Predigt vom 26. Dezember 2005   2. Weihnachtsfeiertag

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf


Thema: 
"Weihnachten und Fest des hl. Stephanus – repräsentative Tage für eine „Kultur des Lebens“ und eine „Kultur des Todes"
Predigttext

Zweiter Weihnachtstag, 26. Dez. 2005 (Fest des hl. Märtyrers Stephanus)
Les: Apg: 6, 8-10; 7, 54-60
Ev: Mt 10,17-22

Weihnachten und Fest des hl. Stephanus – repräsentative Tage für eine „Kultur des Lebens“ und eine „Kultur des Todes

Die Gegensätzlichkeit der beiden weihnachtlichen Festtage könnte größer kaum sein. In engster zeitlicher Nachbarschaft werden uns die am weitesten auseinander liegenden Pole unseres Daseins vor Augen gestellt: Geburt und Tod, leben und sterben, Leben schenken und Leben rauben, Zukunft liebend eröffnen und Zukunft mörderisch zerstören. Um es mit den Worten unseres verstorbenen Papstes zu sagen: Am ersten Weihnachtsfeiertag feiern wir in dem neugeborenen göttlichen Kind die „Kultur des Lebens“, am zweiten Weihnachtsfeiertag kommt im Mord an Stephanus die brutale „Kultur des Todes“ in unseren Blick. Eindringlich mahnend, bittend, geradezu beschwörend wie kein anderer Repräsentant unserer Zeit hat Papst Johannes Paul in unzähligen Ansprachen diese Alternative als jene bezeichnet, an der sich das zukünftige Schicksal Europas entscheiden wird: Ob Europa Zukunft haben und blühen wird in Rückbesinnung auf eine „Kultur des Lebens“. Oder ob es sich blindlings selbst zerstören wird in der Zelebration einer „Kultur des Todes“.

Mir persönlich will scheinen, dass wir, unsere Generation, in einen ungemein spannenden und herausfordernden Moment unserer europäischen Geschichte gestellt sind; in eine Epoche, in der wir, jeder von uns, mitentscheidet, ob eine der reichsten und faszinierendsten Kulturen, die die Menschheit je hervorgebracht hat, abstirbt, weil sie sich ihrer Wurzeln entledigt und  sie geschichtsvergessen abschneidet; oder ob sie Kraft zur Erneuerung findet im Wiederentdecken ihrer Wurzeln; ob wir psychisch und physisch untergehen in einem banalen Materialismus, im irren Tanz um die goldenen Kälber unserer Zeit; oder ob wir uns innerlich erneuern im Wiedergewinnen der tragenden Werte menschlichen Daseins, die es, wie nachdenkliche Menschen inzwischen immer mehr erkennen, auf Dauer ohne religiöse Bindung, ohne Glaube, Transzendenz, Gott nicht gibt.

Einer der genialsten Denker des vorletzten Jahrhunderts, der vor genau 150 Jahren verstorbene dänische Philosoph Sören Kierkegaad, notierte 1836 in seinem Tagebuch einen wie für unsere Zeit geschriebenen Satz: „Man befürchtet im Augenblick nichts mehr als den totalen (wirtschaftlichen) Bankrott, dem Europa entgegengeht, und vergisst darüber die weit gefährlichere Zahlungsunfähigkeit in geistiger Hinsicht, die vor der Tür steht.“ Ich will ein Beispiel nennen für die auf lange Sicht tödliche Liaison einer „Kultur des Todes“ mit geistigem Bankrott, geistiger Blindheit in unserer Zeit.

Entsetzen erfasste, selbstverständlich zu Recht, unsere Republik, als vor wenigen Monaten der über Jahre verteilte neunfache Babymord einer Mutter in Frankfurt/Oder an die Öffentlichkeit drang. Hätte dieselbe Mutter ihre Kinder ein paar Monate früher, nämlich vor deren Geburt klinisch sauber töten lassen, wäre das unserer medialen Welt keine Zeile wert gewesen. Monatlich erblicken in unserem Land 330 Schulklassen niemals das Licht der Welt, weil sie ausgelöscht wurden. Seit dreißig Jahren summiert sich die Zahl der abgetriebenen Menschenkinder, die genauso gern gelebt hätten wie jeder von uns, auf etwa 6-8 Millionen. Niemanden, der ein Herz für Kinder hat und für die Frauen und teils auch Männer, die ihr Leben lang damit nicht fertig werden, können diese unvorstellbaren Zahlen kalt lassen.

Die heutige demographische Diskussion, die bis auf ganz wenige Ausnahmen über sämtliche politische Parteien hinweg dieses Thema so gut wie ausblendet – so ist in unserer ganzen Ministerriege nicht einer bereit, auch nur den Versuch zu wagen, ein Umdenken in unserer Bevölkerung anzustoßen –leidet solange unter purer Heuchelei, wie es an Mut fehlt, den Finger in diese furchtbare Wunde unserer Gesellschaft zu legen.

Wenn in einer Broschüre des Gesundheitsministeriums zu lesen ist, dass die bis zu 90- prozentige staatliche, d. h. aus unseren Steuergeldern erfolgende Finanzierung von Abtreibungen „im gesamtgesellschaftlichen Interesse liege“, dann sagt die Ministerin, die in ihrem Amtseid geschworen hat, dem Wohl unseres Volkes zu dienen, nichts anderes als: Der staatlich unterstützte kollektive Teilselbstmord unseres Volkes liegt in unserem eigenen Interesse.

Die so genannte 68er Generation hatte im Hinblick auf das Dritte Reich ihre Väter und Großväter gefragt: „Was habt ihr dagegen unternommen?“ Und vor allem: „Warum habt ihr geschwiegen?“ Es könnte die Zeit kommen, wo sie selbst zu den Befragten werden: „Was habt ihr getan? Und warum habt ihr zum Unrecht eurer Zeit geschwiegen?“

Es könnte aber auch anders kommen, und die zukünftige Generation löst das Problem der Überalterung unserer Gesellschaft pragmatisch; so pragmatisch, wie schon seit längerer Zeit in Holland: Jährlich werden 3000-4000 Patienten von Ärzten getötet, davon ca. 1000 ohne ihr zuvor gegebenes Einverständnis. Inzwischen dürfen in Holland unter Beachtung gewisser „Sorgfaltskriterien“ , wie es so wunderbar zynisch im Gesetzestext heißt, unerträglich leidende Neugeborene mit Einwilligung der Eltern, und das heißt nichts anderes als fremdbestimmt, getötet werden. Man liquidiert das Leid, indem man den Leidenden liquidiert. Das ist natürlich billiger und menschlich anspruchsloser, als die Linderung und Begleitung und palliative Pflege Schwerstkranker und Sterbender, wie dies in Hospizen geschieht.

Die große Frau der Nächstenliebe des vergangenen Jahrhunderts, Mutter Theresa, sagte einmal das prophetische Wort: „Die Gewalt gegen die ungeborenen Menschen wird eine Welle der Gewalt gegen das geborene menschliche Leben nach sich ziehen.“

Liebe Gemeinde!

Warum über diese Dinge sprechen? Von Berthold Brecht stammt der Zweizeiler: „Was sind das für Zeiten, wo / ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, / weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Mit anderen Worten: Wer schweigt droht mitschuldig zu werden.

Warum an Weihnachten über diese Dinge sprechen? Weihnachten feiern und singen wir: Ein Kind ist uns geboren. Dieses Kind will nicht nur sentimentale Gefühle in uns wecken, sondern fordert heraus zu Taten. Weihnachten ist das Fest der Menschwerdung Gottes, das Fest, in dem wir feiern, dass Gott sich restlos zum Anwalt des Menschen, insbesondere der Kleinen, Rechtlosen, Wehrlosen gemacht hat. Wer sich in diesem Gott, erschienen im menschlichen Antlitz eines Kindes, verankert – kann gar nicht anders als auch sich selbst zum bedingungslosen Anwalt aller Menschen und damit zum Anwalt einer „Kultur des Leben“ zu machen.

Wo aber Menschen diesen Gott abstreiten oder Ihn ansehen als einen lästigen Einmischer in ihre „inneren Angelegenheiten“ und auf Nichteinmischung plädieren, d.h. sich autonom gebärden, nur mehr verantwortlich ihren eigenen Interessen, da droht aufs Ganze gesehen der „Mensch dem Menschen ein Wolf“ zu werden, „homo homini lupus“, wie schon der alte Thomas Hobbes wusste. Auf der Strecke bleiben vor allem die Schwächsten, und mehr und mehr regiert das nackte Recht der Stärkeren.

Was können wir tun? Es gibt eine jüdisch-talmudische Spruchweisheit, die besagt: Wer ein Menschenleben rettet, hat die ganze Welt gerettet. Wer das Kleine tut, das er tun kann, hat genug getan; mehr wird nicht verlangt.

Schließen will ich mit einem alten biblischen Wort aus dem Buch Deuteronomium, ein Wort, das die Wegscheide beschreibt, an der Europa und darin wir alle stehen: „Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch: Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den Herrn, deinen Gott, höre auf seine Stimme, und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben.“ (Dt 30, 19f)

Pfr. Bodo Windolf

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