Predigt vom 16. November 2008

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Meine Berufung so erleben, dass ich vor Gott ....."
Predigttext

33. Sonntag i. J. 2008   16. November 2008
1 Thess 5,1-6; Mt 25,14-30 

Meine Berufung so leben, dass ich vor Gott gut Rechenschaft geben kann für mein Leben 

„Über Zeit und Stunde brauche ich euch nicht zu schreiben. Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht.“

Der Tag des Herrn – wir können ihn auf eine zweifache Weise verstehen. Zunächst einmal ist das nach biblischem Verständnis der Jüngste Tag, der Tag am Ende der Zeit, an dem Gott Gericht halten wird über Lebende und Tote und die Welt vollenden wird. Aber neben dieser allgemeinen Bedeutung hat er auch eine persönliche: mein Tag des Herrn, mein Jüngster Tag ist nichts anderes als der Tag und die Stunde meines Todes. Wie ein „Dieb in der Nacht“ kommt er, d.h. niemand von uns weiß, wann unsere letzte Stunde geschlagen hat; es kann heute schon sein, in ein paar Wochen, Monaten, Jahren, keiner von uns weiß es. Und das ist sicher auch gut so eingerichtet, da wir uns sonst wohl ziemlich verrückt machen würden, je näher der Termin rückte.

Aber genau deswegen ist auch so wichtig, die Realität des Todes nicht auszublenden aus unserem Leben; so zu tun, als würden wir ewig leben, als würden nur die anderen sterben, als ginge das Ganze mich nichts an. Daher  gilt es, bereit zu sein; allzeit bereit zu sein, damit uns der Tod nicht eines Tages unvorbereitet überrascht. Denn an diesem Tag geschieht das, wovon Jesus im Evangelium spricht: „Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen.“

Wir alle werden im Tod Rechenschaft geben müssen für unser Leben, und zwar vor dem Herrn des Gleichnisses, und das ist natürlich niemand anderer als Gott, als Jesus Christus selbst.

Wie wir wohl vorbereitet auf diesen Tag zugehen können, sagt uns Jesus in einem Gleichnis. Aus den unendlichen Vorräten seines Vermögens, so haben wir gehört, hat der Herr seinen Dienern – und damit ist ein jeder von uns gemeint – Talente anvertraut. Er gibt nicht allen gleich viel, er verteilt unterschiedlich, aber keinem gibt er alles, und keinem nichts. Warum er unterschiedlich gibt, wird mit den Fähigkeiten der einzelnen begründet; darüber hinaus liegt es aber auch an der souveränen Freiheit des Herrn. Er vertraut das an, was Er für richtig hält.

Aber dieser Herr handelt nicht nur in souveräner Freiheit, er gewährt auch Freiheit. Dass er abreist, bedeutet: er kontrolliert nicht das Arbeiten und Wirtschaften der Diener mit dem ihnen anvertrauten Vermögen; er überlässt es ganz und gar ihnen, was sie damit machen – aber natürlich in der Erwartung, dass das Ganze – um es in der im Gleichnis selbst gebrauchten Sprache der Wirtschaft auszudrücken – eine gute Rendite abwirft. Jeder Freund der kapitalistischen Wirtschaftsordnung wird eine wahre Freude an dieser Erzählung Jesu haben.

An dieser Stelle ist es gut, einmal innezuhalten und einen kurzen Blick auf das derzeitige Desaster in der Finanzwelt zu werfen. Jesus hat offensichtlich überhaupt nichts dagegen, das anvertraute Gut durch entsprechendes Wirtschaften zu mehren. Die entscheidende Frage ist freilich: Wie tue ich das? Unter welchem Vorzeichen steht mein Bemühen, in den vielfältigen Bereichen meines Lebens, nicht nur den materiellen, Gewinn zu erzielen?

Der aktuelle Finanz-, Banken- und Börsen-Crash zeigt eines sehr deutlich: Es sind auch Ideen, die unser Leben und unsere Welt regieren. Eine der momentan hauptsächlich verfochtenen Theorien beruht – ein wenig vereinfacht ausgedrückt – auf der Idee, der Egoismus des Einzelnen bzw. der Egoismus aller führe von allein zu einer vernünftigen und verantwortbaren Regulierung des Marktes. Denn, so wird argumentiert, der Egoismus des einen Marktteilnehmers verhindere, dass der Egoismus eines anderen Marktteilnehmers zu seinen Lasten gehe. Das aber führe letzten Endes dazu, dass die Marktkräfte so gelenkt werden, dass die motivierende Kraft des Egoismus aller auch zum Wohlstand aller beiträgt. Wie diese Theorie das ganze System mit Karacho gegen die Wand gefahren hat, steht uns allen drastisch vor Augen. Die nackte Gier nach mehr und immer noch mehr, die bei manchen zur Sucht und zu einem irrationalen Spiel- und Spekulationstrieb mutiert ist, vollkommener Realitätsverlust mit gänzlich überzogenen Renditeerwartungen, der Handel mit Papieren, denen in keiner Weise mehr ein wirtschaftlicher Realwert entspricht – all das hat zusammen mit dem Versagen der Kontrollinstanzen nicht zuletzt auch des Staates zu den Verwerfungen geführt, die nun auch viele Unschuldige mitreißen.

Wo Menschen nicht persönlich haften, zeigt der Raubtierkapitalismus seine Fratze, wird auch kriminelle Energie frei. Ein verantwortlicher Umgang mit dem Kapital, bei dem man sich verantwortlich weiß immer auch für das Wohl aller und des Ganzen, wie es seit dem vorletzten Jahrhundert vor allem die katholische Soziallehre vertritt – hätte es niemals so weit kommen lassen. Jenseits der Extreme und der Ideologien von Kapitalismus und Sozialismus wird in der katholischen Soziallehre die Mitte gesucht zwischen dem Einsatz und dem Wohl des Einzelnen wie auch der Allgemeinheit. Das kürzlich erschiene Buch „Das Kapital“ unseres Erzbischofs Reinhard Marx hat hier viel Wichtiges und Heilsames zu sagen und ich möchte es allen, die etwas mehr über die katholische Soziallehre wissen wollen, sehr zur Lektüre empfehlen.

Kehren wir zum Gleichnis zurück: Was bedeutet das Gleichnis für unser Leben?

Zunächst einmal will ich die Talente deuten als unsere tiefste und ureigentliche Berufung. Sie gehört zum Persönlichsten, was Gott in unsere Seele gelegt hat. Wo ein Mensch das Gefühl hat, diese Berufung entdeckt zu haben und sie auch leben zu können, da machen wir die Erfahrung: Ich bin ganz bei mir selbst. Ich fühle mich mit mir und mit dem Tiefsten in mir eins. Es geht einher mit dem Gefühl von Sinn, Freude, innerem Frieden, durchaus auch dann, wenn die äußere Situation schwierig ist und ich von so manchen Turbulenzen des Daseins gebeutelt bin .

Die fünf oder die zwei oder auch nur das eine Talent will ich als diese Berufung, als diese Herzmitte unseres Lebens deuten. Diese Berufung ist unverfügbar. Niemand kann sie mir von außen einreden. Das Wissen darum, ob ich meine Berufung gefunden habe, ob ich sie auch lebe oder aber an vorbeilebe, haben wir von innen. Ein Mensch, der in der rechten weise seine Berufung lebt, ist darin ganz nahe bei Gott, da niemand anderer als Er sie in mich hineingelegt und mir anvertraut hat.

Nun aber spricht Jesus auch von mehreren Gefährdungen. Diese werden sichtbar an dem dritten Mann des Gleichnisses.

Warum hat er sein Talent in der Erde begraben? Ein erster Grund könnte das Vergleichen gewesen sein. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie er innerlich lamentiert: Die beiden anderen haben mehr bekommen als ich. So fühlt er sich wohl als ein zu kurz Gekommener, Benachteiligter.

Viele Menschen haben mit solchen oder ähnlichen Gedanken zu kämpfen. Warum sieht ein anderer besser aus als ich, ist klüger, erfolgreicher, beliebter, hat nicht ein so schweres Schicksal zu tragen, usw. Aber eben nicht das, was anderen aufgetragen ist, was andere als Ausstattung für ihr Leben mitbekommen haben, bringt mich zu mir selber, zum Ideal meines Lebens, sondern allein das, was Gott mir anvertraut hat. Wenn ich einmal Rechenschaft ablegen muss, dann fragt mich Gott nicht, warum ich nicht geleistet habe, was dieser oder jener geleistet hat, warum ich nicht eine Mutter Teresa, ein Franziskus war, sondern warum ich nicht Julia, Florian oder wie immer ich heißen mag war.

Die zweite Versuchung ist mangelndes Vertrauen und Angst vor Gott. An dem Mann mit dem einen Talent zeigt sich: ein krankes Gottesbild macht krank. Es vollzieht hier so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Jesus korrigiert dessen verqueres Gottesbild nicht, weil es wohl zwecklos ist. Der Gott oder besser Götze, an den er glaubt, macht aus ihm das, was er sich über Gott vorstellt. Die Angst und das mangelnde Vertrauen lähmen ihn, lähmen sein Leben, sein ganzes Dasein, so dass es steril und fruchtlos bleibt.

Ein letztes will ich nennen. Der Talentvergräber ist beherrscht von einem alles Risiko vermeidenden Sicherheitsdenken. Er glaubt an einen Buchhaltergott, bei dem man sich nicht den geringsten Fehler erlauben darf. Daher meint er: Wenn ich nichts tue, kann ich auch keinen Fehler machen; zwar kann ich mein Talent nicht vermehren, aber eben auch nicht verlieren. Das Resultat ist: gerade weil er keinen Fehler machen will, macht er alles falsch.

Fehler, Versagen, Scheitern – all das gehört zu unserem Leben. Jesus verkündet uns gerade keinen Gott, vor dem wir uns all das nicht erlauben dürften. Jeder von uns macht Fehler, lädt Schuld auf sich, geht Um- und oft auch Irrwege. Aber vor Gott ist nicht das entscheidend, sondern dass wir überhaupt auf dem Weg sind, und zwar zu Ihm, Gott, und darin zu unserer eigentlichen Berufung. Diese zu suchen, zu finden und zu leben, mit unseren Stärken, aber auch mit unseren Schwächen, Fehlern und Sünden – das ist es, worauf es Gott ankommt. Wenn wir so mit einer großen Entschiedenheit zu leben versuchen, können wir recht gelassen auf unseren Tod zugehen und am Ende unser ganzes Leben mit seinem Licht und seinem Schatten Gott übergeben und hoffen, dass auch wir das Wort zu hören bekommen: „Du warst ein tüchtiger und treuer Diener. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn.

 Pfr. Bodo Windolf

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