Predigt vom 11. April 2004 (Osternacht)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
Der Exodus Israels als Vorausbild des Exodus` Jesu
Predigttext

Osternacht 11. April 2004
Der Exodus Israels als Vorausbild des Exodus` Jesu

„Worin unterscheidet sich diese Nacht von allen anderen Nächten?“

Diese Frage stammt aus der jüdischen Paschaliturgie. Der jüngste Teilnehmer des häuslichen Paschamahles, des jüdischen Osterfestes, richtet sie an den Hausvater, und dieser beantwortet sie mit der Exodus- bzw. Auszugsgeschichte, der so genannten Pascha- Haggada: Wie also Israel die bedrückende Sklaverei in Ägypten erduldete, wie Jahwe auf das Leiden und Schreien seines Volkes sah, wie Er Mose sandte, um sie herauszuführen in die Freiheit, und wie Gott sie vor den nachsetzenden Ägyptern auf wunderbare Weise errettete, als sie trockenen Fußes durchs Rote Meer zogen. Bis heute ist dies für gläubige Juden die Nacht der Nächte, die Nacht der Volkwerdung Israels, die Nacht der Errettung, die Nacht der Befreiung.

Es gibt keine christliche Osternacht, in der diese Erzählung fehlen darf. Als einzige der sieben vorgesehenen alttestamentlichen Lesungen muss diese vorgelesen werden. Mancher von uns kann sich sicher eines befremdlichen Empfindens nicht erwehren. Israel lobt Gott – während die Ägypter tot am Strand liegen? Schon die jüdische Auslegung des Mittelalters hat dies ähnlich empfunden. Und so entstand der Ritus des Vergießens einiger Tropfen des Rotweins. Die Erklärung: Als die Dienstengel vor Gott ein Loblied auf die Rettung Israels anstimmen wollten, sprach Gott: Meine Schöpfung, die Ägypter, versinken im Meer – und ihr wollt singen?

Die Exodus Erzählung hinterlässt also durchaus auch einen bitteren Nachgeschmack, selbst wenn man sagt, der Untergang Pharaos und seiner versklavenden Staats- und Militärmaschinerie war ja selbstverschuldet.

Was hat das alles nun aber mit unserer christlichen Osternacht zu tun? Die Brücke schlägt ein Wort, das als Sehnsucht ganz tief in jedem menschlichen Herzen verwurzelt ist: Freiheit, Befreiung aus allem, was fesselt, versklavt, niederdrückt, zerstört.

Doch dabei geht es nicht um eine Freiheit der Beliebigkeit, sondern um eine sehr klar bestimmte Freiheit. Um die hier gemeinte Freiheit zu Gesicht zu bekommen, kann noch einmal ein Blick auf die Exodus Erzählung hilfreich sein.

Als Mose vor Pharao erscheint und fordert, dass dieser sein Volk ziehen lassen solle, nennt er als Grund nicht den Wunsch nach politischer Befreiung. Nein, Mose sagt, Pharao solle das Volk ziehen lassen, damit es in der Wüste Gott auf rechte Weise, so wie Gott es will, verehren und anbeten könne. Und nach der Errettungstat Jahwes ist das erste Ziel Israels wiederum nicht das verheißene Land Palästina, sondern der Sinai, der Ort des Bundesschlusses mit Gott, wo die Tora überreicht wird; für Juden das Gesetz der wahren Freiheit, das den Weg weist, wie wir zu Gott und zueinander stehen müssen, um wirklich in der Freiheit zu sein.

Die Befreiungstat Jahwes zielt also letztlich und vor allem auf die rechte Verehrung und Anbetung Gottes, auf den Bundesschluss mit Gott und das rechte Miteinander der Menschen. Und so ist nun von dieser Erzählung her der Weg gebahnt zum rechten Verständnis der Exodus-Erzählung als eines unersetzlichen Teils der Osternacht.

Es gibt im Neuen Testament eine einzige Stelle, in der das Wort Exodus vorkommt. Im lukanischen Bericht von der Verklärung Jesu spricht dieser von seinem „Exodus“, der sich in Jerusalem vollenden soll. Ganz klar spricht hier Jesus von seinem Leiden und Sterben. Das heißt: So wie Israel, die Ägypter im Nacken, die Chaosmächte des Wassers unversehrt durchschreitet, so geht Jesus in seiner Passion durch überhaupt die Chaosmächte unserer Erde hindurch, durch alles Negative von Schuld, Leid und Tod. Der Unterschied: Während Israel unversehrt bleibt und die Ägypter sterben, bleibt Jesus alles andere als unversehrt.

Er, und in Ihm Gott, lässt sich versehren, verwunden bis in sein tiefstes Inneres. Er erleidet selbst das Geschick der Ägypter. Der Grund: Nicht mehr nur ein kleines Volk soll gerettet und befreit werden, sondern alle. Nicht in errettender Macht, sondern in errettender Ohnmacht zeigt sich hier Gott; freilich in der Ohnmacht einer sich ausliefernden Liebe, die stärker, größer, leuchtender ist als alle Finsternisse unserer Erde.

Der Sieg dieser Liebe heißt für uns Christen Auferstehung. Auferstehung ist für uns und alle Menschen guten Willens nunmehr das Land der Verheißung, das Land der Freiheit und der Befreiung.

Dabei betreten wir dieses Land nicht erst jenseits der Todesschwelle. Auferstehung, dieses Land der Verheißung, beginnt schon jetzt; schon jetzt können wir eintreten. Und wie? Durch den Glauben und durch die Liebe. Nirgends zeigt uns Gott sein Herz so offen, so weit aufgerissen wie im gekreuzigten und auferstandenen Gottessohn und Menschensohn Jesus Christus. Niemand, der das einmal in der Tiefe seines eigenen Herzens verstanden, nein verkostet hat, kann noch gleichgültig an diesem Gott vorüber gehen. Und niemand, der versucht, diese Liebe im eigenen Herzen zu empfangen und aus ihr zu leben, kann noch gleichgültig an seinen Mitmenschen vorübergehen.

Der Exodus Israels ist das Vorausbild des wahren und endgültigen Exodus` Jesu Christi. Die Taufe, die wir, wie Paulus sagt, auf den Tod und die Auferstehung Jesu hin empfangen, bedeutet: Er will uns mitnehmen in diesen Exodus hin zur wahren Freiheit. Die Absage an die Chaosmächte des Bösen und das Bekenntnis zur Lebens- und Liebesmacht Gottes – das ist der Weg ins Land der Verheißung, der Freiheit, der Freude, des immer währenden Friedens.

Noch sind wir unterwegs. Noch gibt es die Nächte und Finsternisse dieser Erde. Aber das Osterlicht brennt schon mitten darin. Wir müssen uns nur von ihm entzünden lassen, so wie die Taufkerze und unsere kleinen Kerzen das Licht von der Osterkerze empfangen haben.

Freiheit, Befreiung von Schuld, von Leid, von Tod, das ist das Ziel unseres Weges. Das ist Auferstehung. Das ist die unüberbietbare Freude dieser Nacht.

Pfr. Bodo Windolf

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