Predigt vom 7. Juni 2008

St. Severin Garching

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Prediger:
Kaplan Claus Bayer,
St. Severin Garching 

Thema:

"Jesu Umgang mit den Sündern"
Predigttext

Predigt zum 10. Sonntag Jk, 7./8. Juni 2008

in Garching u. Hochbrk; Ev.: Mt 6,24-34

Liebe Mitchristen,

Zu den Besonderheiten, die Jesus von den religiösen Gruppierungen und Strömungen seiner Zeit unterscheidet, gehört sein Umgang mit den Sündern. Während die Pharisäer den Kontakt mit öffentlichen Sündern meiden, um sich nicht selbst unrein zu machen, ist Jesus nicht nur bereit, sich von Sündern einladen zu lassen – er beruft sie sogar in seine engere Nachfolge, wie wir gerade gehört haben.

In diesem beispiellosen Verhalten Jesu sehen viele einen Aufruf an die Kirche unserer Zeit, sich besonders den sozialen Randgruppen, den Geächteten und Ausgegrenzten zuzuwenden. Nun gehört es sicherlich zu unserem Auftrag als Christen, uns für die Armen und Benachteiligten einzusetzen. Aber nicht aus Solidarität mit den Sündern, sondern weil wir uns dem Gebot der Nächstenliebe verpflichtet wissen.

Dass Jesu Verhalten nicht in erster Linie soziale Gründe hat, zeigt das heutige Evangelium in aller Deutlichkeit. Denn zu den Sündern, von denen da die Rede ist, gehören ja die Zöllner, von denen Jesus einen sogar in seine Nachfolge beruft.

Nun waren die Zöllner alles andere als arm und benachteiligt. Im Gegenteil.

Als Steuereintreiber im Auftrag der Römer waren sie zumeist sehr wohlhabend und standen auf der Seite der politischen Machthaber. Sie waren bei ihren Zeitgenossen deshalb verhasst, weil sie die Steuerbeträge oft willkürlich in die Höhe trieben, um möglichst viel für sich selbst rauszuholen.

Jesus weiß um die Ungerechtigkeit und Rücksichtslosigkeit der Zöllner. Sie sind keine Opfer gesellschaftlicher Diskriminierung, sondern Täter. Die Berufung des Steuereintreibers Matthäus geschieht also nicht aus sozialen Motiven, sondern hat einen anderen Grund: Jesus wendet sich einem öffentlichen Sünder zu, um seine Macht über die Sünde zu erweisen. Selbst der größte Sünder kann gerettet werden, wenn er auf Jesus hört und sich bekehrt. Die Berufung des Matthäus ist ein eindrückliches Beispiel hierfür: Kaum hört er die Aufforderung Jesu, gibt er sein bisheriges Leben auf, um dem Herrn nachzufolgen. Aus dem verhassten Steuereintreiber wird der spätere Evangelist, dem wir, so sagt uns die Tradition, das Matthäusevangelium verdanken.

Für Jesus wie für die gesamte jüdische Tradition vor ihm gilt: Sünde ist nicht in erster Linie ein soziales Problem, verursacht etwa durch materielle Benachteiligung oder Ausgrenzung. Deshalb lässt sich Sünde auch nicht durch soziale Maßnahmen aus der Welt schaffen.

Sünde ist eine theologische Wirklichkeit, denn Sünde betrifft immer das Verhältnis von Gott und Mensch. Ob sich ein Mensch nun gegen eine Sache, gegen einen anderen Menschen oder direkt gegen Gott wendet, ist dabei letztlich zweitrangig. Denn jeder, der die Ordnung der Dinge oder die Würde des Menschen missachtet, der missachtet auch den, der alles erschaffen hat und jeden Menschen liebt wie ein Vater sein Kind. Jede Sünde ist praktizierte Gott‑Losigkeit - im Sinne einer Loslösung von Gott. Wenn es stimmt, dass wir Menschen für die Gemeinschaft mit Gott und untereinander geschaffen sind; wenn es stimmt, dass wir nur in dieser Gemeinschaft glücklich werden können, dann ist Sünde als Abkehr von Gott nicht ein Übel neben andern, sondern das Übel schlechthin. Und genauso sieht es Jesus. Weit davon entfernt, die Sünde zu verharmlosen, bezeichnet er sie im heutigen Evangelium als eine Krankheit. In dieser Beurteilung stimmt er mit den Pharisäern überein. Was ihn unterscheidet, ist seine Haltung gegenüber den Sündern. Jesus gibt sie nicht auf, er schreibt sie nicht ab, sondern eröffnet ihnen einen neuen Weg zum Heil. Das kann nur er - weil er als Sohn Gottes Herr über die Sünde ist.

Jesus nimmt also die Sünde sehr ernst. Aber er kapituliert nicht vor ihr. Gerade ihretwegen ist er ja in die Welt gekommen: „Nicht der Gesunde braucht den Arzt, sondern der Kranke“. Der Name „Jesus“ heißt „Gott rettet“. Jesus ist der Retter schlechthin, der Heiland, der uns vom Grundübel der Gottes- und Menschenferne befreien will.

Es hat Zeiten geben, da wurde die Sündhaftigkeit des Menschen stark betont. So stark, dass darüber manchmal die Barmherzigkeit Gottes auch mit den Sündern in Vergessenheit geriet. In unserer heutigen Zeit laufen wir Gefahr, ins andere Extrem zu verfallen. Ein Sündenbewusstsein, wie es das heutige Evangelium voraussetzt, ist bei vielen Christen nicht mehr vorhanden. Der starke Rückgang der Beichtpraxis hat sicherlich auch mit diesem Bewusstseinswandel zu tun. So kann man immer wieder hören: Beichten - das brauch ich nicht – schließlich hab ich ja niemanden umgebracht und auch keine Bank überfallen.

Dass die meisten von uns keine Schwerverbrecher sind, ist sicherlich richtig. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir keine Sünder wären. Sünde beginnt nicht erst da, wo jemand ein Kapitalverbrechen begeht. Sünde meint eine innere Zerrissenheit, die uns von Gott und von den Menschen trennt.

Das Buch Genesis berichtet vom Neid Kains, der schließlich zum ersten Mord führt. Neid und Eifersucht haben nicht immer solch gravierenden Folgen, aber kein Mensch ist frei davon.

Wie viele Ehen, Familien, Freundschaften werden zerstört, weil Menschen es nicht ertragen, dass jemand begabter, intelligenter oder glücklicher zu sein scheint als sie selbst? Das gilt nicht nur für den Neid, sondern für alle schlechten Neigungen, die Teil unserer selbst sind. Die Schwere der Sünde mag variieren, ganz frei davon ist niemand. Alle Menschen leiden an dieser Krankheit. Und niemand von uns kann sich selbst davon heilen.

Dieses Bewusstsein ist für unseren Glauben genauso wichtig wie das Vertrauen auf die Vergebungsbereitschaft Gottes. Während seiner Amerikareise hat Papst Benedikt darauf hingewiesen, dass der christliche Glaube seinen tragenden Grund verliert, wenn der Mensch sein Sünden- und Schuldbewusstein verliert. Wer meint, er sei kein Sünder, der hält sich auch nicht für erlösungsbedürftig – und braucht folglich auch keinen Erlöser. Wer so denkt, für den mag Christus noch irgendwie von Bedeutung sein. Aber das Wichtigste unseres Glaubens kann er nicht mehr nachvollziehen: Dass Gottes Sohn Mensch geworden ist, um uns von Sünde und Schuld zu erlösen.

„Nicht der Gesunde braucht den Arzt, sondern der Kranke“. Als Christen dürfen wir keinen Menschen abschreiben, seien seine Sünden auch noch so groß. Aber wir dürfen Sünde und Schuld auch nicht bagatellisieren, etwa, indem wir sie nur noch als ein soziales Problem verstehen.

Im Exultet zu Beginn der Osternacht singt die Kirche: „Oh glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden“. Nur wer beides bejaht: die uns allen gemeinsame Verstrickung in Sünde und Schuld - und ihre Überwindung durch Jesus Christus - dem wird die Freude zuteil, die wir im Exultet besingen. Amen.

Kaplan Claus Bayer

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