Predigt vom 31. Dezember 2006  - Fest der heiligen Familie

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Gehorsam in der Bibel – Knechtischer Gehorsam und freier Gehorsam"
Predigttext

Sonntag in der Weihnachtsoktav (Fest der heiligen Familie) 31. Dezember 2006
Les: Sir 3,2-6.12-14 ; Kol 3,12-21
Ev: Lk 2,41-52 

Gehorsam in der Bibel – Knechtischer Gehorsam und freier Gehorsam

„Dann kehrte er mit ihnen nach Nazareth zurück und war ihnen gehorsam.“ Welch erstaunliches Paradox! Gott wird Menschen gehorsam. Der Schöpfer unterwirft sich seinem Geschöpf. Er, dem der Gehorsam der Völker gebührt, beugt sich als Kind unter die Autorität von Eltern. Der Menschgewordene zerstört nicht und hebt nicht auf die menschliche Ordnung, sondern Er fügt sich ihr ein und heiligt sie. Christus heiligt die Haltung des Gehorsams, indem Er sie selber übt. Es lohnt sich, darüber ein wenig nachzudenken. 

Das Wort „Gehorsam“ steht heutzutage nicht hoch im Kurs, es weckt eher skeptische, abwehrende, ablehnende Gefühle. Nur der autonome, nicht fremd-, sondern selbstbestimmte, nur sich selbst gehorchende Mensch erscheint uns als das Ideal der freien Persönlichkeit. 

Der furchtbare Missbrauch der Begriffe von Gehorsam und Pflichterfüllung unter den Nazis hat besonders seit den 68ern zu einer zunehmenden Verächtlichmachung dieser sog. Sekundärtugenden geführt. Berühmtheit hat eine Äußerung Oskar Lafontaines erlangt, der 1982 in einem Interview mit dem Stern den vormaligen Kanzler Helmut Schmidt angriff, der sich lobend über Sekundärtugenden geäußert hatte. Er sagte damals: „Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl ... Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzise gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“ Der von den Nazis ermordete evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb schon 1943 über die, bei denen Pflicht und Gehorsam an oberster Stelle auf der Werteskala stehen: „ ... Hier wird das Befohlene als das Gewisseste ergriffen, die Verantwortung für den Befehl trägt der Befehlshaber, nicht der Ausführende ... Der Mann der Pflicht wird schließlich auch noch dem Teufel gegenüber seine Pflicht erfüllen ...“ (Ergebung und Widerstreit, 11) 

Erst kürzlich hatte ich ein Gespräch mit einem jungen Mann, in dem unter anderem die Bemerkung fiel: „Dieser Gott der Bibel, den die Kirche verkündet, der vor allem Gehorsam fordert, und wenn wir brav sind, dann kommen wir in den Himmel, wenn nicht, in die Hölle – dieser Gott kann es wohl doch nicht sein.“ Recht hat er – mit einer solchen Karikatur von Gott hat der Gott der Bibel auch reichlich wenig zu tun. Es scheint also notwendig, einmal zu klären, was die heilige Schrift meint, wenn in ihr von Gehorsam die Rede ist. 

Zunächst einmal: Ist wirklich der am freiesten, der sich am autonomsten gebärdet und nur sich selbst gehorcht und verpflichtet weiß? Die kürzeste und prägnanteste Antwort steht für mich im 1. Kapitel der „regula benedikti“, der Benediktus Regel: Der heilige Gründer der Benediktiner spricht hier unter anderem von den sog. Gyrovagen, herumwandernden, um nicht zu sagen herumstreunenden Mönchen, die nichts anderes als „Sklaven ihres Eigenwillens“ sind. Wer sich letztlich nur sich selbst verpflichtet fühlt, ist nur bei oberflächlicher Betrachtung ein freier Mensch. In Wirklichkeit ist er sklavisch gebunden, und zwar an sich selbst, an die eigenen Interessen, Wünsche, Pläne, Triebe, Sklave seines Egoismus. Diese eine kurze Bemerkung über die „Sklaven des Eigenwillens“ verrät weitaus tiefere Menschenkenntnis als all die Bücherberge über Selbstverwirklichung und Selbstfindung, die auf dem Weg zu sich selbst oft bei sich selbst stehen bleiben im Sinne eines ständigen Kreisens um sich und die eigene Befindlichkeit. 

Was kennzeichnet demgegenüber die Haltung des Gehorsams, wie ihn die heilige Schrift versteht? „Gehorsam“ kommt von „hören“. Der Gehorsame ist also der Hörende, Horchende, und damit der, der im Dialog steht, der sich in Beziehung begibt, der sich also aus dem ständigen Kreisen um sich selbst, aus dem Gefängnis des eigenen Ich befreit und heraustritt in ein dialogisches Geschehen. 

Hier kommt nun alles auf die rechte Art des Hörens und Gehorchens an. Ich möchte zwei Arten unterscheiden: Es gibt den knechtischen Gehorsam und den freien Gehorsam. Der knechtische Gehorsam diszipliniert mich nur, er erfolgt aus Angst vor Strafe oder anderen negativen Folgen; im Extremfall unterscheidet er auch nicht, ob das Befohlene Recht oder Unrecht ist, er tut es einfach wie eine Maschine einen Befehl ausführt. 

Der freie Gehorsam ist ein Gehorsam aus Einsicht, aus innerer Zustimmung, ja noch mehr: aus Zuneigung, aus Liebe und als Ausdruck von Liebe. Der freie Gehorsam steht nicht nur nicht im Widerspruch zu Selbstbestimmung und Freiheit, sondern er geht engstens mit ihr einher; denn er sagt: Ich selbst will dir gehorsam sein, auf dich hören, auf dich, meinen Ehemann, auf dich meine Ehefrau, auf euch die Eltern, auf euch die Kinder, auf dich Gott, auf dein Wort, wie es die heilige Schrift und wie es die Kirche verkündet. 

Der freie Gehorsam beruht daher immer auch auf einem gegenseitigen Hören, Hinhören und Gehorchen von Mann und Frau, Eltern und Kindern, Chef und Untergebenen. Wer Autorität in rechter Weise ausüben will, muss ein selbst Gehorsamer sein, auch das wusste der heilige Benedikt, der dem Abt vorschreibt, in besonders wichtigen Dingen immer auch den Rat insbesondere der Jüngeren einzuholen und in seine Entscheidung einzubeziehen.

Allerdings, wenn es dann zu einer Entscheidung kommt, kann es geschehen, dass auch einmal Gehorsam gefordert ist, wo ich etwas in diesem konkreten Fall nicht einzusehen vermag, oder es mir vollkommen gegen den Strich geht. Kindern passiert das laufend gegenüber Eltern. Aber sie spüren sehr genau, ob etwas aus einem Wohlwollen, aus Liebe kommt oder nur daraus, etwa den kindlichen Willen brechen zu wollen. Den Willen eines Menschen zu brechen ist ein Ver-brechen gegen die Menschlichkeit und daher alles andere als biblischer Gehorsam. Familiäre Erziehung muss daher stets Erziehung zu einem freien Gehorsam sein.

Der Frei-Gehorsame wird einem Befehl niemals blind gehorchen, sondern aus innerer Zustimmung, und er wird Widerstand leisten statt Gehorsam, wo Unrecht befohlen wird. Der Frei-Gehorsame ist ein dialogischer Mensch: im Dialog mit Gott, in liebender Aufmerksamkeit auf Ihn hin so wie Maria, von der es im heutigen Evangelium hieß: „Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war (auch was sie nicht, noch nicht verstand), in ihrem Herzen. Und er wird im Dialog sein mit den Menschen um sich herum, hörend – horchend – gehorchend. Wo er selbst Autorität ausübt als Eltern, als Chef, als Regierender, als Hirte der Kirche, wird er es nur tun als ein selbst Hörender und Gehorchender.

Freilich: Gehorsam, auch nach biblischem Verständnis, kann manchmal die Gestalt äußerster Härte annehmen. So erfuhr es Jesus am Ölberg. Aber auch hier kam Sein Gehorsam nicht aus äußerer Disziplinierung, sondern aus freiester, innerster, vor allem liebender Zustimmung zum Willen des Vaters, auch wenn Er ihn in diesem Augenblick nicht mehr verstand. Biblischer, christlicher Gehorsam gegenüber Gott, gegenüber der Kirche, gegenüber menschlichen Autoritäten hat diese und keine andere Gestalt, so wie wir sie an Jesus selbst vor Augen haben. Er ist Ausdruck der Liebe aufgrund freier innerer Zustimmung. So und nicht anders war Jesus Gott und seinen Eltern gehorsam.

Pfr. Bodo Windolf

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