, weil das Gericht allein die Sache Gottes ist.

Doch nun geschieht Überwältigendes. Der Diener hatte gar nicht um Erlass, sondern nur um Aufschub der Schuld gefleht. Doch im diesem Augenblick darf er dem Geheimnis der Liebe Gottes, dem keine Grenze kennenden Erbarmen des Königs begegnen. Die leeren Hände des Dieners, seine Ohnmacht, sein Nichtvermögen fordern das Mitleid und die Barmherzigkeit dessen heraus, vor dem er kniet und es geschieht das restlos Unerwartete: er erlässt die ganze ungeheure Schuld; sie wird einfach durchgestrichen, der Schuldschein zerrissen.

Doch an dieser Stelle nimmt das Gleichnis eine empörende Wendung. Die Weise, wie Jesus das anschließende Verhalten des Knechtes schildert, zeigt: die Liebe und die Barmherzigkeit, die der König in geradezu verschwenderischer Weise über ihn ausgegossen hat, waren verschwendet; haben ihn gar nicht wirklich erreicht; sind an ihm abgetropft wie Regen an einer wasserdichte Regenhaut. Nicht der König ist es, sondern der Diener, der hier eine Grenze setzt; eine Grenze, durch die die Liebe und die Vergebung des Königs ihn innerlich gar nicht erreichen, viel mehr an ihm abprallen. Wenn er daher aufgrund seines unbarmherzigen Verhaltens doch in den Schuldturm muss, um seine ganze Schuld selbst zu begleichen, dann bedeutet das nicht, dass der König beziehungsweise Gott seine Vergebungsbereitschaft zurücknähme und ihr damit eine Grenze setzen würde. Nein, es kann hier im Grunde gar keine Vergebung stattfinden, obwohl der König beziehungsweise Gott vergeben will. Denn dass Vergebung in mir überhaupt ankommen kann, setzt voraus, dass ich bereit bin, das Böse und zwar alles Böse, das in mir ist, loszulassen, zu bekennen, zu bereuen, mich davon zu distanzieren, selbst dann, wenn ich immer wieder in alte Fehler und Sünden zurückfalle. Nicht verzeihen zu wollen aber heißt: Ich will den Groll über einen Menschen, die Wut, den Hass, die Vergeltungsgelüste, die Bitterkeit nicht loslassen. Ich will daran festhalten. Ich will nicht verzeihen. Ich will das nicht loslassen, was so oft menschliche Beziehungen vergiftet: Ehen vergiftet, Familien vergiftet, Freundschaften vergiftet, nicht zu letzt mich selbst vergiftet. Und wo ich daran festhalte, wie soll dann mir überhaupt umfassend Vergebung geschenkt werden können? Wie könnte dann überhaupt Raum in mir sein für das Ankommen von göttlicher und mich verwandelnder Vergebung?

Natürlich kann es sein, dass ein Mensch es jetzt einfach noch nicht vermag, zu verzeihen.

Aber dann ist immer noch eines möglich, nämlich zu sagen: Ich entscheide mich, ja ich bete: Ich will verzeihen können, auch wenn ich es jetzt noch nicht vermag, auch wenn ich es jetzt noch nicht emotional vermag, weil die Gefühle in mir einfach noch zu verletzt sind. „Schau, Gott, auf meine Ohnmacht, auf meinen Groll, auf das Nicht-vergessen-und-nicht-verzeihen-Können und gib Du mir die Kraft dazu.“ Wer so betet, wer so mit sich selbst und einer schweren Verletzung durch andere Menschen auf diese Weise ringt, für den gelten die letzten Worte Jesu aus dem heutigen Evangelium nicht. Ihm wird Verzeihung gewährt, wenn er bittet, und sicher mit der Zeit, die wir uns zugestehen dürfen und die uns sicher auch Gott zugesteht, auch die Kraft, selber verzeihen zu können, nicht nur siebenmal, sondern siebenundsiebzig mal, also unbegrenzt.

Vielleicht sind keine anderen Menschen so sehr Exerzitienmeister für die Einübung der Liebe, als gerade jene Menschen, denen wir immer wieder verzeihen und so manches nachsehen müssen.


Und so dürfen wir mit allem, das uns belastet in dem Vertrauen zu Gott kommen, dass Seine Liebe und Seine Vergebungsbereitschaft niemals eine Grenze setzt. Die können nur wir selbst aufrichten, aus unserer Freiheit heraus, die Gott niemals antastet. Beten wir darum, dass die Güte, das Verständnis, die Nachsicht und die Vergebungsbereitschaft, die Gott für einen jeden von uns bereit hält, dass auch wir dies anderen Menschen zu schenken bereit sind, um so in der Liebe zu wachsen und zugleich dem Frieden und der Versöhnung um uns herum zu dienen.

Pfarrer Bodo Windolf

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