Predigt vom 24. November 2002 

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Über das „christliche Menschenbild“
Predigttext

St. Severin Garching
34. Sonntag im Jahreskreis 24. November 2002 „Christkönigssonntag“
(Patrozinium St. Katharina)
Ev: Mt 25,31-46

Über das „christliche Menschenbild“ – woher es kommt, was es bedeutet

„Das christliche Menschenbild“ – in letzter Zeit oft zitiert, oft im Munde geführt, nicht zuletzt im Zuge der Selbstvergewisserung der Unionsparteien, ob überhaupt noch, und wenn ja, welche Bedeutung das C in ihrem Parteinamen noch hat – das christliche Menschenbild: was ist das eigentlich? Kann man sicher sein, dass alle, die davon sprechen, auch eine genaue Vorstellung davon haben? Ich vermute, eher nicht. Daher möchte ich einmal versuchen, dieser Frage nachzugehen, wobei ich den Zugang zu einer Antwort über einen geschichtlichen Vergleich finden will. Was war eigentlich in Bezug auf das Menschenbild der Antike das Neue, das Unterscheidende, das damals vor zweitausend Jahren durch das Christentum nicht nur in der Kirche, sondern im Verlaufe der Jahrhunderte auch in Staat und Gesellschaft wirksam wurde?

Deutlich wird das, wenn man einmal einen literarischen Vergleich zwischen den Evangelien und der anderen Literatur der Antike anstellt, und  zwar vor allem in bezug auf die Menschen, die hier jeweils begegnen. In den Evangelien sind dies in erster Linie die ganz und gar einfachen Leute, ja die Randständigen: neben den Handwerkern, Fischern, Soldaten und anderen auch die Zöllner, die Dirnen, im heutigen Gleichnis die Hungernden, Frierenden, Nackten, Gefangenen – alles Menschen, mit denen kein großer Staat zu machen ist. Dabei kommen sie nicht nur einfach vor, sondern sie spielen die Hauptrollen in der Dramaturgie der Evangelien; kaum einmal, dass sich ein Höhergestellter dahinein verirrt, um dann in der Regel auch keine allzu gute Figur zu machen. 

Ein weiteres tritt hinzu: In all diesen Kleinen, Einfachen, Niedrigen und Erniedrigten spiegelt sich etwas von dem wieder, der die Hauptfigur der Evangelien ist und selbst zum Letzten der Letzten, zum Niedrigsten der Erniedrigten, zum Gequältesten der Gequälten, ja zum Abschaum wurde: Jesus Christus, der Menschensohn, der Gekreuzigte, der restlos Geschmähte.

All diese Hauptfiguren des Evangeliums hatten nun nach den Stilregeln der antiken Welt keinerlei Anspruch auf literarische Gestaltung, kamen einfach nicht vor – außer in Komödien, in denen man sich über sie belustigte; ganz zu schweigen von ihrer gesellschaftlichen Stellung, nämlich der der Frauen, der Kinder, der Sklaven, der Kranken und Behinderten: weitestgehend, teilweise sogar vollkommen rechtlos in der damaligen Gesellschaft, dem zufälligen Wohlwollen und damit der Willkür ihrer Herren ausgeliefert. Das Ideal ist der freie, den schönen Künsten zugewandte Mann, dargestellt in den makellosen Körpern antiker Helden- und Götterstatuen.

Eine neue Sicht des Menschen begann sich erst im Evangelium den Weg zu bahnen; begann sich den Weg zu bahnen, als eine Dirne den Fuß Jesu berühren durfte, ohne fortgejagt zu werden; als Zöllner und Sünder den Tisch mit dem teilten, der voller Erbarmen auf der Suche nach den Verlorenen war; als die Armen, Trauernden und Verfolgten von dem selig gepriesen wurden, der als Armer unter Armen lebte; als der Gekeuzigte und von menschlicher Bosheit zu Tode Gefolterte zum „Ecce homo“, zum „Siehe da, der Mensch“ wurde; als die Liebe Gottes sich der Niedrigkeit menschlicher Existenz zuneigte, indem sie sich bis ins Äußerste selbst erniedrigen ließ.

Gerade auch die hier erfahrene neue Art der Liebe ist genau das, was eingehen wird in das Neue des christliche Menschenbildes. Im Griechenland und Rom der Antike ist die Liebe eine Form des Begehrens, des Strebens von unten nach oben: der Unvollkommene liebt das Vollkommene, der Niedrige das Höhere, niemals umgekehrt. Daher kann nach Platon und Aristoteles das höchste Sein, also Gott oder das Göttliche, nicht lieben. Da sich sein Begehren nicht mehr nach noch Höherem ausstrecken kann, wird es als das Höchste zwar geliebt, aber es liebt nicht selber.

Dagegen vollzieht sich im Christentum nun eine „Bewegungsumkehr der Liebe“, wie es der Philosoph Max Scheler ausgedrückt hat: Jetzt erweist „sich die Liebe gerade darin, „dass das Edle sich zum Unedleren herabneigt ..., der Gesunde zum Kranken, der Reiche zum Armen, der Schöne zum Hässlichen, der Gute und Heilige zum Schlechten und Gemeinen, der Messias zu den Zöllnern und Sündern – und dies ohne die antike Angst, dadurch zu verlieren und selbst unedel zu werden, sondern in der ...Überzeugung, im (Akt)vollzug dieses Beugens, ... in diesem Sich-verlieren das Höchste zu gewinnen – Gott gleich zu werden“. (zitiert nach H. Maier, Welt ohne Christentum, 29)

Angewendet auf unser heutiges Gleichnis: Wo wir uns dem Menschen in Liebe zuwenden, insbesondere den Geringsten unter ihnen: den Hungernden, den an Leib und Seele Frierenden, den Gefangenen und Verfemten, den Verwahrlosten und Verachteten, den Kranken und Sterbenden, da wenden wir uns in ihnen nicht nur Gott selbst, Christus selbst zu, sondern wir werden Ihm ähnlich; wir werden Gott ähnlich, weil wir uns hineinziehen lassen in die Bewegung Seiner zu uns herabsteigenden Liebe. 

Es gibt keine radikalere Identifikation Gottes mit uns Menschen, als die, die Jesus im heutigen Gleichnis ausspricht: Was ihr den Geringsten unter den Menschen getan oder auch nicht getan habt, das habt ihr mir getan oder auch nicht getan. Und: Es gibt keine radikalere Identifikation Gottes mit uns Menschen als die, die Jesus getan hat in seiner Menschwerdung und Kreuzigung. Der Gottessohn als Menschensohn am Kreuz hängend: hier hat das christliche Menschenbild sein unüberholbares Urbild. Was klein ist, gering, verachtet, entwürdigt, in den Staub getreten, weggeworfen – ist nunmehr sein Abbild; Abbild dessen, dessen königliche Würde auch noch am Kreuz durchscheint; dessen königliche Würde wir heute feiern und der allen Genannten teilgibt an eben dieser Würde. 

Wer auf der rechten Seite bei den Schafen, nicht bei den Böcken stehen will, darf diese Würde von nun an keinem Menschen mehr vorenthalten. Und wie wir sie achten durch unser Denken, Reden und vor allem Handeln wird der Maßstab im letzten Gericht sein.


Ich habe unser christliches Menschenbild, um das es in dieser Predigt ging, kaum je tiefer ausdrücken hören als in den Worten Mutter Theresas, die ihren Dienst an den Ärmsten der Armen nach eigener Aussage nur aus ihrer tiefen eucharistischen Frömmigkeit heraus auszuüben vermochte. Mit einem Zitat aus ihrem Mund will ich schließen: „Ich kann nicht leben ohne Heilige Messe und Kommunion, nicht ohne Jesus. Wenn ich aber Jesus in der Gestalt des Brotes sehen kann, dann kann ich Ihn auch in den zerschundenen Leibern der Armen sehen. Deshalb brauche ich dieses Einssein mit Christus. Und wenn ich diesen tiefen Glauben an die Eucharistie habe, dann ist es mir natürlich auch möglich, Ihn in den zerbrochenen Körpern zu berühren ...“

Pfarrer Bodo Windolf

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