Predigt vom 25. April 2004 (Woche für das Leben)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Die Würde des Menschen am Ende seines Lebens"
Predigttext

3. Sonntag der Osterzeit, 25. April 2004
Les: Apg 5,27b-32.40b-41; Offb 5,11-14 ; Ev: Joh 21,1-19
Zur Woche für das Leben: „Die Würde des Menschen am Ende seines Lebens“

Am 13. März dieses Jahres starb mit achtundneunzig Jahren eine der großen charismatischen Gestalten der Kirche, der österreichische Kardinal Franz König: In den siebziger Jahren, als in Deutschland und Österreich die Debatte um ein neues Abtreibungsrecht hin und her wogte, sagte er bei einer Gelegenheit: „Wenn einmal der Grundsatz fällt, dass kein Mensch das Recht hat, über des Leben eines anderen Menschen zu verfügen, wie dieses Leben auch aussieht, dann schützt uns nichts mehr vor der totalen Verfügbarkeit des Menschen.“

Es ist erschütternd zu sehen, wie recht er behalten sollte mit dieser Prophezeiung, und zwar innerhalb weniger Jahre. Um zunächst nur ein Beispiel zu nennen: Die Verfügungs-Gewalt, die menschlichen Embryonen als Rohstoffmaterial für Forschungszwecke angetan wird, ist nicht mehr nur Theorie, sondern Praxis in vielen Ländern. Doch die Konsequenzen reichen weiter. Wer Hand an den Menschen in der ersten Phase seines Lebens legt, wird irgendwann auch nicht mehr davor zurückschrecken, Hand an den Menschen zu legen in der letzten Phase seines Lebens. – Und genau das ist das Thema der diesjährigen Woche für das Leben: „Um Gottes Willen für den Menschen. Die Würde des Menschen am Ende seines Lebens.“

Wie sehr beides – Anfang und Ende unseres Daseins – miteinander zusammenhängt, wird in den Diskussionen der letzten Zeit wohl immer deutlicher. Das Wort „Kinderreichtum“ sei wiederum als ein Beispiel genannt. In unserem Land ist es in seinem früheren positiven Sinn eigentlich kaum mehr zu hören; und zwar nicht nur im zahlenmäßigen Sinn des Wortes, also  im Sinn von vielen Kindern als etwas Schönem und nicht – wie man bisweilen hören kann – Asozialem, sondern auch in dem Sinn, dass Kinder an sich, jenseits aller materiellen Erwägungen, Reichtum bedeuten: Reichtum für eine Familie, Reichtum für die Gesellschaft.

Am Anfang des Jahres war von einer Innovationsoffensive die Rede. Wissen wir eigentlich noch ausreichend, dass die tiefgreifendste Innovation nicht neue Maschinen, nicht neue wirtschaftliche Strukturen etc., sondern Kinder sind. Dass in ihnen die Zukunft eines Landes, die Zukunft eines Volkes und auch die Zukunft, eine gute Zukunft für alte Menschen liegt? Wenn es um Kinderreichtum geht, ist Deutschland das ärmste Land in Europa und nach einer Statistik der Weltbank eines der fünf ärmsten Länder der Welt. Wenn man daneben nun doch noch einen Blick auf den materiellen Gesichtspunkt wirft, so zählt Kinderreichtum heute zum größten Armutsrisiko in unserem Land. Das Paradoxe: Der gleiche Staat, der in Bezug auf die Rentenversicherung das Fehlen des Nachwuchses beklagt, finanziert über andere Gesetze die Tötung eben dieses Nachwuchses. „Es hat den Anschein, als würden wir begeistert unseren Selbstmord finanzieren“, so hat Erzbischof Schick von Bamberg Anfang des Jahres die 41 Millionen Euro Steuergelder kommentiert, mit denen unser Staat 2003 Abtreibungen finanziert hat. Weiter sagte er: „Es ist ein Betrug am mündigen Bürger, der sich erfolgreich gegen die Bezahlung der Abtreibungen aus seinen Krankenkassenbeiträgen gewehrt hat, ihn nun klammheimlich zu zwingen, diese über seine Steuern mitzufinanzieren.“ Darüber hinaus straft derselbe Staat die katholischen Beratungsstellen, ich sage nicht obwohl, sondern weil sie ohne Kompromiss für das Leben beraten und die Tötungslizenz des Abtreibungsscheines nicht ausstellen. In diesen Beratungsstellen – die es nach dem Ausstieg der katholischen Kirche aus dem staatlichen Beratungssystem entgegen anderen Behauptungen nach wie vor in etwa gleicher Zahl gibt – wird nicht weniger beraten als früher; die Tendenz geht sogar nach oben. Aber – es gibt keine staatlichen Zuschüsse, denn – um es noch einmal zu sagen – nach dem Geschmack der staatlichen Stellen kommt man hier wohl zu unmissverständlich dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes einer Beratung für das Leben der ungeborenen Kinder nach.

Wir merken immer deutlicher, dass eine der Folgen solcher Politik und Praxis die Überalterung, die Vergreisung unserer Gesellschaft ist. Der Überschuss der Sterberate gegenüber der Geburtenrate entspricht in etwa der Zahl der Abtreibungen. Immer weniger Kinder werden die Last der Sozialsysteme und der immer älter werdenden Menschen schultern müssen. Unabweislich droht die Gefahr, die Frank Schirrmacher, der Chef-Feuilletonist und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in seinem jetzt erschienenen Buch „Der Methusalem-Komplott“ so formuliert hat: dass wir nämlich „in eine Zivilisation der Euthanasie eintreten (werden)...Man wird vernehmbar über unsere (der Alten) Überzähligkeit diskutieren, über Euthanasie, über die letzten teuren Wochen in den Krankenhäusern, die so genannte aussichtslose Fälle zu Belastungen des Sozialwesens machen.“

In Holland und Belgien ist man schon so weit. In Belgien werden inzwischen katholische Krankenhäuser gezwungen, Patienten aktiv zu töten, wenn diese den Wunsch äußern; ansonsten droht ihnen der Entzug der Zuschüsse und der Lizenz. Ganz zurecht hat Bischof Fürst von Rottenburg-Stuttgart, sekundiert vom evangelischen Landesbischof Maier den Satz geäußert: „Wer das Recht erhält, sich selbst zu töten oder töten zu lassen, der hat auch bald die Pflicht dazu.“ Wer daher sagt, Schwerkranke und Sterbende müssten die Freiheit haben, ihre Todesstunde selbst zu bestimmen, der sitzt einer Illusion auf oder tut Schlimmeres: lügen wider besseres Wissen. Unzählige werden dem psychologischen Druck eben nicht standhalten, wenn sie den (vielleicht auch nur unausgesprochenen) Wunsch der Angehörigen, Ärzte, Pflegekräfte spüren: Wann stirbt er denn endlich! Wie viel soll sie denn noch kosten! ... In Holland werden heute schon von 3-4000 jährlichen Patiententötungen cirka 25 %, also etwa 1000 Menschen ohne ihre Einwilligung zu Tode gespritzt.

Erschütternd auch die Haltung der Ärzte, die doch angetreten sind, dem Leben zu dienen: Mehr als jeder zweite Arzt hat schon Euthanasie vollzogen und die allermeisten sind zu diesem tödlichen Dienst bereit, so Bischof Fürst.

Immer wieder wird deutlich, dass Patienten, die den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe äußern, in Wirklichkeit nach Linderung ihrer Schmerzen und nach einer liebevollen Begleitung verlangen. Von 900.000 Sterbenden jährlich in Deutschland erhalten aber nur 2,1 % eine hochprofessionelle Schmerztherapie, gut 4% werden durch hospizliche, ehrenamtliche Dienste begleitet. Dass allerdings die „Entsorgung“ schwerstkranker und alter Menschen per Tötung billiger und physisch und psychisch weniger anstrengend ist, liegt auf der Hand.

Böses gebiert Böses. Dass die schwere Schuld der vorgeburtlichen Tötungen irgendwann die Schuld der Tötung alter und gebrechlicher Menschen auch in unserem Land nach sich ziehen könnte, ist kaum von der Hand zu weisen.

Es wird nicht zuletzt an den Christen liegen, ob sie – im Gegensatz zu den Abtreibungen, über die inzwischen fast alle schweigen, wenigstens hier – laut und vernehmlich ihre Stimme erheben. Ich will zum Schluss noch einmal dem eingangs zitierten Kardinal König das Wort erteilen. Zwei Monate vor seinem Tod hatte er an den österreichischen Verfassungskonvent folgenden Brief geschrieben. Worte, die man auch unserem Land wünschen kann. „Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen und nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben... Euthanasie soll in Österreich künftig auch verfassungsrechtlich untersagt werden – als Wegweiser und Bekenntnis zu einer ‚Kultur des Lebens’ und als Signal für Europa.“

Pfr. Bodo Windolf

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