Predigt vom 4. November 2007

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Eva Hermann und Zachäus"
Predigttext

Predigt zum 31. Sonntag i. J.   C   2007 

Was Eva Hermann und Zachäus gemeinsam haben 

Es war eine mediale Hinrichtung erster Klasse – oder, je nach Standpunkt, unterster Klasse, deren Zeuge man vor einigen Wochen im Fernsehen werden konnte. Eva Hermann, die abgefallene „femme fatale“ aller rechtgläubigen Emanzipierten unserer Republik das Opfer; der nette, freundliche, verbindliche Johannes B. Kerner der Vollstrecker des Urteils der anwesenden Geschworenen dieses TV-Tribunals. „Was bist du und warum brauchen wir dich?“, war einer der gekeiften Sätze des unappetitlichen Spektakels.

Aufschlussreich die Zusammensetzung der zu Gericht Sitzenden: Senta Berger tat sich 1971 hervor durch ihre Teilnahme an der Selbstbezichtigungskampagne „Wir haben abgetrieben“, die maßgeblich den Dammbruch beim Lebensschutz miteinleitete und damit auch die demographische Misere, deren Folgen Eva Hermann u.a. beklagt.  Prof. Wolfgang Wippermann von der FU Berlin war wohl zur Teilnahme dadurch qualifiziert, dass er sich seit Jahrzehnten als Anti-Faschist hervortut, hellwach auf dem rechten Auge, erblindet auf dem linken. Ein Diffamierer der Aufarbeitung des DDR-Unrechts. Das „Schwarzbuch des Kommunismus“ von Stéphane Courtois mit der Dokumentierung der im Namen des Kommunismus verübten unsäglichen Greueltaten tat er ab als „ermüdende Reihung von Mordgeschichten“. Man steht fassungslos vor solchem Urteilen mit zweierlei Maß. Schon die bloße Darstellung der roten Verbrechen ist für ihn eine „Relativierung des Holocaust“.  

Ein kleines Beispiel für das Niveau der Diskussion: Eva Hermanns Stellungnahme gegen einen „schrankenlosen Individualismus“  konterte der Moderator, indem er eine ähnliche Bemerkung des Nazi-Chefideologe Rosenberg zitierte. Treffend spottete der jüdische Publizist Henryk Broder in „Spiegel Online“ über diese Parallelisierung: „Das war so fair, als würde man einen Nichtraucher und Vegetarier zu einem späten Verbündeten von Adolf Hitler erklären.“  Mit diesem Schachzug Kerners war der vermutlich wohl gewollt herbeigeführte Eklat eingeleitet. Hermanns antwortender Hinweis auf die  Autobahnen, die damals gebaut wurden und auf denen wir noch heute fahren, erschien den versammelten Gutmenschen nicht mehr erträglich, obwohl es, wie der erwähnte jüdische Publizist Broder pointiert schreibt, „der einzige Satz (war), den Eva Hermann sagte, der richtig war und an dem es nichts auszusetzen gab“. Denn jedem, der sie nicht vorsätzlich missverstehen wollte, war klar, dass sie damit nicht beabsichtigte, die Verkehrspolitik der Nazis zu loben. Sie wollte sagen, dass man nicht jeden Begriff und jede Sache, die auch in der Nazizeit eine Rolle spielten, für alle Zeit zum sprachlichen Tabu erklären kann. Man ist nicht schon Nazi, wenn man bestimmte Wörter gebraucht. Aber man wollte sie nicht verstehen, und daher verstand man sie auch nicht.  

Damit konnte das Urteil endlich vollstreckt werden: Ausweisung aus dem Kreis der Gutgesinnten; an den Pranger gestellt und mundtot gemacht vor einem millionenfachem TV-Publikum. Die hier versammelten späten, leider zu späten Widerstandskämpfer gegen die Nazis, deren Antifaschismus „dort am besten gedeiht, wo es keinen Faschismus gibt“ – so noch einmal Broder – konnten mit reiner Weste das Opfer zur Strecke bringen.

Auch wem es völlig fern liegt, den inhaltlich und sprachlich ziemlich verkorksten Satz Eva Hermanns zu verteidigen, der zu ihrem Rauswurf aus dem NDR geführt und das Ganze ins Rollen gebracht hat, kann das Fürchten lernen über solche Medienhatz und die Unfähigkeit, zuzuhören, zu differenzieren und einem Andersdenkenden gerecht zu werden. Der Kommentar einer kleinen deutschen Zeitung (Südkurier) bringt die Sache auf den Punkt: Am Ende „wurde jemand aus einer laufenden Sendung ausgeladen, weil er nicht sagte, was die Runde von ihm hören wollte. Das markiert einen Tiefpunkt im demokratischen Verständnis des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.“  

Es scheint, als sei „Big Brother“ endlich angekommen auch im deutschen Vorzeige-TV der Öffentlich-Rechtlichen: Wer den anderen nicht passt, wird rausgewählt. Getroffen wurde eine Person, gemeint war eine Position: nämlich die, dass es hier jemand aus leidvoller persönlicher Erfahrung wagt, in Frage zu stellen, was zur momentanen political corectness gehört: Frauen sollen Kinder kriegen, ja; aber dann schnellstmöglich zurück in den Beruf, als womenpower für deutsche Wirtschaftskraft; Kinder möglichst schnell in staatliche Obhut, um sie vor den sich um nichts kümmernden Rabeneltern in Sicherheit zu bringen. Der Staat wird`s schon richten und aus ihnen anständige steuerzahlende Staatsbürger machen! Wer diesbezüglich ausschert, ist öffentlich-rechtlich unerwünscht, zum Abschuss freigegebene.  

Warum dieser Ausflug ins aktuelle Tagesgeschehen?

Das heutige Evangelium erzählt uns eine Begebenheit, die gewisse Parallelen zum Fall Eva Hermann aufweist. Sie, konfessionslos, ohne Zweifel eine Suchende. Zachäus, ebenfalls ein Suchender. Sie, mit rabiater Unbarmherzigkeit zur öffentlichen „Sünderin“ gestempelt; er, Zöllner und Sünder, Halsabschneider und Kollaborateur, der ebenfalls mit keiner Barmherzigkeit im Urteil der öffentlichen Meinung rechnen kann. „Als die Leute das sahen (dass Jesus nämlich bei ihm einkehrte), empörten sie sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt.“ In beiden Fällen beispiellose Selbstgerechtigkeit und Pharisäismus durch das Establishment. Zachäus in den Händen dieser Leute – das Urteil über ihn hätte genauso festgestanden wie im Fall Hermann, noch ehe er die Möglichkeit gehabt hätte, etwas zu seiner Verteidigung zu sagen.  

Doch dann geschieht etwas Neues und Überraschendes. Wir müssen Lukas danken, dass er uns als einziger der Evangelisten diese kostbare Geschichte überliefert hat. Ohne sie wäre unsere Kenntnis der Eigenart und des Wesens Jesu viel ärmer. Zachäus, der Kleinwüchsige, der wie ein Bub auf den Baum geklettert ist, wird von einem Blick getroffen, der sein Leben von Grund auf verändert; von einem Blick, der unendlich anders ist als der Blick all der sogenannten Anständigen um ihn herum. Vielleicht erlebt er erstmals einen Menschen, der seine Augen ohne Hass, ohne Ablehnung, ohne Verurteilung auf ihm ruhen lässt. Nicht Schimpfen oder der erhobene, moralische Zeigefinger findet den Weg zum Herzen des Zachäus, sondern der Blick des Wohlwollens, der Barmherzigkeit, der Milde, der Güte, des Verstehens, ein Blick, der mitten im verkorksten Leben des Zachäus hindurchsieht auf das Gute, das es auch in ihm gibt. Die anderen sehen nur das Ärgernis, das dieser Mann darstellt, und darauf reduzieren sie ihn, darauf nageln sie ihn fest. „Er ist nichts anderes als …“ Bei solchen Sätzen gilt es vorsichtig zu sein. Nie dürfen wir einen Menschen reduzieren auf das, was vordergründig sichtbar ist. Der Herr sieht den ganzen Menschen. Er sieht unbestechlich das Versagen, die Sünde, die Schuld. Aber Er sieht auch das andere, das, woran Er anknüpfen kann, um einen Menschen zu verändern, ihm ein neues Leben zu ermöglichen. Jesu Blick verurteilt nicht, er heilt. Er heilt, wenn wir uns diesem Blick aussetzen, so wie Zachäus.

Prüfen wir uns selbst, wo unser Blick auf vielleicht nur einen Menschen ähnlich unbarmherzig und selbstgerecht ist, wie es in der beschriebenen Talk-Show zu erleben war. Bitten wir um den Blick Jesu, dass wir lernen, mit Seinen Augen auf unsere Mitmenschen zu schauen, besonders auf die, mit denen wir uns schwer tun.  

Zuletzt: auch wir sind eingeladen, uns wie Zachäus dem vergebenden, heilenden Blick Jesu auszusetzen. In jeder Beichte geschieht genau das, was Zachäus erfahren durfte. Wenn wir Ihn einkehren lassen ins Haus unseres Lebens, geschieht an uns Heil, immer wieder neu.

Pfr. Bodo Windolf

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