Predigt vom 24. Dez. 2004 (Hl. Abend)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Seht, ich verkünde euch eine große Freude"
Predigttext

Heilig Abend 2004
Les: Jes 9,1-6; Tit  2,11-14
Ev: Lk 2,1-14

Weihnachten hoffnungslos verkitscht, kommerzialisiert, der letzte Rest an Sentimentalität, den wir uns noch leisten, seines eigentlichen Gehaltes vollkommen beraubt. Solche und ähnliche Klagen kann man allenthalben um diese weihnachtliche Zeit herum hören.

Das Erstaunliche: trotz all dieser Nebenerscheinungen, die dem eigentlichen Gehalt Hohn zu sprechen scheinen, übt dieses alte christliche Fest nach wie vor eine unglaubliche Anziehungskraft auf unzählige Menschen aus, durchaus auch auf solche, die sich selbst als eher kirchendistanziert bezeichnen würden.

Anstatt also über Oberflächlichkeit und Konsumrausch zu klagen, der mit Weihnachten nun einmal einhergeht, sollten wir lieber einmal durch die Oberfläche hindurch in die Tiefe dieses Festes hinabsteigen, in die Tiefe seines innersten Geheimnisses.

Was ist das Geheimnis der Weihnacht?

Mir will scheinen, dass viele Menschen dieses Geheimnis ahnen, empfinden, fühlen, vielleicht ohne es in Worte fassen zu können, aber dass genau von dem, was man da ahnt und fühlt, die ungeheure Faszination der heiligen Nacht ausgeht. Was mag das sein? Es ist die Ahnung, dass etwas absolut Neues, Unerwartetes, Überraschendes, Schönes, Heilbringendes, schlechthin Gutes hereingebrochen ist in unsere oft so lichtlose Welt. Unsere Erde mit all ihren Sorgen, Nöten, Ängsten, Leiden, Kriegen, die Erde mit all ihren Dunkelheiten und ihrem Eingeschlossensein in sich selbst hat eine Öffnung bekommen; eine Öffnung nach oben und durch diese Öffnung ist ein neues, nie für möglich gehaltenes Licht und eine neue Freude eingedrungen, die wir uns nicht selbst geben, sondern nur schenken lassen und empfangen können.

Das Geheimnis der Weihnacht: Einbruch, Einbruch des Himmels in unsere Welt; nicht mit Posaunenklang, Gewalt und Gericht, wie die alttestamentlichen Propheten den „Tag des Herrn“ beschrieben haben; sondern mit einer Sanftheit und Zärtlichkeit, wie sie nur Gott ersinnen kann, der Seine ganze lautere, buchstäblich grenzenlose Liebe uns Menschen zeigen will. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn in diese unsere Welt hineingesandt hat“ – in der sanften Armutsgestalt eines kleinen Kindes.

Anders ausgedrückt: Da wir Menschen oft so sehr mit uns selbst beschäftigt sind, mit unseren eigenen Sorgen und Ambitionen, dass wir darüber Gott und die Suche nach Ihm gänzlich vergessen oder für unwichtig halten – darum hat Er sich selbst auf den Weg gemacht; Er hat sich auf den Weg gemacht, um uns aufzusuchen und zu suchen dort, wo wir leben; damit wir Ihm, Gott selbst, begegnen können: im neugeborenen Kind in der Krippe, im einfachen Handwerker Jesus von Nazareth, schließlich im Gekreuzigten auf Golgotha, zuletzt aber als Auferstandenem.

Natürlich höre ich auch schon die Einwände: Ist das nicht alles Mythos, viel zu schön um wahr zu sein?

Gerade dieses Unglaubliche, dass es viel zu schön zu sein scheint, um auch wahr sein zu können, scheint mir das stärkste Argument für die Glaubwürdigkeit der Weihnachtsbotschaft zu sein. Wäre sie von uns Menschen erfunden, erdichtete mythische Überhöhung eines normalen Menschenkindes, hätten wir eine andere Geschichte erfunden. In den Religionen stehen Gott und die Götter auf der Seite der Sieger, der Erfolgreichen; und die Verlierer sind von den Göttern verlassen. Denn Sieg und Erfolg ist ja gerade das Zeichen dafür, dass man die Götter auf seiner Seite hat.

Dass Gott aber die Welt betritt, radikal an der Seite der Kleinen, der Armen, und aus ihr hinaustritt noch radikaler auf der Seite der Verlierer, der Gescheiterten, also die Welt betritt, indem Er in einen armseligen Futtertrog gebettet wird, dass Er weitab von den großen Geschehnissen dieser Welt mehr als neun Zehntel seines Lebens inkognito das Leben eines einfachen Dorfbewohners und Handwerkers unter ebenso einfachen Dorfbewohnern lebt, dass Er sich zum Schluss wehrlos menschlicher Verurteilung, Verspottung, Folterung und Kreuzigung als gemeiner Verbrecher ausliefert, und dass Er das nicht mit Rache und Gericht beantwortet, sondern mit einem unfassbaren Erbarmen, mit Vergebung, mit Erlösung, weil erlitten für uns, um zu zeigen, dass Seine göttliche Liebe stärker ist als selbst das abgrundtiefste Böse unter uns Menschen – all das ist das Drehbuch eines Schicksals, des gottmenschlichen Schicksals Jesus von Nazaret, wie es niemals ein Mensch, sondern allein Gott ersinnen konnte.

Die Ahnung, die Hoffnung und der Glaube unzähliger Menschen, dass dies wahr ist, dass so unser Gott ist, dass daher Er selbst in der heiligen Nacht uns anlächelt im Lächeln eines kleinen ohnmächtigen Kindes – dieser Glaube wird auf Dauer stärker sein als die oft albernen und abgedroschenen Einwände dagegen, auch aus so manchem Theologenmund. Denn dieser Glaube, der das Gottesbild und Menschenbild revolutioniert hat – groß ist nur, wer es vermag und versteht, sich klein zu machen, hat die Welt verändert, kann sie heute verändern und wird sie auch in Zukunft verändern.

So mancher von uns, die wir hier untereinander die heilige Nacht feiern, mag umgetrieben sein von Sorgen, Ängsten, Existenznöten, Arbeitslosigkeit oder Sorge um den Arbeitsplatz, von einer Krankheit, einem Verlust, einer bedrängenden Schuld, oder was auch immer: Aber mitten hinein in all diese Dunkelheiten ertönt die Botschaft dieser Nacht: „Seht, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk zuteil werden soll. Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren, welcher ist der Messias, der Herr.“

In vielen Weihnachtspredigten hat der heilige Bernhard von Clairvaux wert darauf gelegt, dass Jesus in der Nacht, und zwar in der Mitte der Nacht, da die Dunkelheit am dichtesten ist, geboren wurde. Für ihn war es ein Symbol dafür, dass das Licht und die Freude des Gotteskindes gerade da am stärksten leuchten und die Nacht verwandeln möchte, wo diese am dunkelsten und undurchdringlichsten zu sein scheint.

Wer Weihnachten so feiert und wer den Glanz dieses Lichtes hinüberzuretten vermag in seinen ganz gewöhnlichen persönlichen Alltag, in die Freuden und in die Nöte des Alltags, der feiert Weihnachten wirklich, dem geschieht Weihnachten auch jenseits von Weihnachten, nämlich an jedem Tag, der lebt geöffnet zum Himmel, damit der Himmel in ihn eintreten kann, damit er selbst zu einer Krippe wird, in der Gott wohnt und Jesus Christus, unser Erlöser und Heiland, unser Friede und unsere Freude.

Seht, ich verkünde euch eine große Freude.

Pfr. Bodo Windolf

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