Predigt vom 9. Juli 2006

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

Thema: 
"Jesus, der Sohn der Maria und seine Geschwister"
Predigttext

14. Sonntag im Jahreskreis 9. Juli 2006
Les: Ez 1,28b-2,5 ; 2 Kor 12,7-10
Ev : Mk 6,1b-6

Jesus, der Sohn der Maria und seine Geschwister

Immer mal wieder höre ich Gläubige sagen, die Menschen, die damals vor 2000 Jahren in Israel gelebt haben und Jesus gehört, gesehen und erlebt haben, die hätten es gut gehabt. Wäre das mir widerfahren, dann würde es mir leichter fallen, zu glauben und zu vertrauen. Aber so, aus diesem Abstand von 2000 Jahren heraus glauben zu sollen, was da alles über Ihn damals aufgeschrieben wurde, - wie kann man sicher sein, dass das alles stimmt.  

Die heutige Evangelienperikope zeigt überdeutlich, was für ein Irrtum diese Annahme ist. Der Glaube an Jesus Christus bedeutete zu allen Zeiten eine Provokation, eine Zumutung an uns Menschen, weil – Er so anders kam und kommt, als wir es uns vorstellen. Und damit am schwersten taten sich offensichtlich die, die Ihn am besten kannten und Ihm am nächsten standen: Die Mitbewohner seines Heimatortes Nazareth, ja Jesu eigene Familie. 

Verweilen wir ein wenig bei dieser, denn immerhin gewährt uns ein Vers aus dem heutigen Evangelium trotz seiner Kürze einen recht eindrücklichen Blick in die privaten Lebensumstände Jesu. 

Zwei Bemerkungen sind es, die zur Verwunderung und zum Nachfragen Anlass geben. Da ist zunächst die Bemerkung: „Ist das nicht der Sohn der Maria?“ Diese Formulierung lässt aufhorchen, denn sie ist im Judentum absolut unüblich, da bei der Bestimmung der Herkunft eines Menschen durchgängig der Vater genannt wird. Warum nennt man Ihn so und offensichtlich ganz bewusst nicht „Sohn des Josef“?

Wir können und müssen hier wohl aus der Wiedergabe dieser Benennung durch Markus ein Zweifaches heraushören.

Zum einen gilt es in Nazareth offensichtlich als ausgemacht, dass Josef nicht der leibliche Vater Jesu ist. Ein amerikanischer Exeget hat die Bemerkung über Jesus folgendermaßen übersetzt: „That`s Mary`s boy from down the street“, im Deutschen etwa: „Der da ist Marias illegitimer, unehelicher Sohn hinten von der Unterstrasse.“ Es handelt sich also um einen verächtlichen und beleidigenden Ausdruck, der wiedergibt, wie man Jesus aus jüdischer Perspektive sieht. Man drückt damit in Nazareth aus, dass Maria (eventuell mit einem römischen Soldaten) ein Verhältnis gehabt habe, dass Jesus somit das Kind eines Ehebruchs ist und Josef Mutter und Kind – entgegen dem jüdischen Brauch, sie zu verstoßen – seinen guten Namen hergab, um sie vor der Schande zu beschützen. So also standen Jesus und Seine Familie in den Augen der Nazarener da.

Zum anderen kann sich nun aber auch der christliche Markus damit identifizieren, freilich in einem ganz anderen Sinn. Während Mathäus und Lukas in ihren Kindheitsgeschichten die leibliche Vaterschaft Josefs ausdrücklich ausschließen und sagen, dass Jesus reines Geschenk von oben aus der Kraft des Geistes Gottes ist, reflektiert Markus in dieser kurzen, doppeldeutigen Wendung aus seiner christlichen Perspektive auf die jungfräuliche Empfängnis Jesu im Schoß Mariens. 

Die zweite Verwunderung auslösende Bemerkung ist die über die namentlich genannten Brüder Jesu, nämlich Jakobus, (der später als Episkopos, Vorsteher und Bischof der Jerusalemer Gemeinde eine bedeutende Rolle in der Urkirche spielen wird), Josef, Judas und Simon sowie seine namentlich nicht genannten Schwestern. Was hat es mit diesen auf sich? 

Es ist eine bis in früheste Zeit zurückreichende Überzeugung der christlichen Tradition, dass Maria neben Jesus keine weiteren Kinder geboren hat und dass sie daher die beiden grundlegenden Stände in der Kirche verkörpert: sowohl den Stand der Ehe wie auch den Stand der Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen. Daher versteht die katholische Auslegung in der Regel die Geschwister Jesu als Seine Vettern und Basen in Entsprechung zu anderen Stellen im Alten Testament, wo auch weitläufigere Verwandte als Brüder und Schwestern bezeichnet wurden. Die orthodoxe Tradition nimmt unter Berufung auf das apokryphe Jakobus-Evangelium an, dass die Geschwister Jesu Kinder Josefs aus seiner ersten Ehe waren, ehe er als Witwer Maria heimführte und ehelichte. Wie auch immer es sich verhielt – sicher ist, dass die Vorstellung, Jesus sei als behütetes Einzelkind groß geworden, an der Realität wohl vorbeigeht. 

Aus all dem wird ausreichend deutlich, was es den Nazarenern und nicht zuletzt auch der Familie Jesu so schwer machte, Jesus als Propheten und Messias anzuerkennen. Vermutlich nichts anderes als die Tatsache, dass Er so ungöttlich, so ohne jeden Anspruch auf Besonderheit, ja sogar anstößig, nämlich im Geruch eines unehelichen Kindes unter ihnen gelebt hatte. Sollte Gott auf so unauffällige und zugleich skandalöse Weise Seinen Boten gesandt haben? 

Ja, genau das war es, was Ärgernis und Anstoß erregte: dass Gott so anders kam als erwartet, so unausdenkbar einfach und unspektakulär Das kann man Ihm nicht verzeihen, das ist ein unverzeihlicher Fauxpas.

Doch genau dies ist Sein Markenzeichen: Gott kommt verborgen, Er will überzeugen, nicht überwältigen; Er will Glauben wecken, nicht Sensationsgier stillen. 

Glauben findet Jesus in Nazaret nicht, jedenfalls so wenig, dass Er sich selbst darüber wundert; und es heißt ausdrücklich, dass Er deshalb auch so gut wie keine Wunder wirken konnte. Der evangelische Reformator Calvin kommentierte diese Stelle dahingehend, dass unser Unglaube die Hand Gottes lähmt, nicht weil die Ungläubigen stärker sind als Er, sondern weil sie Ihm nicht erlauben, Seine Macht zu entfalten.  

Versuchen wir, Gottes Wirken immer auch in den unscheinbaren, vielleicht auch anstrengenden Ereignissen unseres Lebens – wie kann Er das zulassen! – zu entdecken und Ihm so zu vertrauen, dass Er Seine kleinen und großen Wunder des Heils und der Heilung auch in unserem Leben tun kann.

Pfr. Bodo Windolf

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