Predigt vom 16. September 2007

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Gott liebt bedingungslos, aber er verzeiht nicht bedingungslos"
Predigttext

Sonntag 16. September 2007
Predigt zum 24. Sonntag i.J. C 2007

Gott liebt bedingungslos, aber er verzeiht nicht bedingungslos

Es gilt als eines der schönsten wenn nicht das schönste Gleichnis, das wir aus dem Mund Jesu kennen – das vom Verlorenen Sohn oder Barmherzigen Vater, wie es auch genannt wird. Um es in seiner Tiefe zu verstehen, ist auch der Kontext wichtig, in den hinein Jesus es gesprochen hat.

Zu seiner Zeit gab es unter den Rabbinen und überhaupt im Judentum die weitverbreitete Ansicht, im Himmel herrsche Freude, wenn ein Gerechter nach seinem Tod in den Himmel kommt, und es herrsche ebensolche Freude, wenn ein Gottloser dem Untergang geweiht wird. M.a.W.: Wer Gott liebt, den liebt auch Gott; doch wem Gott gleichgültig ist, der ist auch Gott gleichgültig, wer Gott feind ist, dem ist Gott feind, wer Gott hasst, den hasst auch Gott.

Was Jesus vor den Augen aller tut, sein selbstverständliches Essen auch und gerade mit Zöllnern und Sündern, wie es einleitend zum gehörten Gleichnis heißt, ist daher nicht nur gesellschaftlich ein Skandal, sondern auch und vor allem in Rücksicht auf Gott selbst. Die Solidarität mit denen, denen Gott nach dieser Vorstellung die Solidarität aufgekündigt hat, stellt Jesus selbst in den Augen vieler außerhalb des Bereichs Gottes. Wer sich auf die Seite der offensichtlichen Sünder und Feinde Gottes stellt, der muss also selbst ein Feind Gottes sein, so das Denken, mit dem Jesus damals konfrontiert war.

So fremd uns diese Überzeugung heute auch sein mag, sie liegt uns gar nicht so fern, wie wir vielleicht auf den ersten Blick vermuten. Wer kennt nicht den Satz: „Wenn du nicht brav bist, dann hat dich der liebe Gott nicht mehr lieb; wenn du das und das tust, dann kann der liebe Gott dich gar nicht mehr lieb haben.“ Dahinter steht die Vorstellung, wir könnten und müssten uns die Liebe Gottes erst verdienen. Erst wenn wir lieb sind, ist Gott auch lieb zu uns. Diese Überzeugung ist so tief in unzähligen Menschen verwurzelt, dass sie sich oft nur ganz schwer, wenn überhaupt aus dieser Vorstellung befreien können. Aber genau diesem verkehrten Denken stellt Jesus seine drei Gleichnisse entgegen. Wie zeigt uns Jesus hier Seinen und unseren Vater?

Das erste ist, dass Er die landläufige Meinung, wir Menschen seien Gottsucher, auf den Kopf stellt. Im Gleichnis begegnet uns Gott als der, der den Menschen sucht. Noch bevor wir uns auch nur auf den Weg machen können, hat Gott sich schon zu uns hin auf den Weg gemacht, um uns zu suchen und zu finden; und unter diesen vor allem die, die von sich wissen, wie sehr sie der Barmherzigkeit und der Gnade Gottes bedürfen. Wenn Jesus sagt, es wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die der Umkehr nicht bedürfen, dann muss man wohl hinzufügen: die meinen, der Umkehr nicht zu bedürfen.

Weiter wird Gott uns gezeigt als der, der Freiheit schenkt. Der Vater des Gleichnisses klammert nicht, wie dies nicht selten Eltern mit ihren Kindern tun, wenn sie flügge werden. Die Freiheit des Menschen ist Ihm unendlich kostbar, und Er nimmt sie auch dann nicht zurück, wenn Er weiß, dass ein Weg gewählt wird, der ins Verderben führt.

Blicken wir nun auf die, denen Gottes Suche gilt. Was das verlorene Schaf gemacht hat, worin sein Verlorensein besteht, wird nicht gesagt. Auch in bezug auf den jüngeren Sohn bleiben Fragen offen, denn man könnte sagen und einwenden: Was hat er denn getan? Das Erbteil, das ihm anscheinend zustand, hat er verprasst; also kein fremdes Geld, sondern Geld, mit dem er doch tun und lassen konnte, was er wollte. Außerdem hat er, ebenfalls allem Anschein nach, niemandem geschadet – außer sich selbst. Er hat kein Verbrechen verübt. Ist er nicht, wenn überhaupt, ein vergleichsweise harmloser Sünder gegenüber dem, was es an Bösem und Verbrechen in der Welt gibt? Ist es nicht verhältnismäßig leicht, ihm zu verzeihen?

Die Antwort liegt wohl in dem kleinen Wörtchen, das im Deutschen mit „Vermögen“ wiedergegeben wird, also: „er verschleuderte sein ganzes Vermögen“. Das griechische Wort ousia an dieser Stelle bedeutet zugleich „Wesen“, so dass man auch lesen kann: er verprasste sein ganzes Wesen, d.h. er verlor sich selbst. Er lebte auf eine Weise, durch die er die Bestimmung seines Lebens restlos verfehlte. Das ist das Entscheidende, nicht was er im Einzelnen begangen haben mochte.

Wodurch verfehlte und verlor er sich selbst? Dadurch, dass er sich restlos von seinem Vater losgesagt hatte. Fern vom Vater, nach dem Bruch mit Ihm, in der Fremde, entfremdete er sich nicht nur dem Vater, sondern auch sich selbst.

Was bringt ihn zum Vater und damit zu sich selbst zurück? Es ist der Punkt in seinem Leben, an dem er – vielleicht das erste Mal – ehrlich zu sich selbst ist. Bis dahin hat er sich wohl ständig selbst belogen und behauptet: Ich lebe einfach nur mein eigenes Leben. Ich bin niemandem verantwortlich für mein Tun und Lassen außer mir selbst. Ich bin frei und autonom. Niemanden belügen und betrügen wir Menschen so sehr wie uns selbst, besonders wenn es darum geht, unrechtes Tun vor uns selbst und anderen zu rechtfertigen. Der Sohn des Gleichnisses, der gänzlich außer sich gelebt hat, in der geistlosen Zerstreuung der Gier nach immer neuen und anderen „Events“, erkennt das und damit sich selbst in dem Augenblick, da er – wie in der Erzählung so schön heißt – „in sich geht“. Was er hier sieht, endlich ohne Maske, muss ihn entsetzt haben. Er erkennt seinen wahren inneren Zustand, seine Schuld, seine Sünde und – steht dazu. Er weiß, dass er es bekennen muss. Aber wird der Vater ihn wieder aufnehmen? Wenn schon nicht als Sohn, so doch wenigstens als Tagelöhner?

Zugleich kommen ihm Erinnerungen hoch, wie schön es vormals beim Vater war. 

Manche Ausleger fragen sich, ob diese Bemerkung das Ganze nicht in ein sehr fragwürdiges Licht taucht. Ist die Umkehr des Sohnes nicht doch eher egoistisch motiviert, weniger durch die Reue aufgrund eines verpfuschten Lebens als durch die verlockende Wärme des heimischen Nestes?

Aber auch hier gilt es, genauer hinzuschauen. Die „Erinnerung“ an das Zuhause beim Vater steckt ganz tief in uns allen, nämlich als urmenschliche Sehnsucht nach Gott. Es ist in uns hineingelegt, in jeden Menschen, dass wir nur zu uns selbst, das Glück und den Sinn unseres Daseins finden, wenn wir unser erstes Zuhause in Gott haben. Genau diese urmenschliche Sehnsucht nach der wahren Heimat, nach jener Heimat, die uns allein ein echtes Zuhause gibt, steigt in ihm hoch als etwas, das er gehabt hat, aber um einer Scheinfreiheit willen verlassen hat und nun wiedergewinnen will.

Wie findet der Sohn aufs neue dieses Zuhause, diese eigentliche Heimat unserer menschlichen Existenz? Zur Erkenntnis seiner selbst muss noch das Bekenntnis hinzutreten. „Vater, ich habe gesündigt … Ich bin nicht wert, dein Sohn zu sein …“

Im Zusammenhang mit der langen Haftverbüßung der RAF-Terroristen wurde die Frage diskutiert, ob es nicht angemessen sei, nicht weiter Vergeltung zu üben, sondern Gnade zu gewähren und vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Hätte es nicht unserem Bundespräsidenten angesichts des heutigen Gleichnisses gut angestanden, z.B. Christian Klar Haftverkürzung einzuräumen?

Mir scheint, dass seine Entscheidung, diese nicht zu gewähren, richtig war. Denn Vergebung und Gnade sind nur möglich, wo ein Mensch bereut, seine Schuld ohne falsche Ausflüchte zugibt und um Vergebung bittet.

Genau das bezeugt Jesus mit dem heutigen Gleichnis: Gott liebt bedingungslos, ohne jede Vorausleistung von unserer Seite; aber Er verzeiht nicht bedingungslos. Wo es keine Reue, kein Bekenntnis und keine Bitte um Vergebung gibt, ist es eine innere Unmöglichkeit, Verzeihung zu schenken.

Ich möchte schließen mit einem Erlebnis, das die Tochter des großen russischen Schriftstellers Dostojewski aus ihrer Kindheit erzählt und das ihr Leben tief beeinflusste:

Sie berichtet, dass, als ihr Vater spürte, dass es zu Ende gehe, er ihre kleinen Hände in die seinen legte und die Mutter bat, sie möge das 15. Kapitel des Lukas-Evangeliums vorlesen. Der Todgeweihte hörte mit geschlossenen Augen aufmerksam zu, und dann sagte er: „Kinder, vergesst niemals, was Ihr eben gehört habt. Bewahrt Euch ein absolutes Ver­trauen auf Gott, und zweifelt niemals an seiner Vergebung. Ich liebe Euch sehr. Aber meine Liebe ist nichts, gemessen an der unendlichen Liebe Gottes für alle Menschen, die er erschaffen hat. Und wenn Ihr das Unglück haben solltet, in Eurem Leben Böses zu tun und verlo­renzugehen, zweifelt niemals an Ihm. Ihr seid seine Kinder; er wird sich über Eure Umkehr freuen, wie er sich freute, als er das verlo­rene Schaf fand und als der verlorene Sohn zurückkam.“ Es dauerte nicht mehr lange, bis er starb. Es war der 9. Februar 1881.

Pfr. Bodo Windolf

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