Predigt vom 1. November 2009

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Allerheiligen - 10 Jahre Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre"
Predigttext

Allerheiligen 2009

10 Jahre "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre"

Die Liturgie sieht am Fest Allerheiligen als Evangelium die "Seligpreisungen" vor. Der Grund ist offensichtlich: Die Heiligen, die bekannten wie die Unbekannten, haben gelebt und erlitten, was Jesu hier selig preist: die Armut im Geiste, die Barmherzigkeit, das Frieden Stiften, Verfolgung um seinetwillen etc.; und so hat sich in ihnen nun auch die Verheißung erfüllt, die die Seligpreisungen beinhalten. Das "Selig seid ihr" ist für sie zur endgültigen Wirklicht geworden, da sie eingegangen sind in die Freude und Seligkeit des Himmels.

Zugleich sind die Seligpreisungen die Einleitung zur Bergpredigt, in denen es wie in keinem anderen Text des Neuen Testaments um die christliche Ethik, um das rechte Tun geht. Nicht der Glaube, sondern die Werke des Christenmenschen stehen hier im Zentrum. Und das lässt uns an einem Tag wie dem heutigen stutzen. Denn das Fest Allerheiligen steht in unmittelbarer Nachbarschaft zum evangelischen Reformationstag. Gerade am diesjährigen Reformationstag feiern wir ein kleines Jubiläum. Denn heute (gestern) jährt(e) sich zum 10. Mal die Unterzeichnung der sog. "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre", die damals Vertreter Roms und des Lutherischen Weltbundes in Augsburg vornahmen. Dieses Jubiläum will ich in meiner Predigt aufgreifen und versuchen, aus meiner Sicht zu würdigen.

Werke – das Wort hat für einen aufrechten Lutheraner stets einen höchst verdächtigen Klang. Steht durch die Auswahl gerade des Evangeliums von den Seligpreisungen nicht wieder diese vermaledeite katholische Werkgerechtigkeit im Vordergrund, so als könnten wir uns und die Heiligen sich den Himmel durch gute Taten verdienen? Demgegenüber war doch die große Entdeckung Martin Luthers die Rechtfertigung des Menschen allein aus dem Glauben!

Nun ja, durch die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" gilt diese katholisch-lutherische Lehrdifferenz, die vor allem evangelischerseits als die eigentliche und wichtigste aufgefasst wird, im Prinzip als ausgeräumt. Aber ist es wirklich so? Es gibt sowohl von katholischer wie auch und fast noch mehr von evangelischer Seite viele skeptische Stimmen. Und diese Skepsis wird verständlich, wenn man die näheren Umstände der damaligen Unterschrift bedenkt. Rom hatte große Bedenken und war nur bereit, eine ergänzende und präzisierende sog. "Gemeinsame Offizielle Feststellung" zu unterzeichnen. Auf der anderen Seite legten damals über 240 evangelische Professoren Widerspruch ein gegen die "Gemeinsame Erklärung", nur etwas mehr als ein Drittel der Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes stimmten vorbehaltlos zu, darunter als einzige deutsche die Bayerische Landeskirche. Die meisten der anderen deutschen Landeskirchen stimmten nur mit Einschränkung zu, drei weitere deutsche Landeskirchen sogar mit einem glatten Nein.

An dieser Stelle will ich nun fragen: Worum geht es denn eigentlich bei der Rechtfertigungslehre? Es ist damals gesagt worden, dass es eine wichtige Aufgabe der Verkündigung sei, diese für die allermeisten Menschen vollkommen fremde Lehre in heutige Sprache zu übersetzen und so einem besseren Verstehen zu öffnen. Man kann kaum sagen, dass dies wirklich erfolgt geschweige denn gelungen sei. Gewissermaßen in Mode gekommen ist evangelischerseits eine Erklärung, die meiner Meinung nach einen sehr guten Anknüpfungspunkt bietet, um aus katholischer Sicht das zentrale Problem deutlich zu machen. Dieser evangelische Versuch der Übersetzung der Rechtfertigungslehre in heutige Sprache lautet: Die Rechtfertigungslehre wolle die Würde jedes Menschen betonen, die er unabhängig von jeder ethischen Leistung besitze. Die renommierte evangelische Professorin Dorothea Wendebourg drückte es vorgestern in einem Interview mit der FAZ so aus: "… ob das Geschöpf Mensch seinen Wert in dem hat, was es selbst ist und tut – die römisch-katholische Position –, oder darin, dass Gott es für wertvoll hält – die evangelische Position" – das sei die konfessionell unterschiedliche Antwort, um die es bei der Rechtfertigungslehre gehe. M.a.W.: Die katholische Position sei, der Mensch habe seinen Wert aus sich selbst, unabhängig von Gott, und verdiene ihn sich durch seine Werke.

Ich erlaube mir die Feststellung, dass diese Darstellung der Rechtfertigungsproblematik, mit Verlaub gesagt, schlichter Unsinn ist; denn zum einen stellt sie die katholische Lehre über den Menschen falsch dar, zum anderen geht sie an der von Luther gemeinten Sache vorbei. Warum? Die Personwürde eines jeden Menschen ist eine Schöpfungsaussage, die in der Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes ihren Grund hat. Demgegenüber ist das Rechtfertigungsgeschehen nachgeordnet, betrifft also den sündig gewordenen, aber unverlierbar von Gott mit Würde immer schon begabten Menschen. Anders ausgedrückt: Nicht von der Rechtfertigungslehre her, sondern von der jüdisch-christlichen Schöpfungslehre her ist die Personwürde eines jeden Menschen begründet.

Woher kommt aber dann die konfessionelle Auseinandersetzung über die Rechtfertigungslehre? Diese hat ihren Ursprung in der Biographie Martin Luthers. Luther lebte, wohl einem Zug seiner Zeit entsprechend, unter der gewaltigen Angst vor dem Zorn Gottes. Alle Heilmittel der Kirche – häufige Beichte, Gebet, Fasten, Buße, Bemühung um besseres Leben – erfuhr er als unzureichend. Alle diesbezügliche Anstrengung erfuhr er als zu wenig, um dem Zorn und dem Gericht Gottes entkommen zu können. Obwohl es ihm nicht an Menschen fehlte, die ihm seine Gewissensnot nehmen wollten mit Hinweis auf die Gnade Gottes, so etwa sein Ordensoberer Staupitz, erlebte er sich unentrinnbar dem Zorn Gottes ausgeliefert.

Der erlösende Blitz war für ihn die Einsicht, die ihm beim Lesen des Römerbriefs kam: Gott will das alles gar nicht. Du kannst und du brauchst dich nicht selbst und durch eigene Anstrengung zu einem Gerechten machen. Gottes Gerechtigkeit ist nicht die, die Er von dir verlangt, sondern die, die Er dir ohne jegliches Zutun von deiner Seite schenkt. Gott allein handelt an dir. Allein der Glaube an die Gerechtmachung, an die Rechtfertigung durch Gott allein, bewirkt Heil und inneren Frieden.

Dieses "Allein" war es nun, das zu einem der Kernpunkte der nachfolgenden konfessionellen Auseinandersetzungen wurde. Dass kein Mensch sich das Heil selbst zu verdienen vermag, dass alle Bemühungen des Menschen getragen ist von der sie ermöglichenden Gnade Gottes, dass insofern alles, wirklich restlos alles Gnade und ungeschuldetes Geschenk Gottes ist, war immer schon, auch zur Zeit Martin Luthers, gut katholische Lehre, wiewohl man zugeben muss, dass das Bewusstsein dafür bisweilen durch ein Übermaß an äußeren Werken, Frömmigkeitsübungen und Forderungen verdeckt werden konnte. Kontrovers war also nicht, dass alles Gnade ist, sondern nur, dass es Gott allein ist, der des Menschen Heil wirkt.

Und hier geht es nun in der Tat um die Würde des Menschen. Die Frage ist nämlich: Bezieht Gott den Menschen mit ein in den Prozess seiner Rechtfertigung, seines heil und heilig Werdens, ist der Mensch darin mitbeteiligt, nämlich mitwirkend mit der Gnade Gottes, oder ist er nur passives Objekt des Wirkens Gottes, gleichsam wie ein Stein, den Gott zu sich erhebt ohne alle Eigenbeteiligung. Wenn es so wäre, würde dies tatsächlich der Würde des Menschen widersprechen, die darin besteht, frei zu sein, zustimmen oder ablehnen zu können, nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt in Gottes Gnadenhandeln zu sein, also ein Mitwirkender mit der Gnade Gottes; oder, wie es der hl. Paulus unübertroffen exakt formuliert hat. "Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben. Mehr als alle habe ich mich abgemüht – nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir." (1 Kor 15,10)

Auf diesem "die Gnade Gottes, aber nicht allein ohne mich, sondern mit mir" muss eine katholische Rechtfertigungslehre bestehen, wie gesagt: gerade um der Würde des Menschen willen müssen wir Katholiken darauf bestehen. Martin Luther hat wohl zu sehr gemeint, Gottes Gandenhandeln sei um so größer, je kleiner des Menschen Beteiligung sei, und am größten dann, wenn der Mensch gar nichts beitrage. Das Gegenteil ist der Fall: Die Gnade Gottes erweist sich gerade darin als groß, dass sie dem Menschen aufhilft, ihn einbezieht, ihn ganz und gar mitbeteiligt am Prozess des Heil- und Ganzwerdens, denn nichts anderes meint Rechtfertigung.

Inwieweit in dieser Frage tatsächlich ein Konsens zwischen Katholiken und Lutheranern erreicht ist, erscheint mir aufgrund der beschriebenen Vorgänge im Zuge der "Gemeinsamen Erklärung" noch nicht wirklich geklärt. Aber vielleicht kann man es in einem gut ökumenischen Ton so formulieren: Katholiken müssen sich, wo nötig, von evangelischen Christen immer wieder daran erinnern lassen, dass alles, wirklich alles Gnade ist; evangelische Christen daran, dass der Mensch nicht nur passives Objekt göttlicher Gnade ist, sondern von Gott einbezogen wird und mitwirkendes Subjekt seines Heils ist.

Gerade in unserer Zeit ist das gemeinsame Zeugnis aller Christen wichtiger denn je. Beten wir um weitere Annäherung und um die Kraft eines gemeinsamen christlichen Zeugnisses, nicht zuletzt in Hinblick auf den Ökumenischen Kirchentag nächstes Jahr in München.

Pfr. Bodo Windolf

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