Predigt vom 22. Mai 2008 (Fronleichnam)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Ursprung und Bedeutung der Prozession"
Predigttext

Fronleichnam 2008 

Ursprung und Bedeutung der Prozession 

Fronleichnam, das Hochfest der Eucharistie, hat als sein charakteristischstes Merkmal die Prozession mit dem Allerheiligsten. Gehend, betend, singend folgen wir dem Herrn in Seiner eucharistischen Gestalt durch die Straßen unserer Dörfer und Städte und erbitten Seinen Segen. Was hat es mit dieser Prozession auf sich? Was ist ihre Bedeutung?

Als das Fest Fronleichnam 1246 eingeführt wurde, gab es sie noch nicht. Zum ersten Mal ist sie uns im Jahr 1277 in Köln überliefert, neun Jahre später in Benediktbeuren, seit dem 14. Jahrhundert, also innerhalb weniger Jahrzehnte, gehört sie in Deutschland zum festen und, wie gesagt, zum charakteristischsten Bestandteil dieses Festtages.

Was ihre Wurzeln betrifft, hat sie zunächst einmal allgemein-menschliche Voraussetzungen. Fast alle Religionen der Menschheit kennen Prozessionen. Nicht nur das Reden, Singen und Schweigen, das Stehen, Sitzen und Knien sind Ausdrucksformen der Verehrung Gottes, sondern eben auch das gemeinsame festliche Gehen in der Gemeinschaft der Glaubenden und in der Gemeinschaft mit dem geglaubten Gott.

In der christlichen Liturgie können wir vor allem zwei Wurzeln der Fronleichnamsprozession erkennen. Die erste hat ihren Ursprung in der Karwoche, in der wir das Drama der letzten Tage des Lebens Jesu erinnernd mitvollziehen. Zwei Prozessionswege sind uns hier vorgegeben: der eine an Palmsonntag erinnert an den triumphalen Einzug Jesu in die heilige Stadt, der andere an Gründonnerstag an sein betendes Hinausgehen aus ihr zum Ölberg, hinaus in das Dunkel der Nacht, des Verrates und des Todes. An Palmsonntag zieht Jesus ein in die umfriedete Sphäre des Heils, für die der Tempel auf dem Zionsberg in Jerusalem als Ort der Anwesenheit Jahwes mitten unter den Menschen steht. Doch dieser Tempel aus Steinen – der wenige Jahre nach dem Tod Christi, nämlich 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde – bedarf der Reinigung, ja der Überwindung. Und so ist das erste, was Jesus nach Seinem Einzug in Jerusalem tut, die Vertreibung der Händler aus dem heiligen Bezirk, aus dem Haus Seines Vaters, die aus ihm und der Religion überhaupt ein Geschäft zu machen suchen.

Das eigentliche Werk der Reinigung aber vollzieht sich im Hinausgehen aus der Sphäre des Heils in den Raum des Unheils, der Schuld, des Leidens und des Todes. Die Gründonnerstagsprozession mit der Übertragung des Allerheiligsten an einen anderen Ort ist im Geleit des eucharistisch anwesenden Herrn zugleich Geleit des ins Leiden gehenden Herrn, Mitgehen mit Ihm zum Ölberg, wo Seine Auslieferung für uns ihren Anfang nimmt.

Der Fronleichnamstag rückt diese Teilelemente des österlichen Geheimnisses und der Karwoche in die Mitte und macht sie zu einem großen Fest. Was in der Karwoche überschattet ist durch das Dunkel des Karfreitags, findet an Fronleichnam in der lichtvollen Freude der österlichen Auferstehung statt, die alles Dunkel für uns und die ganze Welt überwunden hat. Auch wenn wir, die wir den Tod noch vor uns haben, noch immer am Dunkel der Welt leiden, so haben wir doch auch schon Anteil am Sieg des Lichtes über alle Finsternis. Daher ist die Fronleichnamsprozession gleichsam ein Sieges-, ja Triumphzug des Herrn, der den eigentlichen Feind allen Lebens, den Tod, besiegt hat, und der öffentlich als der lebenspendende Herr verehrt wird und dem wir als dem Herrn der Welt unsere Straßen, Plätze und Fluren gleichsam übereignen zugleich mit der Bitte um Seinen Segen, dass Seine Lebensmacht schon hier und jetzt die Mächte des Dunkels, der Schuld, des Leides und des Todes überwinde.

Damit sind wir bei der zweiten Wurzel der Fronleichnamsprozession: den Flurprozessionen, deren Sinn vor allem die Bitte um Segen für Aussaat und Ernte ist.

Auch wenn es heute in vielen Gemeinden weniger sind, so waren es früher üblicherweise vier Altäre, zu denen man an Fronleichnam unterwegs war. Hier wurden jeweils die Anfänge der vier Evangelien gelesen, weil der Anfang stets für das Ganze gilt. Heute sind es vier ausgewählte Stellen, aber auch aus jedem der vier Evangelien, die gelesen oder gesungen werden.

Die Zahl Vier steht seit alters her für die Welt insgesamt, denn sie symbolisiert die vier Himmelsrichtungen, die Welt in ihrer ganzen Ausdehnung. Die vier Altäre, die Worte aus den vier Evangelien und der eucharistische Segen in alle vier Himmelsrichtungen wollen ausdrücken: diese unsere  Welt, sie möge zum Raum Gottes werden, sie möge Seinem schöpferischen und erlösenden Wort unterstellt und so offen werden für das Heil, das Er der Welt schenken möchte; sie möge umfangen und erfüllt sein von seinem Segen und Seiner Gnade.

Da wir auch das tägliche Brot des Leibes letztlich aus Gottes Händen empfangen, treten hier göttliches und irdisches, eucharistisches und tägliches Brot in eine innige Beziehung zueinander: das eucharistische Brot soll zum Segen werden für das tägliche Brot; im täglichen Brot ist schon der Hinweis auf den enthalten, der uns zum Brot des ewigen Lebens werden möchte, indem Er sich uns als das Brot des Lebens schenkt.

So öffnet sich an Fronleichnam in besonders anschaulicher Weise die Liturgie in unseren Alltag hinein, in unser alltägliches irdisches Leben mit all seinen Freuden und Sorgen; sie tritt aus dem Raum der Kirche hinaus, um den Himmel zur Erde, Gott zu den Menschen zu bringen. Das Beschreiten der Straßen, Plätze und Fluren unseres Lebensraumes zusammen mit dem eucharistischen Herrn ist – so drückte es der Liturgiker Josef Pascher einmal sehr schön aus – wie ein Ritus der Handauflegung. Dabei legen nicht wir Menschen an diesem Tag unserer Erde die Hände auf, jene Hände, die die Erde so oft ausbeuten, plündern und schänden, sondern der Herr selbst.

So dürfen wir am heutigen Tag auch und gerade darum beten, dass Gott die Menschheit, die Erde, die Schöpfung insgesamt vor dem überbordenden Egoismus und der Anmaßung des Menschen bewahre, der inzwischen die Macht hat, den Lebensraum Erde zu zerstören.

Ihn, unseren Schöpfer, Erlöser und Heiland – der es ist, weil Er die Wunden der Menschen und die Wunden der Schöpfung zu heilen vermag – Ihn tragen wir über unsere Erde, damit Er ihr Seine Hände auflege, segnend, beschützend, bewahrend, fruchtbringend.

 Pfr. Bodo Windolf

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