Predigt vom 6. April 2007 - Karfreitag

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Die vielen Opfer der Menschen und das eine Opfer Christi"
Predigttext

Karfreitag 2007

Die vielen Opfer der Menschen und das eine Opfer Christi

Tausende, zehntausende, hunderttausende von Menschen sind unter den Römern gekreuzigt worden. Die Kreuzigungsstrafe wurde im Abendland erst unter Kaiser Konstantin d. Gr. abgeschafft, im 4. Jh., als das Christentum zur offiziell anerkannten Religion im Reich wurde.

Jesus ist nicht mehr als ein Gekreuzigter unter unzähligen anderen. Wirklich nicht mehr? Wir Christen glauben es anders. Was hebt Ihn, was hebt Sein Geschick so heraus aus dem der zahllosen Schicksalsgenossen, dass dieses einen Todes noch heute nach 2000 Jahren weltweit gedacht wird?

Werfen wir einen Blick auf ein Wissen, das den Menschen, seit es ihn gibt, erfüllt und verstört. Dieses Wissen besagt:

Die Welt ist, so wie sie ist, nicht  in Ordnung. Unabweislich steht das uns Menschen seit Menschengedenken Tag für Tag vor Augen.

Wir Menschen sind nicht in Ordnung. Auch das wird uns Tag für Tag vor Augen geführt.

Ich bin nicht in Ordnung. Das wahrzunehmen fällt uns schon schwerer. Wie hellsichtig sind wir für das Ungeordnete im Leben anderer, wie blind bisweilen für das Ungeordnete im eigenen Leben. Leichter den Splitter im Auge des anderen zu sehen als den Balken im eigenen Augen ist Teil der verstörenden Unordnung um uns herum und in uns selbst. Zu gern verdrängen wir Schuld.

Und dennoch weiß der Mensch, wissen wir, weiß ich: Alles ist und auch ich bin nicht so, wie es und ich sein könnte und sein sollte. Auf der Welt lastet Schuld, Berge von Schuld, Berge des Bösen – und einen Teil steuere auch ich dazu bei. Ich, wir alle sind, bisweilen sogar auch unfreiwillig, verwoben in ein unentwirrbares Geflecht von Schuldzusammenhängen –teils als Opfer, teils als Täter. Niemand kann sich hier aus eigener Kraft herausarbeiten, sich heraufarbeiten zu vollkommenem Gutsein. Mehr oder weniger bleiben wir alle verstrickt, gefangen im eigenen Unvermögen, ausschließlich das Gute zu tun. 

Wie damit fertig werden?

Seit es Menschen gibt, versucht der Mensch, die verlorene Unschuld wiederzugewinnen, die verlorene Balance in der Schöpfung wiederherzustellen, indem er Gott oder den Göttern etwas von sich selbst gibt. Daher das ganze Opferwesen in so gut wie allen Religionen und Kulten. Im Grunde weiß der Mensch, dass er eigentlich sich selbst geben müsste, sich selbst gleichsam auf den Opferaltar legen müsste, um mit Gott oder den Göttern ganz ins Reine zu kommen; zugleich aber erfährt er die Unmöglichkeit, sich selbst in vollkommener Weise zu geben, und so entwickelt er Ersatz:

Hekatomben von Brandopfern, Tieropfern, darunter unzählige Menschenopfer lodern auf den Altären der Religionen und ihrer Gottheiten. So auch in Israel, wo es freilich keine Menschenopfer gibt.

Über all dem liegt eine bedrückende Vergeblichkeit. Es gibt letztlich nichts, wodurch der Mensch sich selbst ersetzen könnte. Was wir anstelle von uns selbst darbringen, ist immer zu wenig. Die Kultkritik der Propheten in Israel hat der Selbstgewissheit der priesterlichen Ritualisten über alle Jahrhunderte hinweg immer wieder entgegengehalten, was in Ps 50 steht: Ich, Gott, dem die ganze Erde gehört, brauche eure Stiere und Böcke  nicht. Das eigentliche Opfer ist das des Lobes und das des Gehorsams: den menschlichen Willen ganz in Übereinstimmung zu bringen mit dem Willen Gottes, d.h. mit dem Guten, und darin wahrhaft sich selbst ganz zu geben im Gegensatz zur Selbstverweigerung des Ungehorsams.  

Wir Christen glauben, dass dies einmal in restloser Weise geschehen ist: in dem, dessen Tod wir heute erinnernd begehen. Seitdem ist bei Seinen Anhängern, die ja zunächst alle aus dem Judentum kamen, auf einen Schlag das ganze Opferwesen, das ursprünglich Teil ihrer Gläubigkeit war, wie ein unwirklicher Spuk verschwunden.

Der Grund: es gibt seitdem nur noch ein vollgültiges Opfer vor Gott, das alle anderen Opfer der Menschheit aufhebt; das nämlich, in dem Gott selbst sich von uns Menschen und darin unglaublicher Weise zugleich für uns Menschen auf den Opferaltar des Kreuzes hat nageln lassen.

Was sich vor den Augen der Welt als ein durch und durch profaner Vorgang ausnimmt, nämlich die Hinrichtung eines beliebeigen Mannes, der von den jüdischen und römischen Autoritäten als Verbrecher verurteilt war, das war die einzig wahre Opferliturgie der Weltgeschichte. Außerhalb der Stadt, d.h. außerhalb der liturgischen Orte der menschheitlichen Religionen vollzieht Jesus die vor Gott, dem Vater, einzig gültige Liturgie der Hingabe seiner selbst, seines Lebens, seines Leidens, seiner Liebe.

Es bleibt die Frage: Was ist dabei denn das Eigentliche dieses Opfers der freiwilligen Selbstgabe Jesu, das Seinen Tod heraushebt aus allen anderen Toden, die je gestorben wurden?

Sicher ist es nicht der körperliche Schmerz. Möglicherweise wird der übertroffen von so mancher Qual, die andere Menschen erdulden mussten.

Das Eigentliche muss etwas unendlich Tieferes gewesen sein; etwas Unbegreifliches im Abgrund der Seele Jesu; ein unaussprechliches Geschehen zwischen Gott und Gott, zwischen Gott Vater und Gott Sohn; ein Geschehen, das in die Abgründe Gottes selbst hineinragt und das seinen Ausdruck findet im Schrei der Verlassenheit Jesu: „Mein Gott, mein Gott, mein Vater, warum hast du mich verlassen.“

Was erträgt Jesus hier? Er erträgt das kompromisslose Nein Gottes gegenüber allem Bösen in der Welt. In der Lesung hat es sich vorhin so angehört: „Durchbohrt wurde er wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen.“ Paulus drückt es noch deutlicher und drastischer aus: Er wurde für uns zur Sünde gemacht, er wurde für uns zum Fluch (vgl. 2 Kor 5,21 u. Gal 3,13). Den Fluch alles Bösen dieser unserer Welt hat Christus am Kreuz in die unfassbaren Abgründe seiner göttlichen und menschlichen Seele eingelassen; Er hat diesen unerträglichen Fluch in seinem ganzen Ausmaß erlitten; und man möchte in einem Bild sagen: Er hat auf diese Weise, weil Er keinen Augenblick aufhörte, inmitten dieser Marter zu lieben, das Meer des Bösen im noch größeren Meer Seiner gott-menschlichen Liebe und Barmherzigkeit ertränkt.

Womit wir Menschen, seit es uns gibt, nicht fertig werden, das hat Er für uns getan: die Schuld der Welt getragen und so hinweggetragen. Du bist das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt. So der Glaube der Christenheit, der allein erklärt, warum uns Sein Tod bis heute bewegt.

Was uns zu tun übrig bleibt, ist: uns unter Sein Kreuz zu stellen und uns die Erlösung schenken zu lassen: In unserer Taufe ist sie uns schon zugeeignet worden; immer wieder neu können, dürfen, sind wir eingeladen, sie uns schenken zu lassen im Sakrament der Versöhnung, in der Eucharistie, im Bedenken und Betrachten seines Leidens und Sterbens, wie wir es in dieser Stunde tun. Denn: Durch seine Wunden sind wir geheilt.

 Pfr. Bodo Windolf

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