Predigt vom 14. Dezember 2008

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Glück – und geistliche Vater- und Mutterschaft"
Predigttext

3. Adventssonntag 2008  14.12.2008
Jes 61,1-2a.10-11;      1 Thess 5,16-24;         Joh 1,6-8.19-28 

Glück – und geistliche Vater- und Mutterschaft

„Freuet euch zu jeder Zeit!“ Mit diesen Worten aus der Feder des Apostels Paulus  hat unsere heutige 2. Lesung am Sonntag „Gaudete“ begonnen. Man fragt sich: Kann es eigentlich eine unsinnigere Aufforderung geben als die, man solle sich doch gefälligst freuen? Freude kann doch nicht befohlen werden! Ist sie nicht entweder da oder nicht da, je nachdem, in welcher Situation und welchen Umständen ich mich gerade befinde? 

Bevor ich dieser Frage nachgehe, möchte ich eine moderne Variante dieses zunächst einmal befremdlichen Imperativs zitieren. 2001 erschien in Frankreich der Bestseller „L`euphorie perpétuelle. Essai sur le devoir de bonheur“ von Pascal Bruckner. Der deutsche Titel lautet: „Verdammt zum Glück. Der Fluch der Moderne“. Die Grundthese des Autors lautet: Es gibt heute eine Verpflichtung zum Glücklichsein, deren Folge eine Banalisierung des Glücksbegriffs und damit eine Banalisierung der Alltagskultur und unseres Lebens ist, die mehr und mehr wie ein Fluch auf dem Leben unzähliger Menschen lastet. Ich darf ihn zitieren: „Von Kindesbeinen ist ihnen (den Menschen des 20. Jahrhunderts) gesagt worden: Seid glücklich, denn man hat heutzutage keine Kinder mehr, um ihnen Werte oder ein geistiges Erbe zu vermitteln, sondern um die Zahl der Freudenstrahlenden zu vermehren. Seid glücklich! Gibt es … einen paradoxeren, schrecklicheren Befehl? Er drückt ein Gebot aus, … (das) kein rechtes Ziel hat. Wie soll man wissen, ob man glücklich ist? Wer legt die Norm fest? Warum muss man es sein, weshalb wird die Empfehlung zu einem Befehl? Und was soll man denen antworten, die kläglich eingestehen: ‚Ich schaffe es nicht’?“ Und so heißt es weiter: Glück ist „zu einem Werbeslogan verkommen. Glücklich zu sein ist ein gesellschaftliches Pflichtprogramm geworden, dem der moderne Mensch nachjagt, wohl wissend, dass seine Nichterfüllung einem persönlichen Scheitern gleichkommt. So wie er sein Gesicht nach einem ästhetischen Leitbild zuschneiden lässt, den Busen mit Silikon formt, sich in Fitness-Studios martert, seine Liebesnächte benotet, hat er auch das Glück als ein zu erreichendes Ziel zu verstehen. Trauer, Schmerz, Versagen sind ein Makel. Die Verpflichtung zum Glück bewegt die größte Industrie unserer Zeit, und sie ist zugleich die neue ethische Ordnung.“ 

Warum ist das so? Wie kann das, was wir uns doch alle wünschen, nämlich glücklich zu sein, zu einem Fluch werden? Von Chesterton, dem genialen, katholisch gewordenen englischen Zeitkritiker und Humoristen der vorletzten Jahrhundertwende, stammt der Satz: Die heutige Welt ist voll von „verrückt gewordenen christlichen Vorstellungen“. D.h. sie sind aus ihrem ursprünglichen Kontext weggerückt worden, tauchen aber in säkularem Gewand irgendwo und irgendwie in unserer entchristlichten Gesellschaft wieder auf und spielen auf diese Weise im doppelten Sinn des Wortes tatsächlich ver-rückt.

Auf unser Thema angewandt: Die christliche Hoffnung auf eine unvorstellbar große Freude im ewigen Leben bei Gott ist wiedergekehrt im säkularen Gewand rein irdischer Glücksverheißungen. Man will das Glück nicht irgendwann in einem Jenseits, das es womöglich gar nicht gibt, sondern hier und jetzt und sofort und daher das Leben bis zur Neige auskosten, um allerdings irgendwann festzustellen, dass die Glücksverheißungen auf Dauer allesamt nicht halten, was sie versprechen.

Und so spricht Bruckner von drei Paradoxa, auf die der Plan, unbedingt glücklich sein zu wollen, stößt: 1. ist das Ziel so verschwommen, dass viele gar nicht wissen, was denn wirklich Glück ist und was die rechten Mittel und der rechte Weg sind, um es zu erlangen. Man jagt falschen Glücksversprechungen nach, die 2. zu der Erfahrung führen, dass das häufig im Materiellen oder im Genuss gesuchte Glück in Langeweile und Überdruss umschlägt, sobald man glaubt, es erlangt zu haben. Und 3. macht das so verstandene Glück einen so großen Bogen um das Leiden, dass viele Menschen ihm wehrlos gegenüberstehen, sobald Schmerzvolles in ihrem Leben auftaucht.

Gerade der letzte Punkt erscheint mir zentral. Von Augustinus stammt der Satz: „Wer Glück will, muss erwerben, was ihm kein Schicksalsschlag entreißen kann.“ (Weimar, Buch der Zitate, 142) Daher ist die Frage: Habe ich, und wenn nicht, wo finde ich die Ressourcen, um Unglück, Enttäuschung, Scheitern, Versagen, Schicksalsschläge, Krankheit, Tod zu bestehen? Und die weitere Frage ist: Wo und wie finde ich nicht jenes Glück, das kurzfristig Spaß und Lust bereitet, aber auf lange Sicht in Frustration und Sucht nach dem immer neuen Kick mündet,  sondern wo finde ich die wahre Freude, die auch mitten in so mancher Dunkelheit des Lebens standhält und überdies warten kann auf Vollendung und Erfüllung jenseits der Todesschwelle? Wie finde ich es für mich? Wie kann ich als Vater, als Mutter, als Großeltern den Weg dahin an die Kinder weitergeben, die so oft zu Opfern falscher, ja sogar zerstörender Glücksverheißungen werden? 

Schauen wir dazu auf die Gestalt des Täufers Johannes. Im heutigen Evangelium wird er einfach beschrieben als von Gott gesandter Zeuge: „Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht“, also für Jesus Christus.

Das Wort Zeuge hat denselben Wortstamm wie das Verb zeugen. Immer wieder höre ich von Vätern und Müttern, dass es zu den größten Glücksmomenten ihres Lebens zählt, wenn sie das Kind, ihr Kind in Händen halten, das sie gemeinsam gezeugt und geboren, dem sie gemeinsam das Leben geschenkt haben. Johannes ist Zeuge als jemand, der ehelos lebt, und doch ist auch er durch sein Zeugnis zeugend. In seinem Zeugnis verwirklicht sich so etwas wie eine „geistliche Vaterschaft“. Durch sein Zeugnis zeugt und gebiert er Menschen zum Glauben, zum Glauben an Gott, zum Glauben an Jesus Christus, zum Glauben an jenes wahre Licht, das uns den Weg zum unzerstörbaren Glück, den Weg zur wahren Freude, den Weg zur Kraft und Freude auch noch inmitten von Enttäuschung und Leid weist.  

Genau das ist es auch, was unsere Kinder und Jugendliche so dringend nötig haben. Uns allen ist bewusst, dass es ja in keiner Weise genügt, Kinder nur biologisch zu zeugen. Eltern sind in dem Maß wirkliche Eltern, in dem sie zugleich geistliche Väter und Mütter werden. In einer Zeit, in der unsere Kinder und Jugendlichen mit so unendlich viel geistigem Schrott zugemüllt werden; in einer Zeit, in der die Bildungspolitik alles Mögliche tut, um den pisakompatiblen und in erster Linie wirtschaftstauglichen Einheitsmenschen zu produzieren – braucht es Eltern, Großeltern, Lehrer, Erzieher, Priester, die den Kindern echte Bildung schenken und vermitteln: Bildung des Geistes durch gute Literatur, gute Musik, Kunst, die den Namen verdient; Bildung des Herzens durch Vermittlung der Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Böse, durch Vermittlung von Güte, Hilfsbereitschaft, Rücksicht, Selbstlosigkeit, Barmherzigkeit; und Bildung der Seele durch das Einpflanzen von Glaube, Hoffnung und Liebe in die Herzen der Kinder und Jugendlichen, durch das Einpflanzen von Gott, Jesus Christus und seiner Botschaft in das Leben der jungen Menschen. Ihnen und anderen auf diese Weise Gott zu schenken durch das persönliche Zeugnis und Vorbild als Eltern, Lehrer oder in welcher Rolle auch immer, das heißt, Zeuge zu sein wie Johannes der Täufer; heißt, gleichsam ein zweiter Johannes der Täufer für Kinder und andere zu sein, heißt, eine geistige und geistliche Vater- und Mutterschaft zu gewinnen, die für einen selbst zu Glück und Freude wird.

An dieser Stelle ist es mir ein außerordentliches Bedürfnis, mich bei meinen eigenen Eltern und bei so vielen anderen Eltern und Großeltern zu bedanken, die ihren Kindern genau dies gewesen sind: nämlich geistige und geistliche Väter und Mütter. 

Von hier aus können wir nun auch Paulus besser verstehen mit seiner Aufforderung: „Freut euch zu jeder Zeit!“ Wer Gott und Jesus Christus in sein Leben einlässt durch Gebet, durch die Feier des Gottesdienstes, durch Dankbarkeit ihm gegenüber, durch das Zeugnis für ihn – der wird die dauerhafte Freude finden, nach der wir im Grunde alle suchen und uns sehnen. Diesen Weg dahin benennt Paulus selbst, und daher soll er das letzte Wort haben: „Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Seid dankbar! Meidet das Böse! Prüft alles, das Gute (auch unserer Zeit aber) behaltet.“

 Pfr. Bodo Windolf

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