Predigt vom 10. August 2008

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Petrus - Glaubensnacht bei Mutter Teresa "
Predigttext

19. Sonntag i. J. 2008

 Petrus – Glaubensnacht bei Mutter Teresa
In einem modernen Kommentar zur heutigen Evangelien-Perikope ist folgendes Fazit zu lesen: „Gerade die Erzählung vom misslingenden Seewandel des Petrus dürfte dem Leser jedwede Idealisierung des Petrus und die Zuschreibung einer Vorrangstellung im Glauben verwehren.“ (Hubert Frankemölle, Matthäus. Kommentar 2, 200)

Es ist schon erstaunlich, wie gewaltig auch professionell mit dem Wort Gottes umgehende Theologen den Sinn einer Perikope verfehlen können.

Der zitierte Exeget tut so, als könne die von allen Evangelisten bezeugte Vorrangstellung Petri aufgrund der freien Wahl Jesu nur auf dessen besondere persönliche Qualitäten zurückzuführen sein, offensichtlich habe er hier aber versagt, weswegen es mit der Vorrangstellung nicht so weit her sein könne. Nun gibt es aber auch nicht eine einzige Stelle im Neuen Testament, in der der Primat Petri begründet würde etwa mit seiner herausragenden Klugheit oder seinem Eifer geschweige denn mit seiner Glaubenskraft. Immer wieder wird oft geradezu drastisch vor Augen geführt, dass er aus seinem Persönlichen niemals dem gewachsen ist, wozu Jesus ihn sendet und bestellt. Petrus ist mutig, spontan, voller Begeisterung für Jesus, voller Glaube und Liebe, aber wie kein anderer der Jünger stößt er immer wieder auch an seine Grenzen bzw. wird von Jesus selbst auf seine Grenzen gestoßen. Ein gemeinsamer Sinn aller Petrusgeschichten ist ja gerade zu zeigen, dass Petrus nicht wegen seiner Qualitäten, sondern trotz seines immer wieder offenkundigen Versagens der ist, dem Jesus seine Kirche anvertraut. Das gilt auch für die heutige Episode. Solange er auf Christus schaut, wird er gehalten. Sobald er aber den Blick von Jesus abwendet und nur noch auf sich und die drohenden Elemente blickt, beginnt er den Boden unter den Füßen zu verlieren und sinkt.

Dasselbe gilt im übrigen für die Vorrangstellung, die wir Katholiken dem Papst einräumen. Nie in der Kirchengeschichte wurde die Vorrangstellung des Bischofs von Rom oder auch das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes, wenn er in Glaubens- und Sittenfragen verbindlich spricht, mit seiner größeren Klugheit oder einem besser ausgestatteten Erkenntnisorgan begründet. Das Unfehlbarkeitsdogma drückt nicht irgendeinen Glauben an den Papst und seine besonderen Fähigkeiten aus; vielmehr ist es ein Aspekt des Glaubens an Gott und daran, dass Er, Gott, zu seiner Verheißung steht: nämlich in der Person des Petrus und seiner Nachfolger kraft deren Amtes die Kirche davor zu bewahren, in einer Frage des Glaubens und der Ethik definitiv in Irrtum zu fallen.

Was andere Bereiche des Wissens wie den der Naturwissenschaft (vgl. den Fall Galilei) oder was die Kraft des persönlichen Glaubens, den persönlichen Lebensstil, die persönliche Lebensführung betrifft, so ist der Papst in all dem genauso fehlbar wie jeder andere Christ auch (wobei die Päpste der vergangenen Jahrhunderte fast durchweg höchst integre Persönlichkeiten waren; aber bekanntlich war das im Verlaufe der Kirchengeschichte ja nicht immer so). Diese Unterscheidungen sind ganz wesentlich für das rechte Verständnis des Petrusamtes in der Kirche, wenn man nicht Verwirrung stiften möchte. 

Damit sind wir nun aber auch bei uns selbst und unserem eigenen Glauben. Die meisten gläubigen Menschen haben ihren Glauben aus der Kindheit ererbt. So mancher hat verloren oder abgelegt wie ein altes abgetragenes Kleid. Andere haben ihn sich bewahrt und tragen ihn weiter in unangefochtener Gläubigkeit. Aber vermutlich wird fast jeder einmal oder gar mehrmals in seinem Leben an einen Punkt geführt, an dem sich der Glaube bewähren muss; an dem alles, was bislang selbstverständlich und unangefochten war, fragwürdig und zweifelhaft wird.

Als Beispiel will ich Mutter Teresa anführen. Im vergangenen Jahr erregte die Veröffentlichung ihrer Briefe und Aufzeichnungen großes Aufsehen. Sie, die durch ihren aus dem Glauben gespeisten unermüdlichen Einsatz für die Ärmsten der Armen als eine der größten christlichen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gilt, zeigt sich darin als ein Mensch, der von tiefsten Glaubenszweifeln und größter innerer Dunkelheit heimgesucht war. So schreibt sie z.B.: „Herr, mein Gott, wer bin ich, dass Du mich im Stich lassen solltest? Ich rufe, ich klammere mich an Dich, ich will – und da ist Niemand, der mir antwortet. (…) Wo ist mein Glaube? selbst tief drinnen in meinem Innersten ist nichts als Leere und Dunkelheit. Mein Gott, ich habe keinen Glauben“, schrieb sie 1959. Und wenig später: „Der Platz Gottes in meiner Seele ist leer, in mir ist kein Gott.“

Was zeigt das? Zum einen: Glaubenszweifel, Anfechtungen im Glauben gehören zur christlichen Existenz. Die einen sind davon mehr, andere weniger betroffen. Natürlich gibt es auch die Zweifel, die aus persönlichem Versagen kommen, etwa aus gewohnheitsmäßigen Sünden und der entsprechenden Abkehr von Gott, aus dem gesuchten und gewollten Umgang mit glaubensfeindlichen Milieus oder entsprechender Literatur. Man kann den Zweifel, die Skepsis gegenüber dem Glauben aktiv und gewollt nähren und pflegen. Wenn Jesus den Petrus als „Kleingläubigen“ bezeichnet, dann beinhaltet das durchaus auch einen Vorwurf und sagt, dass Petrus im Glauben schon weiter sein könnte. Aber es gibt eben auch die schuldlose Anfechtung im Glauben, weswegen es nicht schon ein Ausweis größerer Glaubensstärke ist, wenn jemand solche Anfechtungen nie gehabt hat. 

Wenn man nun fragt, was denn der Sinn solcher Erfahrungen von Glaubensdunkel sei – die Mutter Teresa übrigens bis an ihr Lebensende hatte – dann könnte uns die heutige Lesung einen Hinweis geben. In seinem Brief an die Römer schreibt Paulus den unglaublichen Satz: „Ich möchte selber verflucht und von Christus getrennt sein um meiner Brüder willen, die der Abstammung nach mit mir verbunden sind.“

Paulus gewährt uns hier einen tiefen Blick in seine Seele; er bezeugt, mit wie großer Liebe er nach wie vor auch als Christ an seinem jüdischen Volk hängt. Was ihm das Wertvollste geworden ist, der rettende Glaube  an Jesus Christus, wäre er bereit herzugeben, wenn er damit das Heil seines Volkes erwirken könnte.

Etwas in diese Richtung muss Mutter Teresa erlebt haben. Das Glaubensdunkel ist so etwas wie eine erlebte und erlittene Trennung von Gott und von Jesus Christus, begleitet, wie dies auch andere Heilige bezeugen, vom Gefühl des Weg-verflucht-Seins von Gott. Das kann nur heißen, dass sie teilgenommen hat am Glaubensdunkel so vieler Menschen unserer Zeit. Stellvertretend für viele hat sie es getragen, aber nicht in der Weise des Schuldigwerdens, sondern in der Haltung eines Glaubens und einer Liebe, die, wenn auch ungefühlt, aus Gott selbst stammte. 

Das Geheimnis der Stellvertretung ist zentral für das Verstehen unseres Glaubens. Wie Christus stellvertretend für uns alle unsere Schuld am Kreuz erlitt, so lässt Er auch andere Menschen teilnehmen an Seiner stellvertretenden Erlösungstat. Das schuldhafte Dunkel anderer Menschen in der Haltung des Glaubens, der Hoffnung und vor allem der Liebe zu tragen, ist eine urchristliche Haltung und hat eine ganz eigene Fruchtbarkeit. Auch Menschen, die betroffen sind von anderen Leiderfahrungen, kann dies Trost sein und einen tiefen und Kraft spendenden Sinn erschließen.  

Jedenfalls dürfen wir uns alle wünschen, dass, wenn wir heimgesucht werden von solchen oder ähnlichen Erfahrungen und wir wie Petrus ins Bodenlose zu versinken drohen, wir ebenfalls die Erfahrung machen, dass sich uns die rettende und uns aus aller Bedrängnis herausziehende Hand Christi entgegenstreckt, vielleicht nicht immer so schnell wie im heutigen Evangelium, aber doch auf Dauer erfahrbar.

 Pfr. Bodo Windolf

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