Predigt vom 12. Januar 2003

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Wer ist ein Heiliger?
Predigttext

St. Severin Garching
Taufe des Herrn und Patrozinium zu St. Severin am 12. Januar 2003
Les: Jes 42,5a.1-4.6-7; Apg 10,34-38
Ev: Mk 1,7-11

Wer ist ein Heiliger?

Zwei Feste an einem Tag: Fest der Taufe des Herrn und Fest des Patroziniums unserer Pfarrgemeinde; Fest Jesu Christi, auf dessen Namen wir alle auch getauft sind und Fest seines heiligen Dieners Severin. Lassen sich beide Feste miteinander verklammern?

Ja, ich denke schon. Am besten vielleicht über die Frage: Wer ist denn eigentlich ein Heiliger?

Eine Antwort könnte lauten: Ein Heiliger ist ein Mensch, der es mit Hilfe der Gnade Gottes vermocht hat, radikal, das heißt bis an die Wurzel das ganze eigene Dasein erfassend, aus der Gnade der  Taufe zu leben; und zwar auf eine immer einmalige, je ganz persönliche Weise. Heilige waren zu allen Zeiten große, originelle Persönlichkeiten mit einem unverwechselbaren Profil, so auch der heilige Severin.

Doch Frage: Ist Heiligkeit nur der Weg einer winzigen Elite aus der unabsehbaren Schar der Getauften? Unser jetziger Papst wird nicht müde zu betonen, dass im Grunde ausnahmslos jeder Christ, also auch jeder von uns, zur Heiligkeit berufen ist. Wir sind berufen, zum Resonanzraum jenes Rufes zu werden, den wir vorhin gehört haben: „Du bist mein geliebter Sohn! Du bist meine geliebte Tochter!“ – eine Liebeserklärung des Vaters, die nicht nur seinem Sohn Jesus Christus gilt, sondern in ihm uns allen; auch uns zugesagt in unserer eigenen Taufe. Als von Gott Geliebte aus dieser Liebe heraus zu glauben, zu vertrauen, zu hoffen, zu beten und wieder zu lieben, Gott und unsere Mitmenschen, und dies entschieden, radikal, bei Versagen in immer wieder neuen Anläufen und Versuchen zu tun – das heißt Christ sein; das heißt, den Weg der Heiligkeit gehen, mit anderen Worten: den Weg des Heilwerdens. Im Wort heilig steckt ja nicht von ungefähr das Wort heil im Sinne von heil werden und heil sein. Der Weg der Heiligkeit als ein Weg des Heilwerdens, damit gleichsam Medizin für Wunden, Leiden, Verkehrtheiten, Sünden unserer Zeit, unserer Gesellschaft, von uns selbst.

Schlaglichtartig nur zwei Wunden, zwei Krankheiten im Profil des modernen Menschen, hochgradig ansteckend auch für uns Christen, aber heilbar in einem entschiedenen Weg des Glaubens.

Eine erste Wunde: Der moderne Mensch hat einen bis zum Rand gefüllten Terminkalender, kaum eine Minute die nicht schon verplant wäre, und daher vielfach kaum mehr Zeit für das eigentlich Wichtige des Lebens: zum Beispiel für die Familie, und am allerwenigsten Zeit für Gott. Eine endlose Unrast beherrscht, ja versklavt unzählige Menschen unserer Zeit, permanente Geschäftigkeit in Arbeits- und Freizeitstress, ein ständiges sich Aufhalten in so viel Unwesentlichem, Unbeständigem, das uns kaum zur Besinnung kommen lässt. Was heute top ist, ist morgen schon hop.

Renate Köcher vom demoskopischen Institut Allensbach hat erst kürzlich in einem Artikel im Rheinischen Merkur als symptomatisch für dieses Leben im Unbeständigen, in der Zerstreutheit und ohne Bereitschaft, in die Tiefe zu gehen, das folgende Phänomen beschrieben: Die Menschen sind „heute immer mehr von kurzlebigen Aufregungszyklen bestimmt, die sich in rasender Folge ablösen ... BSE, Terroranschläge, Pisa, Nitrofen, Amoklauf von Erfurt, Geiselnahme von Moskau, Jahrhundertflut, Irak-Kriese. Die Ereignisse lösen sich in kürzester Folge ab und fesseln und beschäftigen die Menschen jeweils für einige Tage, manchmal Wochen und verschwinden wieder, teilweise so, als hätte es sie überhaupt nicht gegeben.“

Diese ungeduldige, sensationshungrige Orientierung an kurzlebigen Ereignissen liegt nach Renate Köcher quer zum geduldigen und in die Tiefe gehenden Fragen nach Sinn, Religion, religiöser Erziehung und ethischen Fragen.

Demgegenüber wird nun der Christ sicher keinen weniger gefüllten Terminkalender und beileibe auch kein geringeres Interesse an den genannten Themen haben. Wohl aber wird er jemand sein, der mitten im rasenden Fluss der Zeit hat, nein, sich Zeit nimmt für das, was Bestand hat, für das Ewige, für das die Zeit Tragende und ihr Sinn Verleihende, für Gott. Der Christ wird ein nachdenkender und vor allem betender Mensch sein. Ein Christ ohne Gebet ist wie ein Schwimmbecken ohne Wasser. Ein Christ aber, der betet, heiligt sich und die, für die er betet und heilt jene klaffende Wunde unserer Epoche, die im Vergessen Gottes und damit im oft schmerzlichst empfundenen Verlust des Lebenssinns vieler Menschen besteht.

Eine zweite Wunde sei illustriert an einem tagespolitischen Ereignis. Dass jemand einen gefüllten Terminkalender hat, ist in unserem Land geradezu zu einem Privileg geworden. Über vier Millionen Arbeitslose teilen dieses Privileg nicht. Der gestrige Tarifabschluss erscheint mir persönlich als symptomatisch für unser Land und auch als ein Schlag ins Gesicht dieser vier Millionen Menschen. Die besitzende Schicht der Arbeitsplatzbesitzer streicht ein, wir wissen nicht, wie vielen dies wieder ihre Arbeitsstelle kosten wird. Vier Millionen, eine anonyme Zahl. Dahinter verbergen sich ungezählte Einzelschicksale, oft ganze Familien. Wir alle wissen, dass wir kürzer treten müssten. Aber bitte die anderen, doch nicht ich. Wir alle wissen, dass wir alle miteinander schon seit drei Jahrzehnten weit über unsere Verhältnisse leben, und hier und heute das Geld und den Wohlstand der zukünftigen Generation verfrühstücken. Aber was geht mich das an? Nach mir die Sintflut! Mag sein, dass die Politik und die Politiker einiges zu wünschen übrig lassen. Aber mit Verlaub gesagt: es ist auch nicht einfach, ein Volk von unzähligen Egoisten zu regieren, wobei die gewiss nicht wenigen Ausnahmen, die es gibt, leider doch nur bestätigen, was bei uns tendenziell zur Regel geworden ist: zunächst einmal das eigene Scherflein ins Trockene bringen, alles andere ist höchstens zweitrangig.

Was zeichnet dagegen den Christen aus? Nicht in erster Linie Selbstbehauptung, nicht zuallererst „Ich, Ich“ stehe ganz oben auf der Agenda, sondern Du; Du, mein Mitmensch. Damit es Dir gut geht, kann ich auch auf etwas verzichten, kann ich zuerst an dich denken, für dich da sein, mich dir geben. Du statt vor allem ich, Hingabe statt vor allem Selbstbehauptung, auch einmal Verzicht statt immer nur haben wollen. Tun das nur Christen? Nein, sicher nicht. Aber wir sollten es besonders radikal tun, heiligmäßig, und so wiederum uns und andere heiligend und heilend.

„Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter.“ So spricht Gott zu Jesus, so spricht er zu uns. Aus dieser Liebe leben, diese Liebe leben – das heißt Christsein; das heißt, heil und heilig zu werden, wozu wir alle berufen sind.

Pfr. Bodo Windolf

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