Predigt vom 15. Juni 2008

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Das himmlische Jerusalem"
Predigttext

11. Sonntag i. J. A 2008, 15. Juni 2008

Das himmlische Jerusalem – der weltgeschichtliche Sinn von Erwählung und Sendung Israels und der Kirche

Heute will ich einmal die Lesungstexte nicht wie gewöhnlich einfach nur auf unser persönliches Leben hin deuten, sondern versuchen, sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen. 

Paul Badde, Redakteur des Magazins der FAZ, hat vor einigen Jahren ein Buch geschrieben: „Die himmlische Stadt. Der abendländische Traum von der gerechten Gesellschaft.“ Dieses Buch beginnt mit folgenden Sätzen: „Es gibt einen Schlüssel zum Geheimnis Europas. Er findet sich am Schluss der Bibel in der Apokalypse … des Johannes, in der es im 21. Kapitel heißt: ‚Ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das himmlische Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen.’“ Das himmlische Jerusalem, Sinnbild einer gerechten Gesellschaft, in der es keinen Krieg, keinen Hass, keine Unterdrückung, kein Leid und schließlich auch den Tod nicht mehr gibt. Die These des Autors ist, dass die Utopie dieses himmlischen Jerusalems, die Utopie einer gerechten Gesellschaft wie ein verborgener Code allen Umwälzungen und Revolutionen auf unserem Kontinent zugrunde liegt.

In der Regel vollzogen sie sich blutig, sehr blutig, diese Revolutionen. Die friedliche Revolution von 1989, dem „Wendejahr“, die ohne jedes Blutvergießen die Mauer in Berlin niederriss und den Eisernen Vorhang zerriss, stellt eine absolute Ausnahme dar. Das war wohl alles andere als zufällig, denn sie hatte ihren Ursprung nicht in nackter Gewalt, sondern im Gebet; in den Montagsdemonstrationen, die ihren Ausgang vor allem von evangelischen Kirchen nahmen. Die Posaunen von Jericho, die Jerichos Mauern zum Einsturz brachten, waren diesmal Stimmen des Gebets und Prozessionen friedlicher Demonstration.

Die Revolutionäre, die die Welt besonders in den letzten 200 Jahren immer wieder in Brand gesteckt haben, hatten diese Geduld nicht. Ihr Grundproblem ist: Sie haben keine Zeit. Die Lebenszeit des Einzelnen ist begrenzt. Wenn man daher noch erleben will, dass die alte verderbliche Gesellschaftsordnung verschwindet, um der neuen und gerechten Platz zu machen, muss man dies mit Gewalt ins Werk setzen. So heißt es im letzten Abschnitt des Kommunistischem Manifests: „Die Kommunisten … erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Vor diesem Hintergrund möchte ich nun einen Blick auf die beiden heutigen Lesungstexte werfen. Erwählung und Sendung sind die beiden Stichworte, die Lesung und Evangelium zusammenführen. Sendung zu einem Werk, das nichts weniger als den Beginn des himmlischen Jerusalems schon hier und jetzt auf der Erde, zugleich aber die Vollendung dieses Beginnens erst jenseits unserer Erdenzeit anzielt. Auch hier ist eine Revolution im Gange, eine göttliche Revolution; aber – im Unterschied zu den irdischen blutigen Revolutionen – eine solche, die sich Zeit nimmt und die Mittel der Gewalt ablehnt.

Dieses große Werk fängt Gott kleinstmöglich an, mit einem einzigen Menschen. Abraham, der Stammvater Israels, wird aus seiner Heimat und Familie restlos entwurzelt, um sein Leben durch viele und schwere Prüfungen hindurch ganz auf den Glauben und das Vertrauen auf Gott zu stellen. Aus ihm geht jenes kleine, politisch so unbedeutende Volk Israel hervor, das die ganze Welt verändern wird. Dieses Volk siedelt am Schnittpunkt dreier Kontinente: Asiens, Afrikas und Europas, was sicher alles andere als ein Zufall ist. Israel steht dabei im Einflussbereich bedeutendster Hochkulturen: der Ägypter, Assyrer, Babylonier, Perser, Griechen, Römer. Es lernt in einem Jahrhunderte dauernden Prozess, der Faszination der Götterwelten, Mythen und Kulte der umgebenden Hochreligionen nicht zu erliegen, sondern sich stattdessen nur einem einzigen Gott anzuvertrauen, einem Gott, der nicht Teil, sondern Schöpfer des Himmels und der Erde ist. Was hier geschehen ist, ist welt- und religionsgeschichtlich etwas absolut Einmaliges.

Von diesem Volk heißt es nun in der heutigen Lesung: Wenn ihr, die ich aus Ägypten befreit habe, „auf meine Stimme hört und meinen Bund bewahrt, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört die Ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören“.

In einem kleinen Volk auf einem kleinen Stück Erde sollte die rechte Art der Verehrung Gottes und das rechte Hören auf die lebenspendenden Weisungen eben dieses Gottes eingeübt werden, stellvertretend für die ganze Menschheit. Der Hinweis: „Mir gehört die ganze Erde“ zeigt deutlich, dass diese Erwählung Israels aus allen Völkern nicht Israel allein gilt, sondern im letzten der Menschheit insgesamt. Stellvertretend für alle sollte Israel so etwas wie der Beginn des himmlischen Jerusalems sein, wiewohl sich im Verlaufe der Geschichte immer mehr zeigte, dass es auch in Israel immer nur ein kleine Minderheit war, die diese Sendung Israels wirklich zu leben versuchte.  

Die Universalisierung der Sendung des alttestamentlichen Gottesvolkes erfolgt erst nach Jahrhunderten mit dem Kommen Jesu und der Aussendung der Zwölf in alle Welt. Namentlich werden sie im heutigen Evangelienabschnitt genannt, und die Zahl Zwölf steht natürlich symbolisch für das Zwölf-Stämme-Volk Israel. Die auf dem Glauben und dem Zeugnis der Apostel gegründete Kirche ist das Neue Israel, von Christus gesandt zu allen Menschen. Erwählung geschieht nach biblischem Verständnis nie einfach nur für einen selbst, sondern immer in Hinblick auf das Ganze.  

Diese Zwölf wählt Jesus aus der weitaus größeren Schar seiner Jünger nicht unter dem Gesichtspunkt der Harmonie und des Zusammenpassens. Er ruft in seine nächste Nähe Menschen griechischen und hebräischen Namens, vor allem aber die unterschiedlichsten Charaktere, Temperamente und auch politischen Überzeugungen. Als Beispiel sei Matthäus genannt, der als Zöllner ein Kollaborateur mit der verhassten römischen Staatsmacht war. Er musste sich vertragen lernen mit Simon Kananäus, der an anderer Stelle Simon, der Zelot, genannt wird. Die Zeloten waren die Anarchisten, die heiligen Krieger dieser Zeit; eine Bewegung, die um 6 n. Chr. entstanden war und durch Gewalt die verhasste Fremdherrschaft der Römer abschütteln wollte. Die jüdischen Aufstände 66 und 135 n. Chr., die zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels und schließlich zur Zerstreuung des Volkes Israel geführt haben, gehen vor allem auf ihre Kosten.  

Das zeigt: Kirche ist immer auch ein Ort, in dem es Auseinandersetzung, Streit und Meinungsunterschiede gibt. Aber über all diesen Differenzen in letztlich sekundären Fragen soll die Kirche geeint sein im gemeinsamen Hinschauen auf Ihn, Christus; geeint im gemeinsamen Glauben, Hoffen und Vertrauen auf Ihn; geeint im gemeinsamen Beten und Gottesdienstfeiern, wie hier in der Kirche, in der ja auch unterschiedlichste Charaktere und Überzeugungen zum gemeinsamen Feiern zusammenkommen.  

Die Revolutionierung der Welt nicht mit Schwert und Blut, sondern durch das eine Gebot der Gottes- und Nächstenliebe – das ist der Auftrag der Kirche durch die Geschichte der Menschheit hindurch. Jeder Getaufte, jedes Glied der Kirche, hat die Aufgabe, seinen persönlichen Part innerhalb der Gesamtsendung der Kirche zu übernehmen. Leider gibt es auch die, die sich verweigern; die ihren Part gar nicht oder sehr schlecht spielen; die nicht den priesterlichen Dienst des Betens und der Anbetung vollziehen; die den Gottesdienstbesuch anderen überlassen, die wenig oder keine Verantwortung für andere und für ein wahrhaft christliches Zeugnis übernehmen.  

Aber Gott sei Dank gibt auch heute noch die, die Gottes Wort hören, es annehmen und leben, unangepasst leben mitten in einer Welt, die sich zwar nach dem himmlischen Jerusalem sehnt, es aber ohne den Gott Jesu Christi immer wieder verfehlt.

Gott erwählt und sendet auch heute noch. Bitten wir den Herrn der Ernte, wie uns Jesus heute im Evangelium auffordert, Arbeiter in seine Ernte auszusenden; beten wir um Menschen, die auch heute noch seinen Ruf hören und ihm folgen, um schon hier und jetzt dem himmlischen Jerusalem den Weg zu bereiten.

 Pfr. Bodo Windolf

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