Predigt vom 26. Dezember 2007 (Hl. Stephanus)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Der Begriff des Martyriums"
Predigttext

Predigt zum 2. Weihnachtsfeiertag (hl. Stephanus) 2007

„Jerusalem, die du die Propheten tötest, die zu dir gesandt sind.“ Felix Mendelssohn-Bartholdy hat in seinem „Paulus“ diese Klage aus dem Munde Jesu selbst zu der vorhin gehörten Arie vertont, die den Tod des hl. Stephanus begleitet. Er, Stephanus, gilt als der Erz-Märtyrer der Christenheit, als der Erste, der um seines Glaubens an Jesus Christus willen ermordet wurde. Gott allein weiß, wie viele ihm in diesem Schicksal nachgefolgt sind. Grund genug, einmal über den Begriff des Märtyrers und die Wandlung dieses Begriffs im Verlaufe der Zeit nachzudenken.

Das griechische Wort martyrion bedeutet „Zeugnis vor Gericht“. Der, der es ablegt, ist der martys, „der Zeuge“. Im christlichen Verständnis handelt es sich dabei natürlich nicht um ein beliebiges Zeugnis in beliebiger Sache. Vielmehr ist der martys der, der bereit ist, in seinem Zeugnis bis zum Äußersten, bis zum Opfer seines Lebens zu gehen. Aus dem Zeugen wird ein Blutzeuge. Wobei zwei Dinge entscheidend sind: Er darf die Verfolgungssituation nicht selbst gesucht oder gar provoziert haben. Und es muss ein Zeugnis für Jesus Christus und die Wahrheit des Evangeliums sein. Wie qualvoll oder nicht qualvoll der zugefügte Tod ist, spielt dabei ursprünglich keine Rolle. Der hl. Augustinus sagt: „Christi martyrem non facit poena, sed causa.“ Nicht die Pein macht den Märtyrer, sondern die Sache (für die er einsteht).

Interessant ist nun die Entwicklung, die das Wort im Verlaufe der Geschichte durchmacht. Wie in keiner anderen Sprache legt das deutsche Lehnwort Martyrium, von dem Marter und im Bayerischen das Marterl, eine Tafel mit Kruzifix, abgeleitet ist, den Akzent nicht mehr auf die Zeugenschaft, sondern auf die Pein. Es nimmt sich gleichsam das zugefügte Leid „zu Herzen“, das mindestens so wichtig wird wie das Zeugnis selbst.

Von hier ein großer Sprung ins 20. Jahrhundert, in dem der Begriff eine Renaissance und zugleich eine bezeichnende Erweiterung erfährt.

Zunächst: Das Wort „Märtyrer“ wird zu einem Schlüsselwort unserer Zeit. Denn niemals zuvor sind so viele Menschen um ihrer Überzeugung willen verfolgt, interniert und zu Tode gequält worden wie im vergangenen Jahrhundert. Das gilt in besonderem Maß für Christen. Papst Johannes Paul schrieb in seiner Enzyklika zur Jahrtausendwende Tertio millenium adveniente: „Am Ende des zweiten Jahrtausends ist die Kirche erneut zur Märtyrerkirche geworden … Das Zeugnis für Christus bis hin zum Blutvergießen ist zum gemeinsamen Erbe von Katholiken, Orthodoxen, Anglikanern und Protestant geworden“; wobei er hinzufügt, dass diese Ökumene der Märtyrer, die alle konfessionellen Grenzen sprengt, in einem gewissen Sinn die Einheit der Christenheit gleichsam vorwegnimmt.

Kennzeichnend für das letzte Jahrhundert ist vor allem eines: die Ideologen und Apparatschiks besonders des Nationalsozialismus und Kommunismus setzten alles daran, nicht nur den Widerstand der Zeugen zu brechen, sondern sie darüber hinaus in die Anonymität und Isolierung, in die Wirkungslosigkeit und Echolosigkeit ihres Zeugnisses zu drängen. Das Zeugnis eines hl. Stephanus und der vielen anderen altchristlichen Märtyrer der ersten drei Jahrhunderte war für die Christengemeinden und die Kirche insgesamt öffentlich und führte schon bald zu deren Verehrung. Hier liegen im übrigen die ältesten Wurzeln katholischer und orthodoxer Heiligenverehrung.

Bezeichnend für die vielfach ganz andere Situation im 20. Jahrhundert ist die Notiz des evangelischen Märtyrers Dietrich Bonhoeffer, der aus dem Gefängnis schrieb: „… es ist unendlich viel leichter, in Gemeinschaft zu leiden als in Einsamkeit. Es ist unendlich viel leichter, öffentlich und unter Ehren zu leiden als abseits und in Schande.“ Karl Rahner sprach hier von einem „fast augenlosen Verlöschen im 20. Jahrhundert“. Wie viele Namenlose in solcher Anonymität und Einsamkeit ihren Glauben an Jesus Christus mit der Beraubung ihrer Ehre, ihrer Freiheit, ihres Eigentums, ihres Lebens bezahlt haben und noch bezahlen, das weiß, ich wiederhole es, allein Gott. Welch ein Trost, dass sie bei Ihm nicht vergessen sind.

Nun zur Erweiterung des Märtyrerbegriffs. Sie erfolgt dadurch, dass nicht mehr nur die religiöse, geschweige denn christliche Überzeugung den Märtyrer macht. Seit dem 19./20. Jahrhundert gibt es auch die Märtyrer der politischen Überzeugung, der Nation, des Friedens, des Einsatzes für bestimmte Menschengruppen, für Freiheit und Gerechtigkeit, ja auch des gerechten oder gar revolutionären Kampfes. Das Martyrium wird teilweise aktiv gesucht, es bekommt Appellcharakter, wird zum Protest Einzelner oder von Gruppen. So z.B. die Selbstverbrennung buddhistischer Mönche im Vietnamkrieg, oder die des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz, der damit auf die Unerträglichkeit des DDR-Regimes aufmerksam machen wollte. Ähnliches gilt für die von Panzern überrollten Aufständischen 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in Tschechien, oder für die chinesischen Studenten am Tianmen-Platz Peking.

Am folgenreichsten aber ist wohl die Verwendung des Begriffs im islamischen Kontext, wo er sich mehr und mehr auch auf Soldaten, Attentäter und Selbstmordattentäter bezieht. In der Hadith-Literatur ist der Märtyrer der, der im Dschihad, der heiligen Schlacht, den Opfertod erlitten und damit für Allah gestorben ist. Durch seine Verdienste und seinen Opfertod ist der Märtyrer von seiner Schuld befreit, das Reinigungsfeuer wird ihm erlassen, und der Tag des Gerichts wird ihm erspart. Er darf die höchste Stufe im Paradies einnehmen und neben Gottes Thron stehen.

Es liegt auf der Hand, dass besonders junge Menschen, die für sich keinerlei Perspektive für eine gute irdische Zukunft sehen, sich von solchen Versprechungen verlocken lassen, im für sie legitimen Kampf für den Islam ihr eigenes Leben zu opfern, indem sie viele andere mit sich in den Tod reißen. Hier wird aus Sterben für den Glauben zugleich ein Töten für den Glauben. Es ist offensichtlich, dass spätestens hier der altchristliche Märtyrerbegriff pervertiert und in sein Gegenteil verkehrt wird. Wobei wir uns hüten müssen, dies als eine Ausformung des Islam überhaupt anzusehen. Es ist ein Gesicht des Islam, das wir weder verallgemeinern noch auch unterschätzen dürfen. Leider gibt es keine islamische Instanz, die dieses Verständnis des Martyriums als einfachhin unislamisch verurteilen könnte. Zu sehr ist es mit entsprechenden Interpretationsspielräumen im Koran selbst verankert.

Das gewaltlose Zeugnis für den, der sich selbst aller Gewalt entäußert hat, wie wir in einem Weihnachtslied singen; für den Gott also, der sich in Seiner Menschwerdung zu einem wehrlosen Kind gemacht hat und wehrlos sterben wird am Kreuz, ausgeliefert an menschliche Gewalt – das gewaltlose Zeugnis für Ihn unter Umständen bis in den Tod stellt den Ernstfall möglicherweise jeden wahrhaft christlichen Lebens dar. Der hl. Stephanus ist der Erste in der unabsehbaren Reihe dieser Zeugen. Sie alle wussten: Es lohnt sich,  für den Glauben an Jesus Christus zu leben, weil es sich dafür auch zu sterben lohnt; weil ein Leben ohne oder gar gegen Ihn letztlich sinnlos wird. Jeder dieser Märtyrer stellt uns, die wir Gott sei Dank in einem freien Land leben und unseren christlichen Glauben frei bekennen können, vor die Frage: Wie wertvoll ist mir dieser Glaube, was bin ich bereit dafür einzusetzen? Lebe ich als wahrer Zeuge Jesu Christi und Seines Evangeliums?

 Pfr. Bodo Windolf

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