Predigt vom 3. Juli 2005

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"GOTT SEI DANK – es ist Sonntag"
Predigttext

Ökumenischer Gottesdienst i.R. der Bürgerwoche
Bürgerplatz Garching, 3. Juli 2005

GOTT SEI DANK – es ist Sonntag
Predigt zum ökumenischen Gottesdienst in der Bürgerwoche

„Gott sei Dank – es ist Sonntag“ – ist das nicht ein anachronistischer, hoffnungslos überalterter Slogan? „Wunderbar, es ist Sonntag; ich muss nicht zur Schule, nicht zur Arbeit, ich kann ausschlafen, etwas unternehmen“ – das trifft die Realität schon eher. Aber Gott sei Dank, Gott Dank sagen, nicht nur privat, sondern in feiernder Gemeinschaft – denn feiern, Dank feiern - genau das ist die Übersetzung von Eucharistie - kann ich nun einmal nicht allein, sondern nur mit anderen zusammen – den Dank an Gott feiern, weil Sonntag ist, das ist in unserem Land, auch in unserer Stadt Garching zur Sache einer Minderheit geworden. Viele ruhen sich gerne aus nicht nur am Sonntag, sondern gewissermaßen auf dem Sonntag und auf den übrigen christlichen Festen und Feiertagen, um die sich ja die meisten Ferien gruppieren. Man ruht sich auf ihnen aus, aber geht nicht mehr in sie hinein, um sie zu feiern, ihren christlichen Gehalt zu feiern; den haben viele als lästigen Zierrat schon längst beiseite gelegt.

Dass man die Öffnung von Autowaschanlagen nun auch an Sonntagen möglich gemacht hat, damit wir biedere Deutsche endlich dem liebsten unserer modernen Götzen die ihm gebührende auch sonntägliche Zuwendung und Verehrung zukommen lassen können, ist Ausdruck dafür, dass wir oder zumindest die meisten den Sonntag als Sonntag schon längst verloren haben!?

Was hat verloren, wer den Sonntag als Sonntag, das heißt als Tag des Herrn, verloren hat?

Versetzen wir uns für einen Augenblick in das Jahr 304 n. Chr. ins nördliche Afrika. Es ist, die Zeit der letzten Christenverfolgung unter den römischen Kaisern, unter Kaiser Diokletian. Römische Beamte überraschen eine Gruppe von etwa fünfzig Christen bei der sonntäglichen Eucharistiefeier. Das Protokoll der Verhöre ist erhalten geblieben: „Du hast gegen die Anordnung der Imperatoren und Cäsaren gehandelt, da du diese alle hier versammelt hast“, so der Prokonsul zu dem Priester Saturninus. Dessen Antwort; „Wir haben es getan, weil nicht unterbleiben kann, was des Herrn ist.“

Welch großartige Antwort und welch innere Freiheit spricht aus ihr. Dem Herrn über allen Herren der Welt gilt diese Feier. Er bewirkt Freiheit, wenn Er anerkannt und gefeiert wird; Freiheit gegenüber allen irdischen Herren und Machthabern, wo sie Unrecht tun, Unrecht legalisieren, Unrecht befehlen.

Aber fast noch eindrücklicher die Antwort des Emeritus, in dessen Privathaus man die Eucharistie gefeiert hatte, obwohl er den Zutritt, so der Prokonsul, zu ihm hätte verbieten müssen: „Ich konnte es nicht, quoniam sine dominico non possumus, denn ohne den Herrentag und ohne die Feier seines Geheimnisses können wir nicht sein.“ Mit anderen Worten: Unser Leben zu erkaufen um den Preis, den tragenden Grund und Sinn dieses unseres Lebens zu verraten, ist uns nicht möglich. Lieber sterben – als sinnlos leben.

Den Sonntag feiern wird wohl nur können, wer den Sonntag und seinen Gottesdienst wirklich verstanden hat. Denn in der Tat: im sonntäglichen Gottesdienst geht es um nicht weniger als darum, gemeinsam in großer Dankbarkeit gegenüber Gott zu feiern: unser Leben, mein Leben hat in Ihm einen tragenden Grund, es hat ein Ziel, einen letzten Sinn.

Warum steht der Sonntagsgottesdienst für die Feier und den liturgischen Mitvollzug des zentralen Sinns unseres Daseins?

Hinter dem Sonntag als dem ersten Tag der Woche nach dem jüdischen Kalender steht eine bestimmte Glaubensformel, nämlich das Ur–Credo der Christenheit: „Der Herr ist auferstanden am dritten Tag.“ Sonntag ist Auferstehungstag, an dem Jesus Christus ausbricht aus unserer Welt der Todes und des Tötens in die Welt des Lebens. Er bricht aus als jemand, der sich lieber töten ließ als selbst zu töten. Genau so hat Er den Tod getötet und in neues Leben verwandelt. Wer Gottesdienst feiert, feiert diese Zukunft und bekommt Anteil an ihr; ja er ist schon hineingelangt aus der Welt des Todes in die Welt göttlichen Lebens. „Deinen Tod, oh Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“,  so Paulus im 1.Brief an die Korinther.

Das ist in aller Kürze die vertikale Dimension des Sonntags. Aber er hat noch eine horizontale, soziale Dimension. Und nur beides zusammen – wie beim Kreuz mit seinem vertikalen und horizontalen Balken – lässt uns den Sinn des Sonntags erkennen.

Zunächst einmal ist der Sonntag gerade auch in sozialer Hinsicht eines der ganz großen Erbstücke und Geschenke, das der jüdisch-christliche Glaube der Menschheit vermacht hat. In Gestalt des Sabbats wurde er vom jüdischen Volk gewissermaßen erfunden; in Gestalt des Sonntags wurde er vom Christentum an die Menschheit weitergereicht.

Um den sozialen Sinn dieses Tages zu verstehen, möchte ich als Hintergrund auf einen außerbiblischen Schöpfungs-Mythos zurückgreifen, nämlich auf das mesopotamische Atrachasis-Epos.

Nach diesem hatten die Götter eines Tages die schwere Arbeit satt, die sie im Kosmos zu verrichten hatten. Deshalb verschafften sie sich zu ihrer Entlastung Arbeitssklaven. Zuerst wurde die Arbeit einer niedrigeren Götterklasse zugeschoben. Die aber ließ sich das nicht gefallen und probte schon bald den Aufstand. Da verfielen die Götter auf einen anderen Ausweg: So lasst uns doch Menschen erschaffen, die für uns die Fronarbeit in der Welt leisten. Und so geschah es: die Menschen traten als Arbeitssklaven der Götter ins Dasein.

Dagegen nun der biblische Schöpfungsbericht: Hier „arbeitet“ Gott selbst. In der Bildsprache dieser Erzählung setzt er an sechs Tagen arbeitend die Schöpfung ins Dasein. Dann geschieht das zweite Entscheidende: Am siebten Tag „ruht“ Gott, schaut auf sein Werk zurück und befindet es für gut. Genau diesen Zeitrhythmus aber des Ein- und Ausatmens von Arbeit und Muße, nicht einfach nur im Sinne von Freizeit, sondern von Ausruhen in Gott übergibt er dem Volk Israel.

Was hier geschildert wird, ist indirekte Kritik an der gesamten damaligen antiken Welt, für die das Atrachasis-Epos repräsentativ ist. Nach allgemeiner antiker Auffassung war Muße nämlich allein Sache der freien Männer, Arbeit aber Sache der Frauen und Sklaven.

Demgegenüber wird nun gesagt: Arbeit gehört zur Würde des Menschen, zur Würde von Frau und Mann. Sie ist Teilhabe am Werk Gottes, der uns nicht eine fix und fertige Welt anvertraut, sondern uns auffordert, sie zu gestalten, in ihr schöpferisch tätig zu werden, so unsere Fähigkeiten zu entfalten und damit zugleich zur Vollendung der Welt und unserer selbst beizutragen.

Das ist die eine Seite. Doch kennt nun das Alte Testament noch eine andere Kennzeichnung der Arbeit. Das dritte Gebot des Dekalogs spricht von „knechtischer Arbeit“, die am Tag des Herrn nicht verrichtet werden darf. Mit dem Wort „knechtisch“ ist ursprünglich durchaus nichts Verächtliches gemeint. Vielmehr wird hier in tiefer Weise angedeutet, dass Arbeit trotz ihrer Würde ihren Zweck nicht in sich selbst trägt. Wir sind eben nicht geschaffen, um zu arbeiten. Vielmehr dient die Arbeit einem Zweck außerhalb ihrer; sie ist zweckdienlich; sie dient dem Lebensunterhalt, der Gewinnschöpfung, der Selbstentfaltung, der Entfaltung anderer, usw.; sie ist also „knechtisch“, nutzbringend, dienlich in diesem Sinn.

Wie gesagt: es ist gut und notwendig so. Und doch will uns Gott nach biblischem Zeugnis einen Tag in der Woche schenken, an dem wir eben nicht „Knechte“ der Daseinssorge sein sollen, sondern Herren; nicht Sklaven der Arbeit und des Broterwerbs und des Geld Machens, sondern Freie, befreit von den Zwängen des normalen Alltags.

An diesem Tag sollen wir nicht „zu etwas nützlich sein“, sondern einfach da sein, aus Freude, aus Dankbarkeit am Da-Sein und für das Da-Sein; weil Gott uns gewissermaßen zusagt: Du bist erschaffen nicht, um nur zu etwas nutze zu sein; nein, du bist erschaffen um deinetselbst willen; einfach so, weil es gut ist, dass es dich gibt; du bist von mir bejaht, geliebt, nicht aufgrund bestimmter Leistungen, sondern wiederum einfach so.

Und das gilt für alle. Auch Sklaven sollen ruhen. Das heißt: der Sabbat ist auch der Tag der Gleichheit, der Aufhebung der Unterschiede zwischen Herr und Knecht und oben und unten, denn vor Gott sind wir alle gleich und gleicher Würde. Und weil auch das zum Sinn des Daseins gehört, deshalb brauchst der Mensch einen Tag, sich an diesen Sinn zu erinnern und ihn vor allem auch zu feiern. Auch daher repräsentiert der Sonntag den Sinn des Daseins überhaupt. Er ist Tag des Daseinsdankes, daher Tag der „eucharistia“, der Danksagungsfeier, Tag der Preisung des Herrn, der Preisung dessen also, der allen anderen Dingen und Verrichtungen meines Lebensalltages allererst einen bleibenden Sinn verleiht.

Ich will schließen mit einem Hinweis auf das letzte Buch der Bibel. Das Tier, der große Widersacher Gottes, hat darin eine Zahl: 666. Sechs ist die Zahl der Schöpfung ohne den siebten Tag, den heiligen Tag, den Ruhetag, den Sabbat. Man könnte sie so deuten: Eine Schöpfung, die sich in sich selbst verschließt und die Öffnung nach oben verliert, die den Sonntag verliert, der diese Öffnung repräsentiert, droht immer mehr zerstörerische, ja dämonische Züge anzunehmen.

Zum Schluss möchte ich allen danken, die auch in heutiger Zeit, gegen den Strom der Zeit, den Sonntag als Sonntag feiern; die es nicht zuletzt auch stellvertretend für die tun, die den Sonntag verloren haben. Denn es stimmt: Gott sei Dank – es ist Sonntag.

Pfr. Bodo Windolf

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