Predigt vom 19. November 2006  - Volkstrauertag

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching   

Thema:
"Der dünne Boden unserer Kultur und Zivilisation"
Predigttext

33. Sonntag i. J. 19. November 2006 (Volkstrauertag)
Les: Dan 12,1-3 ; Hebr 10,11-14.18
Ev : Mk 13,24-32

Der dünne Boden unserer Kultur und Zivilisation

Der soeben gehörte Abschnitt gehört zum letzten Teil der so genannten endzeitlichen Rede Jesu, die Sein öffentliches Wirken und Reden beschließt und unmittelbar übergeht in den Bericht Seiner Passion. Markus schildert die Umstände dieser Rede sehr anschaulich. Beim Verlassen des Tempels macht einer der Jünger Jesus auf dieses wahre Wunder antiker Baukunst aufmerksam, erntet aber nur die lakonische Antwort: „Kein Stein wird auf dem anderen bleiben, alles wird niedergerissen.“ Als dann alle im Ölberggarten beieinander sitzen mit Blick auf den prächtigen Tempel, kommt natürlich die Frage auf: Wann wird denn das alles eintreffen? Die Antwort Jesu ist die Prophezeiung unbeschreiblicher kommender Not mit Kriegen, (Natur-) Katastrophen, Verfolgungen und dem Auftreten unzähliger falscher Propheten und Gurus.

Übertragen wir diese Situation einmal auf unsere Zeit. Auch wir können nicht umhin, voller Bewunderung auf die kulturellen und vor allem technischen Errungenschaften unserer Epoche zu schauen. Angesichts des rasanten technischen Fortschritts war das 19. Jahrhundert noch von einem fast uneingeschränkten Fortschrittsglauben beseelt. Dieser Fortschrittsglaube, dass die Welt unaufhörlich einem besseren Zustand entgegengehe, erlitt vor allem durch die beiden Weltkriege, deren wir am heutigen Volkstrauertag in besonderer Weise gedenken, einen gewaltigen Dämpfer, lebt aber trotzdem noch in den Köpfen nicht weniger Menschen weiter . Ist es nicht doch machbar, dass wir die Welt aus eigener Kraft friedlicher, gerechter, humaner, lebenswerter gestalten?

Um realistisch zu bleiben, ist es gut, immer wieder einmal, so wie Jesus damals, auch heute in den Blick zu nehmen, wie dünn der Boden unserer menschlichen Kultur und Zivilisation ist. Die Barbarei der Vernichtung und des Holocaust der beiden Weltkriege, die nicht zuletzt auch im Namen des menschlichen Fortschritts geführt wurden, ist hinlänglich bekannt und bewusst. Für uns Heutige heilsamer ist daher ein Blick weniger auf das Versagen unserer Vorfahren, sondern auf das unserer eigenen Zeit. Erinnerungskultur ist nur sinnvoll, wenn sie den Blick für aktuelle Problematiken nicht verstellt, sondern schärft. Und so wie wir immer wieder uns die letzten Kriege ins Gedächtnis rufen, damit sie sich nicht wiederholen, muss auch immer wieder erinnert werden, was die Wunden unserer Zeit sind.

Denn Krieg – ist auch heute, auch in unserem Land: hunderttausendfach, innerhalb von dreißig Jahren zig millionenfach Krieg gegen das ungeborene Leben. Dreißig bis vierzig Schulklassen werden Tag für Tag in unserem Land ausgelöscht. Ist das etwa kein Krieg? Wie froh wäre ich, wenn viel mehr betroffene Männer und Frauen durch ein Gespräch, durch eine Beichte, durch eine Feier der Verabschiedung von ihrem getöteten Kind, wie ich es schon öfter gefeiert habe, den eigenen inneren Frieden wieder finden würden.

Krieg europaweit, weltweit gegen sogenannte überzählige oder eigens hergestellte Embryonen im Namen medizinischen Fortschritts. Menschliches Leben einmal mehr degradiert zum bloßen Material für fremde Interessen. Sollte das kein Krieg gegen den Menschen sein?

Krieg in Holland, Belgien und anderen Ländern – bei uns vielleicht nur noch eine Frage der Zeit – gegen sterbenskranke Menschen, die man lieber per Todesspritze entsorgt, anstatt sie palliativ und mit menschlicher Wärme zu begleiten. (Aus diesem Grund freut es mich besonders, dass sich in den vergangenen Monaten auch in Garching eine Hospizgruppe gegründet hat, die nach entsprechender Ausbildung Sterbenskranke und deren Angehörige entlasten, unterstützen und begleiten möchten.)

Krieg, Geheimgefängnisse, Folter als Methoden im Kampf gegen den Terror. Man sucht den Teufel mit Beelzebub, den Teufel mit dem Teufel auszutreiben. Dass dies nicht gut gehen kann, beobachten wir täglich im Irak.

Wir sehen: Der Boden unserer Kultur und Zivilisation bekommt schnell Risse und es tun sich finstere Abgründe unter ihm auf. In diesem Sinn finden die von Jesus beschriebenen Ereignisse von Krieg und Gräuel nicht erst am Ende der Zeit statt, sondern begleiten die menschliche Geschichte insgesamt.

Wenn der Boden auf dem unsere Zivilisation ruht, so dünn ist und immer dünner zu werden scheint durch zu viele verwahrloste, gewaltbereite, seelisch verletzte und zerrüttete Kinder und Jugendliche – wo ist denn dann der Boden, auf dem ich, wir, unsere Gesellschaft ein tragendes Fundament und Halt gewinnen?

Jesus sagt es uns im heutigen Evangelium: Himmel und Erde – d. h. alles rein von Menschen Gebaute – wird vergehen und untergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Wer sein Leben auf Gott baut – freilich nicht auf den Gott der Terroristen, sondern auf den Gott Jesu Christi – durch den allein wir dem wahren Gott begegnen; wer sein Leben aufbaut auf die Worte und Taten Jesu, der baut auf einem Fundament, das nicht vergeht, das daher auch nichts und niemand zu zerstören vermag. Wer darauf baut, wird ein Mensch des Friedens, der Versöhnung, einer Kultur des Lebens und nicht des Todes.

In der Lesung heißt es: In jener Zeit tritt Michael auf. Der Erzengel Michael ist der Patron der Deutschen, wovon ja auch die Bezeichnung „Deutscher Michel“ kommt. Michael bedeutet: „Wer ist wie Gott?“, und dargestellt wird er immer als Sieger über den Drachen, den Teufel, das Böse. Niemand kann in diesem Kampf unentschieden bleiben. Wem Gott und der Glaube gleichgültig ist, der ist in Gefahr, schon auf der anderen Seite zu stehen. Gott braucht entschiedene, nicht lau sich durchlavierende Menschen und Christen. Wer wie Michael sagt und vor allem auch lebt: Wer ist wie Gott?, der baut sein Leben auf das, was nie vergeht, sondern in Ewigkeit Bestand hat.

Pfr. Bodo Windolf

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