Predigt vom 18. April 2003

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Gottes erlösendes Mitleiden mit seinem Geschöpf
Predigttext

St. Severin Garching
Karfreitag 18. April 2003
Les: Jes 52,13-53,12; Hebr 4,14-16; 5,7-9
Ev: Joh 18,1-19,42

Gottes erlösendes Mitleiden mit seinem Geschöpf

"Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so dass wir ihn (überhaupt) anschauen mochten. Er sah nicht so aus, dass wir Gefallen fanden an ihm. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt (die Augen einfach abwendet), war er verachtet; wir schätzten ihn nicht."

Ja, das Leid hat vielerlei Gestalt. Wo es uns gleichsam als Sensation entgegentritt, in Gestalt einer Katastrophe, eines Krieges, eines terroristischen Gewaltverbrechens können viele sich kaum satt genug sehen an den Bildern, die uns davon täglich frei Haus geliefert werden, besonders wieder in diesen Tagen des Irakkrieges. Tritt das Leid aber in seiner erbärmlichen, elenden, den Menschen verunstaltenden, entwürdigenden und erniedrigenden Gestalt an uns heran – wenden wir dann nicht allzu schnell unsere Augen davon ab?

Das Kreuz und der Gekreuzigte daran – wird beides, die zweieinhalb Jahrtausende alten Worte des Propheten Jesaia bestätigend – nicht mehr und mehr als Zumutung empfunden für unser ästhetisches und das Leid verdrängen wollendes Empfinden? Kaum mehr ein Haus, in das ich komme, in dem ein Kreuz geschweige denn ein Kruzifix hängen würde. Gelegentlich konnte ich hören, dass man gerade Kindern diesen Anblick doch nicht zumuten könne, was ja auch eins der Argumente ist für die, die es aus der Schule verbannt sehen wollen.

Aber auch darüber hinaus: Die Altersheime – sind sie nicht zu Orten geworden, die uns den Anblick alter, gebrechlicher, zitternder, vereinsamter Menschen "Gott sei Dank" ersparen. Die Stimmen, die sagen, der Papst solle doch endlich abtreten – ertragen sie unter anderem einfach nicht sein elendes Aussehen? Und doch gehört gerade das ja ganz sicher zu einem ganz wichtigen Teil seiner Botschaft: das Feld nicht einfach den auf Hochglanz gestylten Medienstars zu überlassen, sondern zu dem zu stehen, was Alter und Krankheit aus ihm gemacht haben, es nicht zu verstecken, sein Aussehen nicht zu verstecken, sondern sich darin mit denen solidarisch zu zeigen, die ein ähnliches Schicksal teilen.

Doch der, der die Solidarität gerade auch mit dem entwürdigenden Elend menschlichen Leides ist; der, der diese Solidarität ist, das ist nicht der Papst oder sonst irgendeine der Leidensgestalten der Weltgeschichte, sondern das ist allein Jesus Christus; Er allein ist es, weil in ihm Gott selbst elend wurde; elend wurde bis zu dem Punkt, wo viele sich empört oder spottend abwenden.

Unfasslich, dass Gott sich "in dieser niedrigen Maske", wie Friedrich Dürrenmatt 1946 in seiner frühen Erzählung "Pilatus" schrieb, sich dem gaffenden, weilenden, sich schließlich gleichgültig weg wendenden Blicken der Menschen aussetzt. Gott, ein solcher Anti-Star, ein solcher Anti-Heroe, Gott, so ganz und gar menschlich, dass Er sich so schauderhaft nackt und wehrlos menschlicher Bosheit aussetzt? Mit den Worten Dürrenmatts: "Die Männer umschritten den Gott wie zum Tanz, berührten wie zum Spiel mit den schmalen Peitschen seinen Leib, um dann plötzlich in rasender Wut auf ihn einzuhauen, worauf sich die bleiernen Köpfe tief in den Leib Gottes gruben, so dass sein Blut aus dem Fleisch brach, war ihm (Pilatus) der ruhig gesessen, mit unendlicher Qual erfüllte, da er im Geheimen erwartet hatte, die Peitschen würden an Gott wie an Marmor abgleiten."

Nein, nichts gleitet hier ab. Ganz tief bohrt sich unser Leid in das Herz und in den Leib dieses göttlichen Menschen und menschlichen Gottes.

Unerträglich findet das Deisetz Teitaro Suzuki, einer der großen Vermittler fernöstlicher

Religiosität an den Westen. Er schreibt: "Immer wenn ich ein Bild des gekreuzigten Christus sehe, muss ich an die tiefe Kluft denken, die zwischen Christentum und Buddhismus liegt. Auch Buddhisten sprechen oft vom Leiden, aber für sie sitzt Buddha heiter lächelnd unter dem Bodhi-Baum am Fluss Naranjana. Christus trägt sein Leiden bis ans Ende seines irdischen Lebens. Buddha dagegen ...verschied sacht ...Christus hängt hilflos, voller Traurigkeit an dem senkrecht aufragenden Balken. Für das östliche Empfinden ist der Anblick fast unerträglich...." Ja ,es stimmt, was Suzuki hier schreibt: Wer nicht versteht, nein, wer nicht glauben kann, dass hier das Herz Gottes bis in seine tiefsten Tiefen aufgerissen ist und daher hier alles Liebe ist, Liebe, die sich nicht scheut, im Durchbohrtwerden von menschlicher Bosheit und Grausamkeit das absolut Unerträgliche mit uns Menschen und vor allem für uns Menschen zu tun, zu tragen und zu ertragen – der wird sich in der Tat abwenden und es als unerträglich ablehnen.

Aber für Christen ist wenn, dann hier eine Antwort auf unser menschliches Leid zu finden. In der Predigt am vorletzten Sonntag an die Firmlinge habe ich den Aspekt der menschlichen Freiheit betont. Gott will keine Welt ohne Krieg und Gewalt, wenn er uns zu diesem Zweck zu seinen Marionetten degradieren müsste, die an seiner Strippe gar nicht anders können als gut und friedfertig handeln. Nein, er will uns, jeden Menschen als freie Mitarbeiter an einer besseren Welt. Am Kreuz aber wird uns eine Antwort gegeben, die weit darüber hinausgreift. Hier theoretisiert Gott nicht über das Leid. Hier gibt er keine erklärenden Antworten. Hier geht er auch nicht einfach am Leid vorbei oder entwickelt eine Strategie, um sich dagegen zu immunisieren. Nein, hier leidet er einfach mit; mit uns, mit allen Leidenden dieser Erde. Er leidet aus Liebe; er verwandelt die erlittene Schuld und Bosheit in jene Liebe, die in ihm ist und sich als unendlich stärker erweist. Und weil in ihm die erlittene Schuld zu leidender göttlicher Liebe wird, daher ist das Kreuz der Ort der Erlösung, der Ort, von dem aus wir auf Jesu Ostern, auf unser Ostern, sofern wir glauben, und auf das endgültige Ostern der ganzen Welt blicken dürfen. Weil es Ostern gibt, ist für uns das Kreuz aushaltbar, anschaubar, nicht Ende, sondern Durchgang zum liebenden Herzen des Vaters.

Pfr. Bodo Windolf

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