Predigt vom 29. April 2007

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Gute-Hirt-Sonntag"
Predigttext

4. Ostersonntag (Gute-Hirt-Sonntag) 29. April 2007
„Sei nicht Mose, sondern du selbst – lebe deine Berufung!“

In allen drei Lesejahren wird am heutigen 4. Ostersonntag jeweils ein anderer Abschnitt aus dem 10. Kapitel des Johannes-Evangeliums gelesen, nämlich aus der sog. Gute-Hirte-Rede Jesu. Von daher trägt dieser Sonntag auch seinen Namen: Gute-Hirt-Sonntag.

Der Vergleich Hirte – Schaf lag den Menschen der Zeit Jesu ohne Zweifel um einiges näher als uns Heutigen. Eher ungern lassen wir uns als Schafe bezeichnen. Trotzdem müssen wir es uns vom gehörten Evangelium her gefallen lassen, und das gelingt am ehesten, wenn wir das sog. „tertium comparationis“, d.h. den eigentlichen Vergleichspunkt beachten. Dieser ist natürlich nicht die Einfalt und Dummheit, die wir mit der Titulierung als Schaf verbinden, sondern das Vertrauen, das die Beziehung Hirte – Schaf kennzeichnet. Im Mittelpunkt dieser Gleichnisrede Jesu steht der Hirte, der seine Schafe kennt, der sie beim Namen ruft, der sie anruft und führt und hütet; sowie die Schafe, die die Stimme des Hirten kennen und sich seiner Führung vorbehaltlos anvertrauen.

Es geht also um das Rufen und Gerufen-werden und damit um das Thema Berufung. Daher möchte ich heute einmal über die Berufung eines jeden Menschen und vor allem eines jeden von uns sprechen.

Was bedeutet Berufung? Dazu eine bekannte, vielleicht auch Ihnen bekannte chassidische Geschichte: Rabbi Susja sagt: „In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: ‚Warum bist du nicht Mose gewesen?’ Man wird mich vielmehr fragen: ‚Warum bist du nicht Susja gewesen?’ Man wird mich nicht fragen: ‚Warum hast du nicht das Maß erreicht, das der größte und gewaltigste Glaubende unserer Religion gesetzt hat?’ Sondern man wird mich fragen: ‚Warum hast du nicht das Maß erfüllt, das Gott dir persönlich gesetzt hat? Warum bist du nicht das geworden, was du eigentlich hättest werden sollen?’“

Diese kleine Geschichte bringt das Thema Berufung sehr eindrücklich auf den Punkt. Zunächst einmal: Es wirft mich in einem guten Sinn auf mich selbst zurück. Eines der Hauptübel im Leben vieler Menschen, die mit sich selbst nicht zurecht kommen, die sich selbst kaum oder nur sehr schwer annehmen können, ist das ständige Sich-vergleichen mit anderen. Wie gern würde ich so toll aussehen wie sie, wie er! Wie gern würde ich das können, was er kann! Wie gern wäre ich so sportlich wie sie! Wie gern würde ich genau soviel verdienen wie dieser da! Wie gern würde ich dessen Position innehaben! Und so weiter und so fort.

Das Thema Berufung will genau das verhindern: Nein, ich soll nicht jemand anderer sein wollen, ich sollst ich selbst sein; oder besser: ich soll ich selbst immer mehr werden. Ich soll der sein und immer mehr werden, als den Gott mich gemeint und ins Dasein gerufen hat. Es geht um meine Berufung. Sie ist etwas ganz Persönliches, Unverwechselbares, etwas, das mich unverwechselbar und einmalig macht. Denn nur ich kann diesen Platz ausfüllen, der mir in meiner Berufung zugewiesen ist; den Gott mir zugewiesen hat, weil alle wahre Berufung in Ihm ihren Ursprung hat.

Das Zweite ist: Berufung ruft mich in einem zweiten Schritt dann auch wieder aus mir heraus auf den anderen, auf das Du hin. So wie die Berufung von einem Du, von Gott kommt, so führt sie mich auch zum Du.

Und das geschieht nie in einer allgemeinen Weise. Berufung ist nie etwas nur Allgemeines, Abstraktes, sondern immer etwas höchst Konkretes. Wenn ich Ehemann bin, dann ist die mir von Gott gegebene Berufung, für diese eine, konkrete Ehefrau, der ich mich in der Ehe versprochen habe, ein guter Ehemann zu sein, eine Lebensberufung. Wenn ich Ehefrau bin, dann ist meine mir vom guten Hirten Gott gegebene Berufung, für diesen einen, konkreten Mann an meiner Seite eine gute Ehefrau zu sein. Wenn ich Mutter, wenn ich Vater bin, dann ist unsere uns gemeinsam von Gott verliehene Berufung, diesen unseren Kindern gute Eltern zu sein, ein Platz, den niemand so gut ausfüllen kann wie wir , wenn wir uns dieser Berufung, dieser Aufgabe, dieser Verantwortung stellen.

Ein wichtiges Feld ist natürlich auch der Beruf. Er wird in dem Maße den Charakter einer Berufung annehmen kann, wie es um mehr geht als nur darum, einen guten Job zum Geldverdienen und für die Karriere zu verrichten.  Wo ich versuche, oft auch gegen den allgemeinen Trend, Menschlichkeit, Rücksicht, auch und gerade mit den Schwächeren, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit in einen Betrieb hineinzutragen, gerade auch dahin, wo der Mensch im Kosten-Nutzen-Kalkül auf der Strecke zu bleiben droht, da wird Beruf zur Berufung.

Natürlich kann es dabei vorkommen, dass Berufungen zueinander in Konkurrenz treten. Ein Mann, eine Frau möchte etwas in seinem, in ihrem Beruf erreichen. Wie das vereinbaren mit den Aufgaben als Ehepartner und Eltern? – eine der großen Fragen in der derzeitigen öffentlichen Diskussion um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf; übrigens eine Frage, die zu Unrecht einseitig fixiert wird auf die Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft. Dass Väter wirklich Väter sind für ihre Kinder ist vielfach viel zu sehr aus dem Blick geraten.

An dieser Frage, sowohl der Ehe wie den Kindern wie dem Beruf gerecht zu werden, scheitern leider viel zu viele Menschen. Es ist klar, dass es hier auch eine Reihenfolge geben muss, eine Priorität der einen Berufung vor der anderen.

Mir selber scheint ein gutes Kriterium zu sein: Wo der Beruf zur Flucht wird aus der Erstverantwortung, die ich meiner Frau, meinem Mann, meinen Kindern gegenüber habe; wo der Beruf diese Beziehungen so nachhaltig stört, dass er sie zu zerstören droht, wird ein Mensch, der sein Christsein und seine persönliche Berufung ernst nimmt, ggfs. auch auf das große Geld und die steile Karriere verzichten müssen. In dem Maße, wie die gemeinsame Zeit, auch wenn es relativ wenig ist, Qualität hat und einer ganz lebendigen Beziehung dient, in dem Maß stört wohl auch ein sehr hoher beruflicher Einsatz nicht. Entscheidend ist, da, wo ich zuallererst meinen Platz habe, da, wo ich hingestellt bin, meine Aufgabe zu erfüllen, meiner Verantwortung gerecht zu werden, meine Berufung zu leben.

Dabei ist Berufung niemals etwas Statisches, ein für allemal Festgelegtes. Vor allem auch das, was einem das Leben auferlegt, an Schicksalsschlägen, an Unerwartetem, auch an Krankheit und Verlust – all das zu bewältigen, aus der Kraft eines gläubigen Herzens zu bestehen, es so auch zu verwandeln in Segen, in Segen für mich und für andere – auch das ist Leben aus der Berufung.

Hier gilt es, ein Hörender zu sein. „Meine Schafe hören auf meine Stimme.“ Er, Christus, der gute Hirt, spricht tatsächlich: in meinem Gewissen, in den Bitten, Wünschen, Bedürfnissen, Erfordernissen meiner Familie, der Menschen, die mich umgeben, natürlich auch im Gebet, wenn ich meine Situation vor Ihn hintrage.

Beim Thema Berufung darf natürlich nicht vergessen werden, dass es auch die geistliche Berufung zum gottgeweihten Leben gibt, als Priester oder als Frau oder Mann in einem Orden oder Säkularinstitut. Ich möchte Sie bitten, dass Sie sich dieses wichtige Anliegen in Ihren Gebeten zu eigen machen. Es ist ein Anliegen des Herrn selbst: „Die Ernte ist groß, die  Arbeiter sind wenige. Bittet daher den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter sende in seine Ernte.“

 

Uns allen ist daran gelegen, dass unser Leben gelingt; dass nicht nur wir, sondern vor allem Gott am Ende sagen wird: das, wofür du gelebt hast, wofür du deine Fähigkeiten, deine Lebenskraft, dich selbst eingesetzt hast, hat sich gelohnt. Du bist mehr und mehr nicht Mose, sondern der geworden, als den ich dich gedacht habe.

 

Pfr. Bodo Windolf

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