Predigt vom 10. April 2005

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Papst Johannes Paul"
Predigttext

Dritter Sonntag der Osterzeit 10. April 2005
Les: Apg 2,14.22-33; 1 Petr 1,17-21
Ev : Joh 21,1-14

Papst Johannes Paul – ein großer Brückenbauer

Papst Johannes Paul hat während seines Pontifikats viel Kritik einstecken müssen, aber er ist unbeirrbar seinen Weg gegangen. Demgegenüber ist es nun geradezu überwältigend, welcher Respekt, welcher Zuspruch, ja welche Zuneigung ihm weltweit und auch bei uns in Deutschland nach seinem Tod entgegengebracht werden. Dieser Tod hat unzählige Menschen über die Grenzen von Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen hinweg zu einer einzigen weltweiten Trauergemeinde zusammengeschlossen, ein Phänomen, das auf lange Frist wohl einzigartig bleiben wird.

Was ist das Geheimnis dieses Pontifikats, dass es solche Reaktionen auszulösen vermochte? Es versteht sich fast von selbst, dass es unmöglich ist, in den wenigen Minuten, die eine Predigt nicht übersteigen soll, das Pontifikat des verstorbenen Papstes zu würdigen. Dennoch möchte ich dies unter zumindest einem Aspekt versuchen, und zwar anhand eines Leitmotivs, das in letzter Zeit immer wieder genannt wurde: das des „Pontifex Maximus“.

„Pontifex Maximus“ – so nannten sich die alten römischen Kaiser, weil sie neben der politischen Macht auch noch die des höchsten Priesters des heidnischen römischen Staatskultes innehatten. Dieser bis heute auf die Päpste übergegangene Titel charakterisiert vielleicht mit am besten das nun zu Ende gegangene lange Pontifikat Johannes Paul II. „Pontifex“ bedeutet „Brückenbauer“. Die wichtigste Brücke, die ein Hirte der Kirche zu bauen hat, ist die von Gott zu den Menschen. „Sende aus deinen Geist und du (Gott) erneuerst das Antlitz der Erde“, beten wir in dieser Zeit zwischen Ostern und Pfingsten. Der Heilige Geist tut es nicht allein. Er tut es mit Menschen, die sich von Ihm ergreifen lassen. Papst Johannes Paul war ein vom Heiligen Geist Ergriffener. „Totus tuus“, „Ganz Dein“, war sein Wahlspruch. Und als solcher vom Heiligen Geist Ergriffener hat er wie kaum ein anderer Gestalter das Antlitz der Erde erneuert.

Von seiner Heimat Polen aus begann es. Lech Walesa hat erst kürzlich gesagt: „Vor dem Besuch des Papstes 1979 in Polen hatte die von ihm gegründete Gewerkschaft Solidarnosc zehn Mitglieder, danach eine Million.“ Mit diesem Besuch beginnt die gewaltlose polnische Revolution. Doch schon im Dezember 1980 scheint sie vor dem Aus zu stehen. Die Truppen der Sowjetunion stehen vor Polen. Seiner (des Papstes) Besonnenheit, seinem politischen Gespür und nicht zuletzt auch dem Brief an Leonid Breschnew vom 16. Dezember 1980 ist es zu verdanken, dass die unmittelbar bevorstehende Invasion der Sowjetarmee in Polen im letzten Augenblick abgeblasen wurde.

In diesem Brief verglich er die Rote Armee mit den Nazi-Truppen, die Polen 1939 überfallen hatten. Wollte sie dasselbe tun wie die verhassten deutschen Faschisten? Es hatte auf des Messers Schneide gestanden, ob die polnische Revolution gegen das eigene kommunistische Regime genauso in Blut ertränkt würde wie die Aufstände 1953 und 1956 in der DDR und in Ungarn und der Prager Frühling 1968. Dass dies nicht geschah, hatte zur Folge, dass der ganze Ostblock in den Sog der polnischen Geschehnisse geriet.

Und so vollzog sich in den folgenden Jahren dann in der Tat eine der unglaublichsten Revolutionen, die die Weltgeschichte je gesehen hat. Wer mit dem Eingreifen Gottes in die Weltgeschichte rechnet, kann hier mit recht von einem Wunder sprechen. Ohne das geringste Blutvergießen wurden die despotischen Regime des Ostblocks gestürzt und errangen die Völker des Ostens Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie. Die spöttische Frage Stalins: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“, hatte die ihr gebührende Antwort gefunden: Eine freie und gerechte Welt lässt sich nicht auf Gewalt aufbauen, sondern letztlich allein mit den Mitteln des Evangeliums. Für dieses stand ein Papst, gerüstet allein mit dem Schwert des Wortes Jesu Christi – und er siegte.

In diesen Zusammenhang gehört ein Zweites: 1984 und 1986 wies der Papst in zwei Instruktionen bestimmte Ausprägungen der Befreiungstheologie Lateinamerikas zurück. Dafür mussten er und der Mitverfasser Kardinal Ratzinger herbe Kritik einstecken. Die These der Instruktionen: Nur eine Befreiungstheologie  und „Option für die Armen“, die aus der Mitte des Evangeliums kommt, nicht aber eine, die marxistische Ideologie und ausdrücklich auch Gewalt einschloss, konnte Gnade finden in Rom. Zu sehr war Johannes Paul durch seine hautnahe Erfahrung nationalsozialistischer und kommunistischer Regime immun gegen alle Ideologien, die meinten, für einen erträumten Menschentyp und eine erträumte Gesellschaft den realen Menschen schänden zu dürfen. Selten hat die Geschichte (1989) so schnell dem römischen Lehramt auch gegen Kritik unzähliger Theologen recht gegeben wie in diesem Fall.

Das erste Grundanliegen, das Johannes Paul trieb, war ohne Zweifel die Liebe zu den Menschen. Man hat, weil man dies durchaus sah, immer wieder versucht, Johannes Paul aufzuspalten in einen auf der einen Seite fortschrittlichen Papst und einen auf der anderen Seite, vor allem was dogmatische und moralische Fragen angeht, konservativen bis reaktionären Papst. Doch fortschrittlich und konservativ sind keine Kategorien des Evangeliums. Wer etwa weniger oberflächlich schaut, sieht, dass es letztlich ein und dieselbe Grundüberzeugung war, die ihn getrieben hat, mochte man sie hören oder nicht: und das war – als ein Aspekt seiner Liebe zum Menschen – das bedingungslose Eintreten für die Rechte und die Würde einer jeden menschlichen Person vom Beginn bis zum Ende ihres Lebens.

Als einer, der auf unzähligen Reisen immer wieder die Nähe zu den Menschen gesucht hat – gerade auch der armen und einfachen und unterdrückten, die Nähe der Kinder, der Jugendlichen – war er jemand, der Brückenbauer nicht nur von Gott zum Menschen, sondern genauso von Mensch zu Mensch war.

Unermüdlich suchte er Brücken zu bauen zu den unterschiedlichen christlichen Konfessionen –  evangelisch, anglikanisch, orthodox – und bot zum Beispiel den Dialog an über die Frage, wie eine Ausübung des päpstlichen Amtes aussehen könnte, die unter Wahrung seiner Sendung, nämlich der Einheit der Christen zu dienen, auch für andere Konfessionen annehmbar sein könnte.

Er suchte die Aussöhnung mit den Juden. Unvergesslich sein Besuch der römischen Synagoge, sein Gebet an der jüdischen Klagemauer und die Bitte um Vergebung für das von Christen an Juden verübte Unrecht.

Er suchte den Dialog mit dem Islam. Gerade zu epochal sein Besuch in der Omaijaden-Moschee in Damaskus. Brücken baute er auch zu allen anderen Religionen mit den zwei Friedensgebetestreffen in Assisi. Mit Gesten, Worten und Zeichen hat er immer wieder über unüberwindlich scheinende Grenzen hinweg ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erzeugen können. Man könnte es so sagen: Er versuchte, die These vom notwendigen Zusammenprall der Kulturen zu widerlegen, das Verbindende zwischen den Menschen zu stärken und das Trennende zu überwinden.

Bei all dem aber hat er eines nicht getan. Er hat es nicht getan um den Preis der Wahrheit. Vielleicht ist es nicht zuletzt diese Geradlinigkeit, dieses Hören auf den Geist der Zeit, ohne dem Zeitgeist zu verfallen und für kurzlebige Moden die Lehrtradition der Kirche über Bord zu werfen, was auch viele Jugendliche in unserer orientierungslosen Zeit an ihm schätzten. Zum Beispiel: Sexualmoral, die bei ihm eingebettet ist in eine ganz bestimmte Sicht der Ehe. Auch wer sie kritisiert, muss, wenn er dem zugehört hat, was er sagt, zugeben, dass es ihm dabei letztlich um die Würde der Sexualität, also um eine der Würde des Menschen, besonders der Frau, aber auch des Mannes entsprechend gelebte Sexualität ankommt.

Ebenso seine kompromisslose Ablehnung von Abtreibung und Euthanasie als eine Kultur der Todes  gegen eine Kultur des Lebens. Auch dies ist nichts anderes als ein Brückenbau, diesmal nämlich zu den schwächsten Gliedern unserer Gesellschaft: den ungeborenen und den alten Menschen.

Wie hätte er Bush`s Krieg gegen den Irak und damit das Blutvergießen Unschuldiger glaubwürdig verurteilen können, wenn er nicht gleichzeitig eingetreten wäre für dasselbe Lebensrecht unschuldiger Menschen, nämlich der Ungeborenen?

Dass er ein ungewöhnlicher Brückenbauer zur Jugend hin war, vor allem durch die von ihm entscheidend initiierten Weltjugendtage, ist schon oft hervorgehoben worden. Es war ein ganz eigenes Charisma, mit dem dieser alte Mann die Herzen gerade der jungen Leute zu erobern vermochte; ein besonderer Charme, eine besondere Glaubwürdigkeit, der sich kaum jemand, der ihn aus der Nähe erlebte, entziehen konnte.

Die letzten Jahre seines Lebens waren besonders geprägt von einem Brückenbauen zu den Alten, Kranken, Leidenden hin. Dass er, der gutaussehende Sportsmann, der er einmal war, seine Armut, Gebrechlichkeit und sein unansehnliches Aussehen nicht versteckte, war eine Predigt ohne Worte über den Wert und die Würde auch des alternden Menschen, die seine Schicksalsgenossen sicher besonders gut verstanden haben.

In seinem Testament hat er um Vergebung gebeten für alles, was unvollkommen war in seinem Pontifikat. Gestorben aber ist er im Frieden. „Ich bin froh – seit auch ihr froh“, dies waren eines seiner letzten Worte. Die Freude des Glaubens hat er verkündet, in dieser Freude ist er gestorben.

Es ist das Erbe eines großen Brückenbauers, das er hinterlässt. Wir aber dürfen dankbar sein für einen großen Menschen, den Gott der Kirche, aber nicht nur ihr, sondern der ganzen Welt geschenkt hat.

Pfr. Bodo Windolf

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