Predigt vom 26. Dezember 2008

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Karl Leisner - ein Märtyrer unserer Zeit"
Predigttext

2. Weihnachtsfeiertag 2008

Karl Leisner – ein Märtyrer unserer Zeit 

Stephanus – der erste in einer unabsehbaren Reihe von Christen, die ihr Leben für den Glauben an Jesus Christus gelassen haben. Weil er der erste ist, begeht die Kirche sein Fest am Folgetag des Weihnachtsfestes. Heute will ich allerdings über einen anderen, einen Märtyrer unserer Zeit sprechen, und zwar aufgrund eines Anlasses mit Bezug auf unsere Pfarrgemeinde. Vor etwa vier Wochen haben Pater Bayer und ich mit einigen Jugendlichen und Erwachsenen aus unserer Pfarrei mit Erlaubnis des Bischofs im Pfarrhof eine kleine Kapelle eingeweiht, die unserem persönlichen und gemeinsamen Gebet sowie ganz kleinen gottesdienstlichen Feiern dienen soll. Für diese Kapelle haben wir, weil sie auch immer wieder von unseren Ministranten benutzt wird, den seligen Karl Leisner als Patron ausgesucht. 1988 hat ihn Papst Johannes Paul seliggesprochen und zum Patron insbesondere der Jugend erkoren. Über ihn, dessen Leben einen besonderen Bezug zum Stephanustag hat, möchte ich ein wenig erzählen. Wenige Kilometer von hier, im KZ Dachau, verbrachte er die letzten 6 Jahre seines Lebens. Im KZ wurde er – ein absolut einmaliger Fall – unter dramatischen Umständen von einem französischen Bischof zum Priester geweiht. Am Stephanustag des Jahres 1944 zelebrierte er, schon vom Tod gezeichnet, in einer der Priesterbaracken seine erste und einzige hl. Messe. Er erlebte noch die Befreiung durch die Amerikaner, und erlag am 12. August im Sanatorium Planegg seinem Tuberkuloseleiden. 

Ich will versuchen, einige Grundzüge seiner bemerkenswerten Persönlichkeit nachzuzeichnen. Als am 28. Februar 1915 die Glocken der Maria-Himmelfahrt-Kirche in Rees am Niederrhein nahe der niederländischen Grenze läuteten, erblickte Karl Leisner als Ältester von 5 Geschwistern das Licht der Welt. Karl, der ab dem 6. Lebensjahr in Kleve seine Kinder- und Jugendjahre erlebt,  wird beschrieben als ein aufgewecktes, ausgelassenes Kind, sprühend vor Lebensfreude. Besonders sein hellwachen Augen, die ein verborgenes Licht ausstrahlen, fällt vielen auf. Mit 12 Jahren entdeckt er gleichsam seine erste Berufung. Einer von etlichen herausragenden Seelsorgern, die sein Leben begleiteten und prägten, schlug die Gründung einer Jugendgruppe vor, die sich im Februar 1927 zum ersten Mal in einem Lokal versammelte und ihm das Amt des Schriftführers übertrug. Aus den Protokollen der Zusammenkünfte, die uns für eine Jugendgruppe etwas seltsam und wie typisch deutscher Formalismus vorkommen, entwickelt sich ein Tagebuch, das bis zum Lebensende Karls auf 27 Hefte kommt und uns teils großartige Einblicke in die innere Entwicklung und Reifung eines großherzigen jungen Menschen und eines der Leuchten in dunkler Zeit gewähren.

Karl wird zum natürlichen Führer der sprunghaft wachsenden Gruppe, sprudelnd von Unternehmungsgeist, Abenteuerlust und immer neuen Ideen. Später wird er vom Bischof zum Diözesanjugendführer des Bistums ernannt. 

Neben einer von daheim mitbekommenen tiefen und natürlichen Gläubigkeit und Frömmigkeit verfolgt er schon früh mit großer Besorgnis die politischen Entwicklungen. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Hindenburg und die Machtergreifung erlebt er als nationale Katastrophe. Schon zu dieser Zeit, als gerade 18-Jähriger, gehört er zu einer kleinen Minderheit von Deutschen, die das Verbrecherische des Regimes klar durchschauen. Eine Eintragung vom 2. Mai 1933 zeigt deutlich seine innere Haltung: „Ich bin in der Oberprima, habe also das letzte Jahr der Penne zu durchlaufen. Ja, es wird allerhand zu knacken und zu beißen geben. Mancher verfluchte Nazilehrer wird … mich hindern wollen, mein Abitur fein zu bauen. Aber ich bleibe meiner Überzeugung treu. Erst in Sturm und Feuer zeigt`s sich, ob die Überzeugung stark … und treu wie Gold ist. Ich bleibe meinem politischen Ideal treu. Aber wie soll ich mich zu Hitler und den Nazis stellen? Soll ich mitlaufen, mitschreien, mitziehen? Nein, das tue ich nicht … Der Drill, die Schnauzerei, die Lieblosigkeit gegen die Gegner, ihre fanatische, tamtamschlagende Nationalitätsbesessenheit kann ich nicht teilen. Ich bin aber trotzdem Deutscher und liebe mein Vaterland und meine Heimat. Aber ich bin auch und an erster Stelle Katholik.“ (Lejeune, 70f)

Es ist sein katholisches Elternhaus und der hier empfangene tiefe Glaube, was ihn immun macht gegen die braune Pest.

Nun, er schaffte das Abitur, und es kam die Stunde der Entscheidung dessen, was er schon länger in sich bewegte, nämlich ob er Priester werden solle. 1934 tritt er ein ins Priesterseminar von Münster, wobei er aber noch einen langen und auch schmerzlichen Weg zur endgültigen Entscheidung zu gehen hat. Als er nach vier Semestern zwei Freisemester in Freiburg verbringt, lernt er die Tochter seiner Vermieter kennen, Elisabeth. Die andere große Berufung, eine Ehe und Familie zu gründen, steht ihm unversehens als konkrete Möglichkeit vor Augen. Die Frage, was Gott von ihm will, zerreißt ihn fast, aber es ist ein absolut redliches Ringen, bei dem ihm Elisabeth selbst hilft, den Willen Gottes für sein Leben zu finden. Ein Zeugnis dieses Ringens ist die Tagebuchaufzeichnung von Jan. 1939, ein herzzerreißendes Gebet, in dem er zu Gott spricht: „Gott, Du bist mein Freund? Du gewaltiger, geheimnisvoller, dunkler – Gott. Darf ich heute mein Herz vor Dir ausgießen? Heute muss ich endlich aussprechen meine Trauer. Ich klage mein Herz vor Dir aus …“ Und er stellt Fragen an einen Gott, der den Menschen aus dem Paradies verstoßen hat, so viel Unheil zulässt, so viel Böses, ein oft so schweres Ringen des Menschen mit sich selbst.

All diese Fragen aber münden in einen  großen inneren Frieden. Mitte 1938 ist er nach vielem Auf und Ab so weit, um der Liebe zu Gott willen auf all das zu verzichten, was als tiefe Sehnsucht auch in ihm lebt.

Im März 1939 wird er zum Diakon geweiht und weiß sich ganz im Einklang mit Gott. Die letzte Prüfung seines Lebens beginnt am 9. Nov. desselben Jahres nach dem misslungenen Attentat Georg Elsers auf Hitler hier in München. Aufgrund eines schon fortgeschrittenen Lungenleidens ist er in einem Sanatorium in St. Blasien im Schwarzwald. Als er einem Mitpatienten gegenüber die Bemerkung fallen lässt: „Schade, dass der Führer nicht dabei war“, wird er an den Ortsgruppenleiter verraten und kommt über das KZ Sachsenhausen im Dez. 1940 als Nummer 22356 nach Dachau. Sein Glaube ist es und das Gebet, was ihm Kraft und eine innere frohe Sicherheit gibt, die sich auf viele seiner Mitgefangenen auswirkt. Als 1944 der französische Bischof von Clermont-Ferrand Gabriel Piguet ins KZ kommt, ist dieser bereit, dem Diakon Karl Leisner seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen und ihn zum Priester zu weihen, wenn er die Erlaubnis des Ortsbischofs Faulhaber und die des Heimatbischofs von Galen erhalte.

Die junge Ordensschwester Josefa Imma Mack, die wöchentlich einmal von ihrer Oberin in den Laden des KZ geschickt wird, um Blumen zu kaufen, schmuggelt regelmäßig Nahrung, Hostien und Wein ins Lager. Sie kann es regelmäßig tun, da die Nazi-Schergen dieser jungen Frau nicht zutrauen, auf diese Weise immer wieder ihr Leben zu riskieren. Über sie gehen auch die Briefe an die Bischöfe hinaus und die deren Antwortbriefe hinein in die Hölle von Dachau.

Mit Hilfe eines deportierten Juden, der draußen Geige spielt, um die SS-Wachposten anzulenken, russischer und anderer Gefangener, die den Bischofsring und –stab schmieden, und in der Kleiderkammer das Nötige zum Nähen der liturgischen Kleidung besorgen, findet am 17. Dez. 1944 die Weihe im Priesterblock von Dachau statt. Heute vor 64 Jahren zelebrierte Karl Leisner am Stephanustag seine erste und einzige hl. Messe. Am 29. April 45 erlebte er noch die Befreiung. Die letzte Tagebucheintragung lautet ganz im Geist des hl. Stephanus: „Segne auch, Höchster, meine Feinde!“ 

Darin erweist er sich als ein würdiger Sohn des hl. Stephanus, der ebenfalls sterbend seinen Feinden vergeben hat. Von diesem großen Zeugen des Glaubens können wir lernen, stets unserem Gewissen treu zu bleiben, nicht mit den Wölfen zu heulen und Zeugnis zu geben für unseren Glauben in einer Zeit, in der wir zwar nicht verfolgt werden, aber doch mehr und mehr eine Minderheit bilden.

 Pfr. Bodo Windolf

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