Predigt vom 21. März 2004 (4. Fastensonntag)

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Der «verlorene» Sohn und der «selbstgerechte» Sohn des barmherzigen Vaters
Predigttext

Vierter Fastensonntag 21. März 2004
Les: Jos 5,9a.10-12; 2 Kor 5,17-21
Ev: Lk 15,1-3.11-32

Der « verlorene » Sohn und der « selbstgerechte » Sohn des barmherzigen Vaters

Das Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ - oder vom „Barmherzigen Vater“, wie es andere lieber betiteln möchten – lässt niemanden kalt. Es zwingt geradezu dazu, ganz besonders der Schluss, parteiisch zu sein. Die einen werden sich ganz spontan zu diesem Vater hingezogen fühlen. Überwältigend, einen solchen Vater zu haben, der einen niemals endgültig abschreibt, der einem immer noch eine Chance gibt, der sich nicht zu schade ist, selbst noch den verkommensten Typen in seine Arme zu schließen.

Andere werden sich vielleicht sogar mit einem Schuss Empörung auf die Seite des älteren Sohnes schlagen: einfach ungerecht, was hier passiert, unmöglich, eine Beleidigung für jeden recht denkenden und recht tuenden Menschen. Was hat man denn dann eigentlich noch davon, wenn man sein Leben nicht vergeudet und verludert? Das ist doch geradezu eine förmliche Einladung, auszubüchsen aus allem, was das Leben in rechte, gute und ordentliche Bahnen lenkt – und gerade das ist ja eine der größten Sorgen, die Eltern für den Lebensweg ihrer Kinder haben.

Liebe Gemeinde!

Einer der schwersten Kämpfe, die Jesus zu Seiner Zeit auszufechten hatte, war der gegen die Selbstgerechtigkeit, besonders die Selbstgerechtigkeit der Rechtdenkenden und Rechttuenden. Nie hat Er gegen das Rechttun als solches polemisiert; wohl aber dagegen, wenn es sich mit Selbstgerechtigkeit und Hochmut gegen den so genannten Abschaum gepaart hat. Genau dies ist die Situation, aus der heraus Er sein Gleichnis erzählt. Mit Zöllnern und Sündern, also mit von Gott Verfluchten – in den Augen der Pharisäer und Schriftgelehrten, mit dem Abschaum sitzt Er zusammen, ja isst sogar mit ihnen. Im älteren Sohn des Gleichnisses spiegelt sich genau dieses politische und religiöse Establishment seiner Zeit; nein, es spiegeln sich in ihm die Selbstgerechten aller Zeiten und Orte.

Was möchte Jesus ihnen vor Augen führen? Natürlich liegt Ihm gänzlich fern, ein Loblied auf Menschen zu singen, die sich bewusst vom Glauben ihrer Kindheit abkehren, nur noch ihr eigenes Leben leben wollen bis dahin, dass sie es durch exzessive Lebensweise selbst zerstören. Wäre der jüngere Sohn an diesem Punkt stehen geblieben, in einem Zustand der Verstockung, der Nicht-Umkehr-Bereitschaft, dann hätte auch der Vater nichts für Ihn tun können. Denn dieser Vater lässt uns Menschen frei; nichts respektiert Er mehr als unsere Freiheit, selbst dann, wenn wir den Weg der Selbstzerstörung wählen, den Zustand der Ferne vom Vater - und das ist eigentlich gar nichts anderes als der selbst gewählte Gang in die Hölle. Aber genau an dem Punkt, wo es nur noch eine Alternative gibt: entweder endgültige Abkehr von diesem Vater und damit endgültige Selbstzerstörung, oder Umkehr, Reue, Buße, Verdemütigung, Bekenntnis, hoffen auf die Chance zu einem Neuanfang – genau dieser Punkt wird zum Wendepunkt. Das In-sich-gehen, nachdem dieser Hallodri vorher nur außerhalb von sich in der Zerstreuung gelebt hat, wird zum Wendepunkt. Aus der Ferne holt ihn die Liebe des Vaters ein; aufsteigend aus seiner Erinnerung lässt er sich von ihr berühren. Wie hätte er es sonst wagen können, den Weg zurück zu gehen, zurück zum Vater, den er so kaltschnäuzig verlassen hatte?

Das Seltsame an seinem älteren Bruder ist: Obwohl er immer in der Nähe des Vaters gelebt hat, Ihn nie verlassen hat, treue Pflichterfüllung sein Leben lang geübt hat – dass er gerade vom Felde kommt, steht für sein ganzes Pflichtethos – trotz all dem hat er sich nie wirklich von der Liebe seines Vaters berühren lassen. Irgendwie ist sie ihm äußerlich geblieben, hat ihn nie innerlich erreicht, ist an ihm abgetropft wie Wasser an einer Regenhaut. Das ist das Problem des selbstgerechten Gerechten – nicht nur damals, sondern auch heute. In der Ferne war dem jüngeren Sohn der Vater auf einmal so nahe, dass er umkehren konnte. In der Nähe war der ältere Sohn dem Vater so fern, dass er seine eigene Umkehrbedürftigkeit gar nicht spürte. Wer aber nicht spürt, wie sehr wir alle ohne Ausnahme auf die Barmherzigkeit des Vaters angewiesen sind, der neigt auch sehr schnell zu einem harten und unversöhnlichen Urteil über andere. Nur wer die barmherzige Liebe des Vaters auch für sich selbst zulässt in dem tiefen Bewusstsein, dass ich ohne sie verloren bin, weil keiner von uns vor der Heiligkeit Gottes bestehen kann – nur der wird auch barmherzig zu anderen sein können.

Liebe Gemeinde!

Den selbstgerechten Gerechten, der ja niemanden umgebracht und auch sonst kein furchtbares Verbrechen angestellt hat und daher in einem merkwürdigen Unschuldswahn lebt, den gibt es auch heute. – Wie oft staune ich einfach nur über so manche Unschuldslämmer, wenn ich zum Beispiel mit jemandem auf die Beichte zu sprechen komme und die betreffende Person sagt mir, sie wüsste gar nicht, was sie beichten sollte. Wie gesagt, ich kann da oft nur staunen, wie wenig sich so mancher offensichtlich selber kennt. Ich möchte einfach behaupten: Je mehr ein Mensch Gott liebt, und je mehr er auch Liebe hat für die Menschen um ihn herum, um so ausgeprägter wird auch das Gespür, die Sensibilität für die eigenen Grenzen der Liebe sein; nicht im Sinne eines dauernden niederdrückenden Sündenbewusstseins, sondern begleitet vom befreienden Vertrauen, dass ich mich immer wieder neu wie der verlorene Sohn in die Arme des barmherzigen Vaters werfen darf.

Am eindringlichsten geschieht das im Empfang des Sakramentes der Versöhnung, der heiligen Beichte, zu der ich Sie einfach ermutigen möchte. Auch dem älteren Sohn des Gleichnisses stehen die ausgebreiteten Arme des Vaters offen. Auch auf ihn wartet er. Auch ihn will er seine barmherzige Liebe spüren lassen, damit er selbst barmherzig werde zu seinem Bruder, zur Mitfreude fähig, weil dieser, sein Bruder, tot, und nun wieder lebendig, weil er verloren und nun wieder gefunden ist.

Im Gleichnis bleibt offen, wie er auf die Einladung des Vaters reagiert; ob er, der nur scheinbar Gerechte, draußen bleibt, während sein Bruder, der heimgekehrte Sünder, drinnen beim Vater ist. Es ist wie eine Frage auch an jeden von uns. Nein, noch mehr, wenn wir die Worte der Lesung in uns einlassen: Christus selbst bittet uns durch seine Gesandten: Lasst euch mit Gott versöhnen. Wie ist unsere, wie ist meine Antwort?


Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright    2004       WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de