Predigt vom 16. Oktober 2005   Kirchweih

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott ...."
Predigttext

29. Sonntag im Jahreskreis
Kirchweih

“Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.” 

Es ist eine so einfache wie geniale Antwort auf eine Frage, die in der damaligen Situation von höchster Brisanz war und in der Art, wie sie gestellt wurde, eine fast teuflische Falle beinhaltete.

Zu sagen: Ja, es ist erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen, wäre für Jesus einer Aufgabe seines Messiasanspruchs gleichgekommen; denn es hätte bedeutet, Rom als legitime Staatsmacht über Israel anzuerkennen, wohingegen es eine unter den Juden Seiner Zeit allgemeine Ansicht war, der wahre Messias werde Israel von der verhassten römischen Fremdherrschaft befreien. Die Frage zu verneinen aber hätte seinen Gegnern alle Möglichkeiten eröffnet, ihn als Aufrührer bei den Römern anzuklagen und so zu beseitigen.

Allerdings erweist sich Jesus hier nicht nur als klug und schlagfertig. Über seine situative Bedeutung hinaus beinhaltet dieser kleine Satz Grundsätzliches, nämlich über das von Ihm gewünschte Verhältnis von Kirche und Staat. Ja man kann sagen, dass er gleichsam das ganze spannungsreiche Ringen zwischen Kirche und Staat, Sacerdotium und Regnum, das Miteinander und Gegeneinander der politischen und geistlichen Institutionen der letzten 2000 Jahre enthält.

Für unsere heutige Zeit ist das, wofür der Kaiser steht, übergegangen in den demokratisch verfassten Staat; was aber Gottes ist, hatte immer schon die Kirche gleichsam als Seine Sachwalterin zu vertreten. Anlässlich des heutigen Kirchweihfestes erscheint es mir naheliegend, sich über das Verhältnis von beiden in unserer Zeit einige Gedanken zu machen.

Das Wesen des demokratischen Staates besteht darin, dass hier keiner nur Objekt von Herrschaft, also ein nur Beherrschter ist, sondern dass jeder seinen Willen einbringen kann in das politische Handeln. Auch wenn dies oft nur durch Wahl und die Delegation von Macht an die Delegierten geht, gilt als der eigentliche Souverän das Volk. Die delegierte Macht muss kontrolliert und abwählbar sein, damit sie sich nicht verselbständigt und zur Willkür wird. Die Freiheit des Volkes und des Individuums zählt daher zu den höchsten Gütern jeder Demokratie.

Damit Freiheit nun aber nicht zur Anarchie wird, in der mein Wille, zu tun, was ich will, zur Bedrohung für andere wird, muss sie gebändigt werden durch das Rechte und Gute.

Hier aber fängt das Problem an. Die Freiheit, zu leben wie ich es für richtig halte, ist unbestrittenes Allgemeingut in unserer Gesellschaft geworden. Die Frage aber: Was ist recht?, was ist gut?, ist weitaus umstrittener. Wir wollen für viele Bereiche unseres Lebens einfach nicht, dass uns der Staat oder gar die Kirche oder irgendeine andere Institution eine Idee des Rechten und Guten aufdränge oder gar aufzwinge.

Trotzdem muss es Gesetze geben, wenn nicht das reine Chaos herrschen soll. Woher aber soll der Maßstab für sie genommen werden, damit die Gesetze auch tatsächlich recht und gerecht sind? Für nicht wenige Rechtstheoretiker scheint das einzig Plausible zu sein, das, was Recht ist oder als Recht gelten soll, per Mehrheitsvotum zu entscheiden.

In der Regel wird dies sicher auch gar nicht anders möglich sein. Die Frage ist nur, ob es nicht auch Grundwerte und damit ethische Normen gibt, die von vorneherein dem Spiel von Mehrheit und Minderheit entzogen sein müssen, so dass ein Gemeinwesen sich auf die Dauer selbst zerstört, wenn dies nicht mehr anerkannt wird.

Wohin es in letzter Konsequenz führt, wenn als alleiniges Kriterium für Gut und Böse, für Recht und Unrecht die Mehrheitsentscheidung der zuständigen Personen, z.B. Parlamentarier gilt, lässt sich gut an einem Beispiel zeigen, das der österreichische Rechtsgelehrte Hans Kelsen anführt.

Er entnimmt es dem NT: Als Jesus vor Pilatus steht, gibt dieser Ihm mit der Frage: „Was ist Wahrheit?“ zu verstehen: Was in Wahrheit recht und gerecht ist, lässt sich überhaupt gar nicht endgültig entscheiden; der eine hält dieses für wahr, der andere jenes, unter Umständen das genaue Gegenteil. Und daher tut Pilatus nach Kelsen das einzig Richtige, indem er gar keine Antwort erwartet oder gar nach ihr sucht. Nein, er handelt als Demokrat, indem er sich sogleich an das Volk wendet und dieses befragt: Wen soll ich euch freigeben: Jesus oder Barabbas? Wen soll ich kreuzigen: Barabbas oder Jesus? Sagt ihr mir, was in diesem Augenblick und in diesem Fall das Rechte und angemessene ist!

Was ergibt sich aus dieser Theorie? Hier gibt es nicht mehr ein dem Staat und dem Volk vorgegebenes Recht, es gibt damit auch keine vorgegebene Wahrheit des Rechten und Guten, an der sich der Gesetzgeber messen lassen muss, sondern nur noch bestimmte richtige Prozeduren. Der Mehrheitsentscheid muss mit rechten Dingen zugehen, also formal korrekt ablaufen. Dass im Fall Jesu ein unschuldiger Gerechter verurteilt wird, scheint Kelsen nicht anzufechten. Denn nach ihm gibt es einfach keine andere Wahrheit als die der Mehrheit.

Was ich bis hierher vielleicht ein wenig abstrakt ausgeführt habe, ist bestürzend aktuell für unsere eigene Rechtsgemeinschaft. Per Mehrheitsbeschluss wurde in unserem und in vielen anderen Ländern die vorgeburtliche Tötung menschlichen Lebens, und noch einmal radikaler: die von voraussichtlich behinderten Kindern für rechtens erklärt. Der Druck, aktive Sterbehilfe, also die Tötung unheilbar kranker und alter Menschen zu erlauben, wird aufgrund der demographischen Entwicklung ohne Zweifel immer mehr wachsen. Wir dürfen gespannt sein, was sich diesbezüglich in der neuen Regierung tun wird. In Holland und Belgien ist es ja schon lange per demokratischem Entscheid gestattet. Viele weitere bioethische Fragen bezüglich des Umgangs mit sog. überzähligen Embryonen, dem Klonen usw. werden in nächster Zeit kaum mehr zur Ruhe kommen.

Was ist angesichts solcher Entwicklungen die Aufgabe der Kirche?

Die Kirche hat in unserem Gemeinwesen keine andere Waffe als die der Argumente und die des mahnenden Wortes. Dies betrifft nicht nur die genannten Fragen der Bioethik, sondern auch die der sozialen Gestaltung unserer Gesellschaft, des rechten Umgangs mit jenen, die rein nach wirtschaftlichen Kriterien unproduktiv sind: Alte, Behinderte, unheilbar Kranke; die des rechten Umgangs mit Tieren, mit der Schöpfung insgesamt, damit mit den Ressourcen, die auf eine teilweise unverantwortliche Weise ausgebeutet werden.

Der Dienst der Kirche an unserer Gesellschaft als Sachwalterin der Sache Gottes – und mit Kirche sind dabei nicht einfach „die da oben“ in der Hierarchie gemeint, sondern alle Gläubigen, denen der Glaube noch etwas bedeutet – ist, die Stimme zu erheben gerade auch dann, wenn es im Widerspruch geschehen muss. Mein Eindruck ist, dass wir als Kirche hier in Deutschland - und zwar auf allen Ebenen - insgesamt viel zu angepasst, viel zu leise sind. Nach unserer Überzeugung gibt es eine Wahrheit - eine Wahrheit auch in ethischen Fragen - ohne die ein Gemeinwesen sich auf Dauer selbst zerstört.

Zeugnis zu geben für die Wahrheit, deren Erkenntnis Pilatus und mit ihm viele heutige Politiker nicht für möglich halten, Zeugnis zu geben mit der Kraft der Argumente und eines entsprechenden Lebens, ist unsere Aufgabe und damit die uns heute aufgetragene Verwirklichung des Satzes Jesu: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“

Wenn diese Kraft, die Kraft des Evangeliums und damit die Kraft der Wahrheit unser Leben formt und bestimmt, können wir als Kirche auch heute noch eine gestaltende Kraft für das Ganze unserer Gesellschaft werden. 

Pfr. Bodo Windolf

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