Predigt vom 11. Januar 2009 (Patrozinium St. Severin)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Wahrheit -ist sie für uns erkennbar?"
Predigttext

Patrozinium St. Severin 11.01.2009 – Taufe des Herrn

Wahrheit – ist sie für uns erkennbar?

Heute, am Tag des Patroziniums unserer Pfarrei St. Severin, möchte ich über ein nicht ganz einfaches Thema sprechen, allerdings ein Thema, das so wichtig ist, dass mit ihm unser Glaube steht und fällt. Ich möchte die Frage nach der Erkennbarkeit von Wahrheit stellen, und zwar nicht nur im Bereich der Naturwissenschaft, in der sich eine These empirisch nachweisen oder widerlegen lässt, sondern auch im Bereich von Glaube und Religion. Mit anderen Worten geht es um die Frage: Ist eigentlich wahr, was wir als Christen glauben und im Glaubensbekenntnis bezeugen, erstmals geschehen bei unserer eigenen Taufe, immer neu wiederholt in der sonntäglichen hl. Messe? Ist wahr, was uns Altes und Neues Testament über Gott, Mensch und Welt zu offenbaren vorgeben? Ist daher wahr, wenn wir Gott sehr bestimmt als Einen und Einzigen, aber in den drei Personen von Vater, Sohn und Heiliger Geist bekennen, Jesus Christus als Mensch und Gott zugleich und die Erlösung von Sünde und Tod durch Ihn, den Gekreuzigt-Auferstandenen? Ist all das wahr, worauf der hl. Severin und unzählige andere Heilige und Gläubige ihr Leben gebaut haben? Ist wahr, was wir jetzt in dieser hl. Messe feiern, oder ist es nur eine feierliche, unsere Gefühle erhebende Veranstaltung, eine besondere Art religiöser Wellness, die genauso gut einen anderen Inhalt haben könnte, Hauptsache es tut mir irgendwie gut?

Als Jesus damals vor 2000 Jahren vor Pilatus stand und vor ihm bezeugte: „Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, um von der Wahrheit Zeugnis zu geben“ (Joh 18,37), bekam er nur die resignierte Antwort: „Was ist Wahrheit?“ Die Frage blieb ihm, dem aufgeklärten Römer, unbeantwortbar, und so steht Pilatus für den modernen Menschen unserer Zeit, der die Wahrheitsfrage in Sachen Religion und Glaube als unentscheidbar auf sich beruhen lässt, ja im Grunde sogar verbieten möchte.

Als Beispiel sei der bekannte Münchener Soziologe Ulrich Beck genannt, der in seinem neuesten Buch „Der eigene Gott. Von der Friedensfähigkeit und dem Gewaltpotential der Religionen“ die Frage gestellt, was geschehen muss, um das Gefahrenpotential der Religionen einzudämmen. Seine Antwort lautet, dass in den Religionen die Wahrheitsfrage nicht mehr gestellt werden dürfe. Zitat: „Inwieweit Wahrheit durch Frieden ersetzt werden kann, entscheidet über die Fortexistenz der Gesellschaft.“ Damit will er feststellen: Die Überzeugung, der eigene Glaube sei wahr und damit ein davon abweichender Glaube falsch, sieht er mit vielen anderen unserer Zeit als die Ursache für Intoleranz, Gewalt und Krieg zwischen Religionen und Völkern. Und so sucht er das Heil in einer Individualisierung des Gottesglaubens, d.h. in einem „subjektivem Polytheismus“, wie er schreibt. Nur wenn jeder sich seinen eigenen Gott und seinen eigenen Glauben zurechtlege – so wie man sich wie im Supermarkt aus der Vielzahl der Angebote die Zutaten für sein ganz persönliches Menü zusammenstellt – und nur, wo man dies ohne jeden Anspruch auf Wahrheit tue, sei die „Bombe“ Religion zu entschärfen und ihr Intoleranz- und Gewaltpotential in den Griff zu bekommen.

Für den ersten Moment klingt dies überzeugend. Demnach ist heute nur noch ein einziges Dogma erlaubt, nämlich: Du darfst letztlich an alles glauben, nur nicht daran, dass das, was du glaubst, für alle Menschen wahr ist. Jeder hat, wie gesagt, seinen eigenen Gott, seinen eigenen Glauben, seine eigene Wahrheit. Alles andere ist von Übel.

Was sich so überaus tolerant und einnehmend anhört, hat nun freilich auch seine Kehrseite. Auch dieses so liberal scheinende Dogma kommt nicht ohne Intoleranz und auch nicht ohne Wahrheitsanspruch aus. Die Intoleranz gilt nun all jenen, die ihren Glauben einfach für wahr halten. Das zu meinen ist die Häresie unserer Tage, eine Todsünde gegen heutige politcal corectness. Papst Benedikt spricht diesbezüglich vollkommen zurecht von einer „Diktatur des Relativismus“, von einer Diktatur religiöser und ethischer Beliebigkeit, die eine ganz eigene Art von Unduldsamkeit pflegt.

Noch nachdenklicher aber muss die innere Widersprüchlichkeit der von Beck vertretenen Überzeugung machen, denn auch sie kommt nicht ohne Wahrheitsanspruch aus. Dass Wahrheit für uns letztlich unerkennbar sei, wird hier als wahr behauptet. Dass die Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheitsfrage der Weg zum Frieden sei, wird als wahr behauptet. Dass Frieden etwas unbedingt Anzustrebendes sei, wird als wahr behauptet. Aber ist gerade letzteres so selbstverständlich? Was will der Relativist jenem entgegnen, der sagt: Frieden – das ist nur etwas für Schwächlinge. Das Recht des Stärkeren war und ist das Prinzip der Evolution, das heißt des Fortschritts. Das Christentum hat die Welt vergiftet mit einer Sklavenmoral, die durch Rücksicht auf die Kleinen, Schwachen, Bedürftigen die Entwicklung hin zum neuen Menschen der Zukunft verhindert hat. Solche und ähnliche Gedanken sind alles andere als aus der Luft gegriffen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat Friedrich Nietzsche sie formuliert, zum Aufstand gegen das Christentum geblasen und so, ohne es zu wollen, dem späteren Herrenmenschentum der Nazis die theoretische Begründung geliefert.

Das aber zeigt nun sehr deutlich: Wer die Wahrheitsfrage zu Grabe trägt, ist der Totengräber genau jenes Anliegens, dem er auf diese Weise zu dienen meint.

Freilich – die Wahrheit braucht einen Verbündeten, ohne den sie in der Tat zu einer Waffe der Gewalt werden kann. Wo ein Wahrheitsanspruch sich mit Macht und Zwang verbündet, um sich auch gegen die Freiheit eines Menschen durchzusetzen, wird sie pervertiert. Sie wird zu einer besonders widerlichen Form der Lüge, denn echte Wahrheit will überzeugen, nicht disziplinieren, und muss daher um ihrer selbst willen die Freiheit des anderen achten.

Wer ist dieser Verbündete? Er ist die Liebe. Ohne Liebe droht Wahrheit tatsächlich die Fratze fanatischer Intoleranz anzunehmen. Das ist das Körnchen Wahrheit an der These Becks. Ihre Verbündete muss genau jene Liebe sein, von der das heutige Evangelium spricht: „Du bist mein geliebter Sohn“, sagt die Stimme des Vaters. Diese Liebe Gottes ist niemals fanatisch; sie verhindert nicht, sondern sie ermöglicht die Freiheit des Menschen. Diese dem Sohn Jesus Christus zugesprochene Liebe ist keine andere als jene, die uns alle in unserer Taufe zu Söhnen und Töchtern Gottes gemacht hat; ist keine andere als jene, die alle Menschen in die Liebesgemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott ruft.

Jesus Christus, der von sich gesagt hat: „Ich bin die Wahrheit“, kommt zu uns in der Wehrlosigkeit einer Liebe, der nichts ferner liegt als Zwang und die auf diese Weise ganz zart um uns Menschen wirbt: sie kommt in der Ohnmacht eines Kindes in der Krippe; sie kommt in der Ohnmacht eines unschuldig Verurteilten, der weiß: Die Wahrheit wird sich kraft ihrer selbst durchsetzen, niemals kraft äußerer Gewalt. Sie wird sich durchsetzen kraft der Liebe, kraft der gekreuzigten Liebe, die am Ende stärker sein wird als alle Macht und Gewalt dieser Erde.

Wo die Kirche dieses Vorbild ihres Herrn verraten hat und in ihrer Geschichte die Wahrheit mit Gewalt durchzusetzen versuchte, hat sie schweres Unrecht an Menschen verübt und ist ihrem eigenen Herrn zutiefst untreu geworden. Wo sie aber die Wahrheit in der Liebe Jesu Christi verkündet, da braucht niemand Angst vor möglicher Gewalt zu haben. Im Gegenteil: auch ohne Waffen und Gewalt bleibt sie ein mahnender Stachel im Fleisch einer Gesellschaft, die ohne den christlichen Glauben nicht friedlicher, sondern im Gegenteil kälter, egoistischer, gieriger, zynischer, friedloser, liebloser wird. Immer öfter ist sie im chaotischen Stimmengewirr unserer Zeit die einzige, die noch die Stimme für die Wahrheit von Menschenwürde, Menschenrechten, insbesondere das Lebensrecht eines jeden Menschen von seinem Beginn bis zu seinem natürlichen Ende erhebt; die dem Zynismus politischer und wirtschaftlicher Systeme entgegentritt, die durch ihre Gier nach Macht und Profit die Schwachen und Wehrlosen ausbeuten; die noch sagt, dass der Mensch bestimmte Dinge einfach nicht darf, will er nicht in Barbarei verfallen.

Die Wahrheit, die wir als Christen glauben, zettelt nicht Kriege und Unfrieden an, sondern hilft, Hass, Gewalt und Unversöhnlichkeit unter den Menschen zu überwinden; und sie hilft dazu, weil sie wahr ist. Bitten wir am heutigen Tag auf die Fürbitte des hl. Severin, dass diese Wahrheit  in der Liebe Christi immer mehr unser Leben präge und verwandle und mit und durch uns auch die Menschen um uns herum.  

 Pfr. Bodo Windolf

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