Predigt vom 24. März 2008 (Ostermontag)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Treue zum Sakrament der Taufe und sonntäglicher Kirchgang"
Predigttext

Ostermontag 2008

„Sine dominica non possumus“ –

Treue zum Sakrament der Taufe und sonntäglicher Kirchgang

Ostern ist nicht nur Tag der Feier der Auferstehung Jesu, sondern auch Tag der Taufe. Seit alters her bis heute werden viele Menschen in der Osternacht durch die Taufe in die Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Auferstandenen, und damit zugleich in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen. In der Osternacht erneuern zudem die Getauften ihr Taufversprechen. Daher wundert es nicht, wenn es am heutigen Ostermontag im Tagesgebet heißt: „Gib, dass alle Christen in ihrem Leben dem Sakrament (nämlich der Taufe) treu bleiben, das sie im Glauben empfangen haben.“

Was bedeutet es eigentlich: dem Sakrament der Taufe treu bleiben?

Natürlich umfasst es Verschiedenstes. Heute möchte ich nur über einen Aspekt sprechen, nämlich über die Frage: Gehört dazu auch das sonntägliche In-die-Kirche-Gehen?

Oft, sogar sehr oft bekomme ich zu hören: „Um Christ zu sein, muss ich doch nicht ständig in die Kirche rennen!“ (Meist ist hier von „rennen“ die Rede, was ich etwas seltsam finde, da ich das in der Regel nicht beobachte.) Natürlich trifft dieser Einwand auch etwas Richtiges, denn der sonntägliche Kirchgang kann ja nicht genügen, damit jemand sich als wahrer Christ auszuweisen vermag. Die Frage ist nur, ob ich auch auf ihn verzichten kann, ohne dass Wesentliches fehlt.

Einen ersten Zugang zu der Frage möchte ich über die ja schon oft gehörte und vielfältigst ausgelegte Emmaus-Perikope versuchen, und zwar mit Blick darauf, dass diese Erscheinungserzählung eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Aufbau eines christlichen Gottesdienstes aufweist. Der    Evangelist Lukas will ja nicht nur, wie er zu Beginn seines Evangeliums geschrieben hatte, darstellen, was damals passiert ist, als Jesus noch auf Erden weilte. Es geht ihm nicht einfach nur um irgendwelche vergangenen Fakten, die er genau recherchiert hat. Vielmehr schreibt er für eine Gemeinde, die wissen will, wie es denn weitergeht. Wie das, was damals war, für sie heute Gegenwart werden kann. Wie das Gewesene zur bleibenden Gegenwart zu werden vermag.

Darum geht es. Und so kann man die Grundaussage der Emmausgeschichte so zusammenfassen: Jesus ist da, aber ohne gesehen zu werden. Und – Er wird gesehen nur in der Weise, dass Er sich zugleich den Blicken entzieht.

Gehen wir es im Einzelnen durch: Gleich zu Beginn heißt es: „Jesus kam hinzu und ging mit ihnen. Doch sie waren wie mit Blindheit geschlagen, so dass sie ihn nicht erkannten.“ Genau diese Blindheit ist es, die der Evangelist mit seiner Erzählung heilen will. Der Herr, der Auferstandene, Er ist da und Er geht mit uns und mit euch, die ihr diese Begebenheit hört. Unsichtbar nur für die Augen des Leibes, sichtbar aber für den, der Ihn mit den Augen des Glaubens „sieht“.

Der Ort, wo diese neue Art des Sehens am intensivsten geschieht und eingeübt wird, ist der Ort der gottesdienstlichen Feier. In ihr werden zunächst einmal die Worte der Heiligen Schrift gehört und ausgelegt. Genau das schildert Lukas, wenn er schreibt: „Da legte er ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.“ Der unerkannt mitgehende Herr selbst erscheint hier als der Ausleger der Schrift, als der wahre und eigentliche Ausleger. Nur in Ihm und durch Ihn wird das Wort Gottes in rechter Weise gehört und verstanden. Daher zuvor der fast vorwurfsvolle Einwurf: „Wie schwer fällt es euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben.“

In diesem „hörenden Sehen“ und „sehenden Hören“, das das Herz brennen macht, wie es gegen Schluss heißt, gehen die Emmausjünger und mit ihnen gleichsam die Gemeinde auf den Höhepunkt der sich schenkenden unsichtbaren Gegenwart Jesu zu. Es sind die Gesten der Eucharistie, durch die der unerkannte Fremde an der Seite als der erkannt wird, der Er in Wahrheit ist: als der Herr, als der Lebende, als der Auferstandene, als der Mitgehende, als der unüberbietbar Gegenwärtige. Noch einmal Lukas: „Als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr.“

Im Augenblick der inneren Erkenntnis entzieht Er sich dem äußeren Blick. Der äußere Blick der leiblichen Augen sieht das gebrochene und dargereichte Brot, das ja noch da ist; zugleich dürfen sie wissen, dass das die neue Weise Seiner Gegenwart unter den Seinen ist. Die urchristliche Gemeinde, die Getauften, denen Lukas diesen Hergang schildert, wissen: Wir selbst sind die Jünger von Emmaus. Wir erkennen uns wieder in ihnen, besonders dann, wenn wir zusammenkommen, um Gottes Wort zu hören und die Eucharistie zu feiern.

Diese Zusammenkunft geschieht seit alters her an einem bestimmten Tag der Woche. Das Zeugnis dafür geht bis ins Neue Testament selbst zurück. Es ist nicht mehr der siebte Tag, der Sabbat, den das jüdische Volk hielt, sondern es ist der „Herrentag“, der erste Tag der Woche, der Auferstehungstag.

Es gibt – und hier mache ich einen zeitlichen Sprung – ein berührendes Zeugnis dafür, wie wichtig der jungen Christenheit dieser Tag war. Im Jahr 304, während der Verfolgung unter dem römischen Kaiser Diokletian,  überraschten in Nordafrika römische Beamte eine Gruppe von etwa 50 Christen bei der sonntäglichen Eucharistiefeier und nahmen sie in Haft. Das Protokoll der Verhöre ist erhalten geblieben. Zu dem Priester Saturninus sagt der Prokonsul: „Du hast gegen die Anordnung der Imperatoren und der Cäsaren gehandelt, da du diese alle hier versammelt hast.“ Die freimütige Antwort des Vorstehers der Eucharistie lautet: „Unbekümmert darum haben wir das, was des Herrn ist, gefeiert.“ Als der Römer auf seinem „ja aber warum denn?“ besteht, folgt die schlichte und großartige Auskunft: „Wir haben es getan, weil nicht unterbleiben kann, was des Herrn ist.“ Mit anderen Worten: Es gibt einen Herrn über den Herren dieser Welt, auch über die römischen Cäsaren. Und diesem Herrn sind wir noch mehr verpflichtet als den Herren, denen du, der römische Richter, dienst.

Aber fast noch eindrücklicher ist die Antwort des Hausbesitzers Emeritus, in dessen Räumen die sonntägliche Eucharistie stattgefunden hatte. Zunächst weist er den Prokonsul darauf hin, dass die Versammelten ja seine Brüder und Schwestern sind, denen er doch nicht die Tür weisen darf. Auf den Einwand des Römers: „Du musstest ihnen aber den Zutritt verbieten“, kommt das eigentlich Tragende zum Vorschein: „Ich konnte es nicht –  quoniam sine dominica non possumus – denn ohne den Herrentag, ohne die Feier des eucharistischen Herrengeheimnisses können wir nicht sein.“ 

Dieses „Wir können nicht“ ist deswegen so groß und überhaupt erst möglich, weil es nicht aus einem mühsamen Gehorsam irgendeinem Kirchengebot gegenüber kommt. Vielmehr wird ein inneres Müssen, ein aus der eigenen Freiheit geborenes Müssen deutlich. Weil diese einfachen Christen in der Eucharistie den Sinn ihres Lebens feierten, erschien es ihnen sinnlos, sich das Weiterleben durch den Verzicht auf diesen tragenden Grund ihres Daseins zu erkaufen. Für sie war es die Wahl zwischen lebentragenden Sinn und sinnlosem Leben. Ihre Wahl fiel auf das erstere, selbst um den Preis der physischen Existenz. Denn sie wussten, was der französische Schriftsteller Georges Bernanos einmal in besonders schöner Weise ausdrückte: „Für den Moment der Messe sind wir in die Ewigkeit Gottes versetzt.“ Wir können hinzufügen: „in die Ewigkeit des Auferstandenen“.

Hier berühren sich Himmel und Erde. Wir begegnen IHM. Ihm, der das Leben ist in einer vom Tod gezeichneten Welt; Ihm, der die Hoffnung ist inmitten von Trauer, Resignation und Verzweiflung so vieler Menschen; Ihm, dem Barmherzigen, der drückende Schuld hinwegnimmt; Ihm, der Orientierung gibt inmitten so vieler Orientierungslosigkeit; Ihm, der als selbst schwach und ohnmächtig Gewordener sich der Armen, Schwachen, Kranken und Leidenden annahm.

Wer das einmal wirklich verstanden hat, der wird mit den erwähnten Christen aus Nordafrika sagen: Ich kann nicht verzichten auf diese Feier meiner und unserer Erlösung. Ich kann nicht anderes ständig wichtiger sein lassen als diese eine Stunde in der Woche, zu der der Herr selbst mich einlädt.

 Pfr. Bodo Windolf

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