Predigt vom 9. Januar 2005 (Übertragung Radio Horeb)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Selbstannahme"
Predigttext

Taufe des Herrn (Patrozinium) 9. Januar 2005
Les: Jes 42,5a.1-4.6-7; Apg 10,34-38 ; Ev: Mt 3,13-17

Selbstannahme

Erlauben Sie mir, dass ich mit einer kleinen Anekdote aus dem Leben meines Patenkindes beginne:

Meine Schwester, die Mutter, fragte ihn: „Benedikt, wer ist dein bester Freund, Carlo?“ Benedikt antwortete: „Ja, und meine erstbeste Freundin ist Solveigh, die zweitbeste Lindgard und die drittbeste Ann-Zoe.“ Dann nach einer Pause: „Und der Drittjunge ist Anton.“ Meine Schwester: „Und wer ist der Zweitjunge?“ „Carlo.“ Wieder meine Schwester: „Und der Esrtjunge?“ Die prompte Antwort: „Bin ich.”

Strotzend vor Selbstbewusstsein, dieser kleine Vierjährige. Was sich bei einem Erwachsenen eher peinlich anhören würde - aus unschuldigem Kindermund lassen wir es uns gern gefallen: Benedikt ist sich selbst der allerbeste Freund.

Was macht das möglich? Kann ein Kind, kann ein Mensch aus sich selbst heraus, aus eigener Kraft, eigenem Vermögen heraus sich selbst ein Freund sein? Nein, definitiv nein. Dies ist nur möglich, weil der kleine Benedikt von anderen Freundschaft empfängt. Weil er fühlt und erlebt: ich bin angenommen, gemocht, bejaht, geliebt, allein deswegen kann er auch sich selbst mögen und wie einen Freund annehmen. Mindestens so sehr wie vom täglichen Brot leben wir von der Anerkennung, die wir durch andere Menschen erfahren.

Diese kleine Episode habe ich erzählt, weil sie an eines der Grundprobleme unseres menschlichen Daseins rührt. Was für ein Kind, das echte Geborgenheit, Liebe und Anerkennung im Schoß einer guten Familie erfährt, noch ein Leichtes und Selbstverständliches ist – nämlich sich selbst anzunehmen, sich selbst wie ein Freund zu sein – das ist es für viele Erwachsene noch lange nicht.

Dabei muss klar sein: Sich selbst ein Freund sein hat nichts mit Egoismus zu tun. Ein Egoist kann sich selbst gar kein wirklicher Freund sein. Denn er lebt aus der ständigen Sorge, zu kurz zu kommen. Er ist von der Angst getrieben, selbst dafür sorgen zu müssen, das, wovon er meint, es fehle ihm, auszufüllen mit Besitz für sich, Ansehen für sich, Genuss für sich, usw. Deswegen lebt ein solcher Mensch zu wenig im Einklang mit sich und seinen Lebensumständen, als dass er sich selbst ein Freund sein könnte.

Wer sich selbst Freund ist, weiß sich dagegen so beschenkt und mit Geschenk erfüllt, dass er selbst zu einem selbstlos Schenkenden werden kann.

Wie aber gelingt das?
Nicht wenige Menschen leben ja in einer inneren Auflehnung gegen sich selbst: Wie viele mögen es sein, die denken: Ich kann mich nicht so mögen wie ich bin, wie ich aussehe, was ich kann und vor allem was ich nicht kann. Ich halte mich selbst manchmal gar nicht aus. Ich bin mir selbst zuwider. Ich akzeptiere meine Lebensgeschichte nicht, mein Schicksal nicht, nicht die Menschen an meiner Seite, diese Eltern, diesen Ehepartner, diese Kinder oder auch mein Alleinsein. Warum so vieles, das mein Leben beschwert und mich in die Auflehnung treibt? Warum bin ich so wie ich bin? Warum geschieht mir, wie mir geschieht? Warum ist mir versagt, was mir versagt ist?

All diese Fragen machen deutlich: sich selbst Freund kann nur sein, wer nicht nur sich, sondern auch seine Lebensumstände und sein Lebensumfeld annehmen kann. Nicht in einer satten und oberflächlichen Selbstzufriedenheit, sondern in einem grundlegenden Ja zum eigenen ganzen Leben; in einem Ja, um das freilich oft durch viele innere Kämpfe hindurch gerungen werden muss.

Dieses Ja besagt nicht, alles gutzuheißen, was es in meinem Leben gibt. Nein, es gibt das, was man nicht gutheißen kann: Fehler, Schuld, Versagen, Sünde, Schwäche: aber ich muss es nicht verdrängen, zukleistern, nicht für wahr haben wollen, sondern ich kann dazu stehen, es zugeben vor mir selbst, vor anderen, vor Gott – und mich heilen lassen durch den Empfang von Vergebung. Auch das ist nur möglich, wenn ich grundsätzlich Ja sagen kann zu mir selbst.

Noch einmal – ein solches Ja zu mir selbst und zum eigenen Leben vermögen wir nicht allein aus eigener Kraft zu sagen, sondern einzig und allein, wenn wir wissen: ein solches Ja sagt auch ein anderer zu mir. Es ist geradezu ein Lebensgesetz unserer menschlichen Existenz, dass uns die wesentlichen Dinge des Lebens geschenkt werden müssen.

Wer muss dieser andere sein? Zunächst müssen wir Bejahung natürlich durch Mitmenschen erfahren. Aber genügt das? Wenn wir ganz tief in uns selbst hineinblicken, entdecken wir Regionen, Abgründe, Untiefen, Geheimnisse, in die wir nicht einmal die uns vertrautesten Menschen blicken lassen. Das Ja, das wir brauchen, nach dem wir dürsten und uns sehnen, muss das Ja von jemandem sein, der auch diese Regionen kennt – und uns trotzdem annimmt; so wie wir sind; der uns besser kennt als wir uns selbst. Und dieser Jemand kann nur einer sein: Gott.

Müssen wir uns dieses Ja verdienen? Nein, denn es ist uns schon längst geschenkt. Ein für allemal steht es seit unserer Taufe über unserem Leben. Der wichtigste Satz des heutigen Festtages „Taufe des Herrn“: „Du bist mein geliebter Sohn“, damals Jesus zugesprochen, ist bei unserer Taufe einem jeden von uns zugesprochen worden: „Du bist mein geliebter Sohn. Du bist meine geliebte Tochter,“ angenommen, bejaht, unverbrüchlich, unkündbar, höchstens du selbst könntest diese Freundschaft kündigen und so zerstören.

Dieses Geliebtsein von Gott bleibt für viele, zu viele Getaufte leider etwas sehr Fernes, Abstraktes, Theoretisches. Richtig lebendig wird es erst, wenn es vordringen kann bis hinein in unser Herz. Das Feuer Gottes brennt nur in uns, wenn wir uns von dieser Liebe ergreifen lassen, uns ihr aussetzen, sie wahr sein lassen für mich: „Ja, ich bin geliebt von einer unbegreiflichen Liebe, von Dir Vater, Abba im Himmel, mein Schöpfer; von Dir Sohn, Jesus Christus, mein Erlöser; von Dir Heiliger Geist, der Du die Gabe der Liebe bist.

Natürlich müssen wir um diese Liebe auch ringen. Oft scheint sie sich zu verbergen wie die Sonne hinter schweren Wolken. Aber das Medium, durch das diese Liebe bei uns ankommen kann, ist vor allem anderen das Gebet, die persönliche Zwiesprache mit dem Herrn, das schweigende und anbetende Betrachten und Sich-versenken in diese Liebe.

Wer aus dieser Liebe lebt, wer sich von ihr angenommen und bejaht weiß, wer die Sonne dieser Liebe hineinstrahlen lässt auch noch in die verborgensten und dunkelsten Regionen des eigenen Lebens, der wird auch sich selbst annehmen und bejahen können, sich selbst Freund sein und leben wie ein Freund Gottes und ein Freund der Menschen.

Pfr. Bodo Windolf

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