Predigt vom 15. Mai 2005 (Pfingstsonntag)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Das Strukturprinzip der Kirche: Einheit in Vielfalt und Vielfalt in Einheit"
Predigttext

Pfingstsonntag 15. Mai 2005
Les: Apg 2,1-11; 1 Kor 12, 3-7.12-13;
Ev: Joh 20,19-23

Das Strukturprinzip der Kirche: Einheit in Vielfalt und Vielfalt in Einheit

Uns allen ist ja sicher klar, dass uns viele Texte der Bibel nicht einfach einen protokollarisch exakten Bericht vergangener Ereignisse wieder geben, sondern dass sie oft in tiefer symbolischer Sprache unser Menschsein, unsere menschliche Situation, kurz: wie es um uns Menschen bestellt ist, deuten. Von dieser Art ist auch der Bericht vom „Turmbau zu Babel“. In aller Kürze der Versuch einer Deutung:

Es geht um Herstellung der Einheit unter den Menschen, hier allerdings einer Einheit der Uniformität. Dass man nur ein Volk mit einer Sprache sein will, zeigt deutlich den Willen zur Einebnung aller Unterschiede; aller Unterschiede der Sprache und Kultur, die normalerweise Menschen und Völker kennzeichnen.

Wo menschlicher Machtwille eine Einheit der Uniformität anstrebt, geht dies – so zeigt es immer wieder die Erfahrung, die wir aus der Geschichte der Menschheit gewinnen – nur mit Mitteln, die aus dem Geist der Gewalt und Unterdrückung, der Unterwerfung und des Zwanges stammen; zumal, wenn er einhergeht mit Projekten, die (wie die Menschen der Erzählung) die Erde zum Himmel bauen und so den Himmel auf die Erde zwingen wollen. Gerade so zeugt der Weltgeist das genaue Gegenteil seiner ursprünglichen Absicht, nämlich die babylonische Sprachverwirrung, die Symbol ist für Zwietracht, Hass, Trennung, Krieg zwischen den Menschen und Völkern.

Als ein ganz klares und sicher beabsichtigtes Gegenbild zum babylonischen Welt- und Verwirrgeist zeichnet Lukas die Herabkunft des Heiligen Geistes am Pfingsttag. Über die Sprachbarrieren hinweg gibt es ein gegenseitiges Verstehen, das der Heilige Geist bewirkt. Es wird nicht eine Sprache gesprochen, sondern jeder versteht die Apostel in seiner eigenen Sprache. Das heißt: nicht platte Uniformität, nicht Einebnung aller Unterschiede zu einer langweiligen Einerleikeit, zu einem Einheitsbrei, sondern Anerkennung und Annahme der Andersheit des anderen und trotzdem ein inneres gegenseitiges Verstehen – das ist es, was der Geist Gottes bewirkt. Anders ausgedrückt: Er bewirkt Einheit in der Vielheit und Vielfalt in der Einheit.

Und damit wird nun auch ein entscheidendes Grundprinzip der Kirche deutlich, die ja am Pfingsttag gleichsam ihre Geburt feiert. Wie muss, ausgehend von den bisherigen Überlegungen, die Kirche gebaut sein, damit sie diese ihre Urgestalt, die sie in ihrer Geburtsstunde hat, über die Jahrhunderte hinweg bewahrt?

Es ist faszinierend festzustellen, dass ihre wesentlichen Bauelemente in dieser Stunde zugegen waren. Ausdrücklich heißt es: „Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle am gleichen Ort.“ Wer sind diese „alle“? Das lesen wir einige Verse zuvor.

Zunächst werden hier die Apostel mit Petrus an der Spitze genannt. Petrus ergreift stellvertretend für alle das Wort. In ihm und den übrigen Aposteln ist gleichsam das – wie ich es nennen möchte – petrinische und das bischöfliche Prinzip zugegen.

Petrus steht vor allem für das Prinzip der Einheit der ganzen Kirche. Die Apostel und die Bischöfe als ihre Nachfolger mehr für das Prinzip der Vielfalt, nämlich in Gestalt der einzelnen Ortskirchen mit ihren verschiedenen Sprachen, Kulturen, Ortstraditionen und so fort. Dass es dieses letztere Prinzip in der Kirche geben muss, also eine legitime Pluralität und Vielfalt, steht sicher ganz außer Frage.

Viel kritischer wird von vielen das Papstamt als Prinzip der Einheit der Kirche angesehen. Dazu zwei Bemerkungen: Als Papst Johannes Paul im Jahr 2000 die Vergebungsbitte für im Namen der Kirche begangenes Unrecht aussprach, als er an der Klagemauer stand und insbesondere für an Juden begangenes Unrecht um Vergebung bat – bei diesen und unzähligen anderen Gelegenheiten konnte man in seiner einen Stimme die Stimme von mehr als einer Milliarde Katholiken hören. Es gibt innerhalb der Christenheit und auch in keiner anderen Religion eine Institution, in der sich die Einheit und Einstimmigkeit des Glaubens so artikulieren kann wie im „Diener der Diener Gottes“, wie sich der Papst seit Gregor dem Großen nennt.

Natürlich gibt es daneben Themen, die auch in der Catholika umstritten sind, nicht zuletzt in bezug auf päpstliche Verlautbarungen. Diesbezüglich möchte ich allerdings einmal ein weitverbreitetes Missverständnis ansprechen.

Von Ludwig XIV., dem französischen Sonnenkönig des 17. Jahrhunderts, stammt das Wort: „L’état c’ est moi.“ „Der Staat bin ich.“ Das heißt: darin herrsche ich unumschränkt und nach meinem Gutdünken. Es war das Zeitalter des Absolutismus.

Manche (selbst Kritiker) siedeln nun das Papstamt ähnlich hoch an, als könne er, der Papst, in gleicher absolutistischer Manier sagen: „L’ eglise c’ est moi.“ „Die Kirche, das bin ich.“ Das heißt: wenn der Papst nur wollte, dann könnte er Abtreibung, Empfängnisverhütung, die sog. „Homoehe“, Frauenpriestertum und so manches andere viel lockerer sehen, die Kirche nach unserem heutigen Gusto endlich ummodeln und so dafür sorgen, dass sie zeitgeistkonformer wird und damit nicht mehr so aneckt.

Gegenüber solcher Überschätzung des Papstamtes kann der Papst nun aber viel weniger, als, wie gesagt, selbst manche der schärfsten Kritiker unterstellen. Anstelle eines absoluten Herrschers ist er nichts anderes als „der Garant des Gehorsams, dass die Kirche nicht tun kann, was sie will“ (Ratzinger). Er ist im striktesten Gehorsam nicht einem Zeitgeist verpflichtet, der heute so und morgen so denkt, (wie wir dies leider bei so manchen wetterwendigen Politikern erleben, die je nach Umfrage heute das und morgen das favorisieren); vielmehr ist er gebunden an das Evangelium. Mit ihm muss er übereinstimmen und lehren, was uns Gott und Jesus Christus durch Sein Wort lehrt. Dabei muss er die Einheit wahren auch mit der Kirche der Vergangenheit, d.h. mit der tradierten Weise, die hl. Schrift zu lesen und zu verstehen. Er muss die Einheit wahren mit dem tradierten Glauben und der tradierten Ethik der Kirche. Kurz: nicht der Modernität, sondern Jesus Christus allein ist der Papst und mit ihm die ganze Kirche verpflichtet.

Wobei zu betonen ist: diese Unabhängigkeit vom Zeitgeist bedeutet eine große Freiheit. Romano Guardini hat es einmal so auf den Punkt gebracht: „Seltsam, niemand ist skeptischer und innerlich unabhängiger gegen das, was alle sagen, als wer wirklich mit der Kirche lebt.“ Ohne Zweifel war es nicht zuletzt auch diese Haltung, die den verstorbenen Papst für viele glaubwürdig gemacht hat.

Neben den übrigen Frauen und Männern, gläubige Anhänger Jesu, ist nun noch Maria zu nennen, die Mutter Jesu, die zur Urzelle der Kirche am Pfingsttag gehört. Sie personifiziert gleichsam das, was ich das marianische Prinzip in der Kirche nennen möchte, d. h, die betende Kirche, die auf Gottes Wort hört, es bewahrt, erwägt und betrachtet und offen ist für das oft überraschende Wirken des Heiligen Geistes. Eine Kirche, in der Maria keinen Platz hat, eine Kirche die nicht mit ihr und mit Blick auf sie betet, droht geistlich zu vertrocknen und erschöpft sich schnell in sterilem Aktionismus und Getriebe.

Daher ergänzen und bedürfen die genannten Bauelemente der Kirche einander. Was an der Kirche strukturell-amtlich ist, wird seelenlos, wenn es nicht geübt wird in der marianischen Haltung des Gebetes und der Hingabe. Das was die Kirche von innen her belebt und ihr eine Seele gibt, braucht das Amtliche, um nicht in rein subjektivistische Frömmigkeit Einzelner abzugleiten. Der Heilige Geist bewirkt beides. Er gibt ihr Struktur und eine Seele, bewirkt Einheit in Vielfalt und Vielfalt in Einheit.

Pfr. Bodo Windolf

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