Predigt vom 12. Juli 2009

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Der Hl. Benedikt und Europa"
Predigttext

15. Sonntag im Jahreskreis B (2009)

Der hl. Benedikt und Europa

Die Kirche beging gestern, am 11. Juli, das Fest des hl. Benedikt, den Papst Paul VI. vor 45 Jahren, nämlich bei der erneuten Einweihung des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Klosters Monte Cassino, zum Patron Europas erhoben hat. Auch wenn es ungewöhnlich ist, will ich an diesem Sonntag einmal diese große Gestalt unseres Glaubens in den Mittelpunkt der Predigt stellen.  

Ausgehen will ich von der gerade gehörten Aussendungsrede Jesu. Er selbst hat gewollt, dass der christliche Glaube missionarisch ist. Wenn Jesus dabei bestimmt, dass Seine Boten in äußerster Einfachheit nur mitnehmen sollen, was sie auf dem Leib tragen, dann ist das u.a. ein Ausdruck dafür, dass sie weder um irdischer Vorteile willen noch gar mit dem Schwert das Evangelium verkünden sollen. Vielmehr ist dieses selbst ihre ganze und ihre eigentliche Ausrüstung. Das Evangelium wird aus sich selbst wirken, einzig aus der Kraft der Wahrheit. Es wird Umkehr, d.h. ein neues Denken bewirken, in Einzelnen und in der Gesellschaft. Es wird die Dämonen, die in uns und in der Gesellschaft ihr Unwesen treiben, auszutreiben vermögen. Es wird Heil und Heilung wirken in Einzelnen und in einer Gesellschaft, in der es so viel Krankheit und Unheiles gibt. 

Diese Aussendung durch Jesus geschieht wieder und wieder in jeder Generation. Einer der Größten, der sich je dazu hat senden lassen, ist der hl. Benedikt. Wie wenige steht er für die geistigen Wurzeln unseres Kontinents. Welche Bedeutung haben er und sein Orden für die Entwicklung Europas? 

Man hat den Übergang von der heidnischen, griechisch-römisch geprägten Antike nach den Wirren der Völkerwanderungszeit hin zum christlichen Europa mit dem Jahr 529 n. Chr. in Verbindung gebracht. In diesem Jahr ließ der oströmische Kaiser Justinian die über 900 Jahre alte platonische Akademie in Athen schließen. Noch wichtiger aber war die Gründung des Mutterklosters der Benediktiner Monte Cassino, ebenfalls 529.

Die dazu verfasste Regula Benedicti ist geradezu ein Wunderwerk an innerer Balance. Demut und Würde, Strenge und Milde, Gehorsam und Freiheit, Gemeinschaft und Einsamkeit, Hinwendung zu Gott und Hinwendung zur Welt, Gebet und Arbeit sind in ihr zu einer nahezu vollkommenen Ausgewogenheit gelangt. Nicht zuletzt deswegen, aber natürlich vor allem aufgrund ihrer kaum zu überschätzenden Wirkungsgeschichte wurde sie auch als die „erste Verfassungsurkunde Westeuropas“ (Friedrich Heer) bezeichnet. 

Das Lebensthema Benedikts, das sich in seiner Regel widerspiegelt, war die Suche nach Gott. Man hat Gott nicht einfach, sondern man muss Ihn unaufhörlich, bis ans Lebensende suchen, damit der Glaube lebendig bleibt. Weil es Benedikt zuerst um Gott geht, gilt für ihn der Grundsatz: „Dem Gottesdienst darf nichts vorgezogen werden.“ Das ist eine Anweisung gegen den inneren Sog fast aller Menschen. Wir alle neigen dazu, stets der Arbeit, der Freizeit, dem Vergnügen den Vorzug zu geben und am ehesten an Gott zu sparen. Auch der bekannte benediktinische Wahlspruch ora et labora will diesen Trend korrigieren. An erster Stelle soll die Beziehung zu Gott stehen, das Gebet, der Gottesdienst; alles andere ist nachgeordnet, bekommt dadurch aber auch erst die rechte Ordnung in unserem Leben, indem es weder zu hoch noch zu gering geschätzt wird. 

Weil Gott an erster Stelle steht, ist für Ihn, Gott, das Schönste gerade gut genug. Die Schönheit der Kirchen und Klosteranlagen, mit denen ganz Europa überzogen wurde und an denen wir uns bis heute erfreuen – auch hier in Garching verdanken wir das Kleinod St. Katharina den Benediktinern von Weihenstephan – die Schönheit der Liturgie und des Gotteslobes, das Vorrang hatte auch vor Predigt und Seelsorge, hat letztlich unseren Kontinent christianisiert. Diese Absichtslosigkeit, wenn eine Gemeinschaft das Gotteslob feiert um Seinetwillen, täglich und lebenslang, macht Menschen nachdenklich und offen für das Geheimnis Gottes.  

Die zweite Stütze benediktinischen Lebens ist das labora, die Arbeit. In der Antike, bei Griechen, Römern und Germanen war Arbeit keine Sache des freien Mannes. Arbeit verrichteten Sklaven, Unfreie und Frauen. Der freie Mann widmete sich der Geselligkeit, der Politik und dem Kriegshandwerk. Jagd und Fehde waren der Lebensinhalt vor allem unserer germanischen Vorfahren.

Demgegenüber hat Benedikt, inspiriert vom Evangelium, die Arbeit geadelt. In den Klöstern blühten Landwirtschaft und Handwerk, Künste und Wissenschaft. Von den Mönchen haben unsere Vorfahren gelernt, geregelte und gediegene Arbeit zu leisten. In den Schreibstuben der Mönche wurde das Geistesgut der Antike an die neuen Völker weitergereicht. Die Klöster unterhielten Schulen, erfanden technisches Gerät, betrieben wissenschaftliche Forschung. Weite Landstriche des Kontinents wurden durch sie urbar gemacht und kultiviert. In der Sorge um die Kranken, Alten und Behinderten, für die die Klöster Hospize und Krankenhäuser bauten, waren sie ebenfalls Pioniere. Auf all dem beruht der kulturelle, wirtschaftliche und technische Aufstieg Europas.

Die Arbeit bekommt hier eine eigene Würde, wird zu einer Art „Gottesdienst“. Aber sie wird es nur vom Gebet her, für das die besten Zeiten des Tages reserviert bleibt.  

Diesen Vorrang des Gebetes vor der Arbeit drückt ein Benediktiner unserer Zeit so aus: „Man darf von einem besonderen Segen sprechen, der von unserem Gebet in die Arbeit strömt. Worin besteht dieser Segen? Als Erstes: Durch das Gebet erhält die Arbeit Ordnung. Der Tag erhält einen klaren Aufbau, einen heiligen Rhythmus. Das Zweite: Die Arbeit wird in Ruhe getan. Stresserscheinungen treten bei uns nicht auf. Drittens: Durch den ‚Stopp!’ der Gebetsunterbrechung wird die Arbeit in eine neue Perspektive, einen größeren Zusammenhang gerückt, bekommt Plan und Ziel. Viertens: Die Arbeit wird mit Freude getan, nicht unbedingt mit Lust an der jeweiligen Tätigkeit. Aber im Umgang mit Gott haben wir neue Motive gewonnen, die sich auch in die Arbeit hinein auswirken. Fünftens: Die Arbeit wird in Gemeinschaft getan. Das Zusammensein in Gebet regt an, seine Arbeit mit dem Mitbruder abzustimmen. Information und Kooperation werden gefördert. Erscheinungen wie ‚Mobbing’ werden seltener. Die Arbeit wird nicht um der Anerkennung willen, sondern mit Selbstlosigkeit getan.“ (Beda Müller, 46)

Und er fährt fort: „All die Dinge dieser Welt, Ehe und Familie, Wissenschaft und Kunst, Wirtschaft und Politik, selbst noch Seelsorge und Caritas, vertragen es gar nicht, wenn sie im Mittelpunkt unseres Interesses stehen. Dann werden sie irgendwie ‚überlastet’, was zu Unordnungen, Blockierungen, Überforderungen und damit zur Unfruchtbarkeit führt. Wir sollten damit beginnen, dieses Gewicht wegzunehmen. Dann können diese Dinge ‚atmen’. Das unersättliche Streben nach Besitz und Genuss sollte von den irdischen Werten weggenommen und auf Gott gerichtet werden. Er will unser eigentlicher Besitz und Gegenstand unseres Genusses sein.“ (ebd. 52) 

Eigentlich ist dem nichts hinzuzufügen. Das Geheimnis eines gelungenen und sinnerfüllten Lebens ist eigentlich denkbar einfach: „Ora et labora“, „bete und arbeite“, eine geniale Kurzformel christlichen Lebens nicht nur für Mönche, sondern für alle Christen. Es ist die Quintessenz des Evangeliums, das zu verkünden Jesus seine Freunde aussendet – damals wie heute. Europa wird so lange, aber auch nur so lange ein aus christlichem und benediktinischem Geist geformter Kontinent bleiben, wie es eine größere Zahl von Menschen gibt, die aus diesem Rhythmus des Betens und Arbeitens, der Hinwendung zu Gott und der Hinwendung zum Mitmenschen ihr Leben gestalten.

 Pfr. Bodo Windolf

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