Predigt vom 15. November 2009

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Gott und das Böse in der Welt"
Predigttext

33. Sonntag i. J. Mk 13,24-32 15.11.2009

Gott und das Böse in der Welt

Immer wieder führe ich Gespräche, in denen es um die Frage nach Gott und seine Existenz geht und die – natürlich mit Abwandlungen – in etwa folgenden Inhalt haben. Dabei möchte ich jetzt nur zwei Dinge nennen, die oft gegen Gott ins Feld geführt werden:

Zum einen das unbeschreiblich viel Böse und das dadurch verursachte Leid in der Welt. Kann ein Gott, der den türkischen Genozid an den Armeniern, den der Russen an den Kulaken, den der Deutschen an den Juden, den Maos an seinem eigenen Volk, der Hutus an den Tutsi in Ruanda, der Serben an den Bosniern, und, und, und; der darüber hinaus so unendlich viel anderes zulässt, das Menschen einander an Leid und Ungerechtigkeit zufügen, überhaupt existieren? Oder wenn er existiert, muss man dann nicht annehmen, dass er nicht gut und/oder nicht allmächtig ist, weil Er gegen all das nicht einschreitet?

Zum anderen ist gelegentlich auch der Einwand zu hören: Wenn jemand Gutes tut, und dafür hofft, von Gott belohnt zu werden, dann tut er es ja im Grunde nur für sich, und nicht wirklich für die, denen er zu helfen vorgibt.

Solche und ähnliche Fragen stellen sich auch beim Hören des heutigen Evangeliums. Es ist ein Ausschnitt aus der sog. "Endzeitrede Jesu", die Er am Ende Seines öffentlichen Auftretens hält, also unmittelbar vor Beginn der Tage Seiner Passion. Er spricht von der "großen Not", von Kriegen und Katastrophen, von einer Not, "wie es sie es noch nie gegeben hat, seit Gott die Welt erschuf" (V 19). Diese Not wird am Ende der Zeit über die Welt kommen. All das Leid und das Böse, das die Geschichte begleitet hat, seit es Menschen gibt, wird sich am Ende noch einmal ins absolut Unbegreifliche steigern. Eine Ahnung davon haben wir im vergangenen Jahrhundert bekommen mit seinen zwei Weltkriegen, deren Opfer wir am heutigen Volkstrauertag gedenken. Dazu kommen weitere nicht zählbare Kriege, Genozide, Terrorakte. Was es an Bösem im Großen und im Kleinen gibt, sprengt letztlich all unsere Phantasie und Vorstellungskraft. Und so fragt man sich in der Tat: Wie kann Gott all das zulassen? Wieso hat Er den Menschen so gemacht, dass er zu so viel grauenhaften Taten fähig ist? Wenn Er gut, wenn Er allmächtig wäre, müsste Er es doch zu verhindern wissen!

Zunächst einmal ist es wohl offensichtlich, dass es eine allgemein befriedigende Antwort auf all diese Fragen zumindest hier auf Erden einfach nicht gibt. Ich selber bin überzeugt, dass der Himmel auch darin bestehen wird, Antwort zu bekommen auf all jene Fragen, die uns hier unten oft so sehr quälen und resignieren lassen wollen.

Natürlich ist, will man eine Antwort zumindest versuchen, der Verweis auf die menschliche Freiheit unumgänglich, eine geradezu unheimliche Freiheit, die jeder Mensch zu unendlich viel Gutem, aber eben auch zu abgrundtief Bösem gebrauchen kann. (Wobei klar ist, das mit ihr die Frage nach dem Leid, das Naturkatastrophen verursachen, noch immer offen bleibt.)

Aber ich möchte für jetzt einen anderen Gedanken anführen, der durchaus etwas bewusst Provokatives hat. Ich behaupte nämlich: Wer angesichts und aufgrund des Bösen in der Welt Gott leugnet, stellt sich damit in einem gewissen Sinn auf die Seite der Täter, letztlich auf die Seite des Bösen. Er tut es, ohne das zu wollen, aber er tut es.

Warum? Wer Gott leugnet, leugnet damit den Einzigen, der den Milliarden von Opfern dieser Erde Recht zu verschaffen vermag. Wer Gott leugnet, leugnet den Einzigen, der die Täter zur Verantwortung, zur Rechenschaft ziehen kann. Wer Gott leugnet, gibt in einem gewissen Sinn dem Bösen, dem Skrupellosen, dem Gewalttäter Recht. Mögen andere anders handeln, Gutes tun, so viel und so fleißig sie wollen. Mögen sie es doch als eine Art Hobby betreiben! Aber wozu soll`s am Ende gut sein? Ohne Gott haben die, die sich um das Gute, um Gerechtigkeit, um Liebe, um Versöhnung und Frieden bemüht haben, dasselbe Geschick wie die Verruchten: nämlich den Tod. Wer auf Kosten und zum Schaden anderer gelebt und sich durchgesetzt und sein frivoles Glück gesucht hat, hat letztlich Recht getan. Denn der Tod macht ja am Ende alle gleich: Gute und Böse, Täter und Opfer, Lebensretter und Lebensvernichter.

Genau das aber widerspricht der innersten Intuition eines jeden Menschen. Jeder Mensch hasst die Ungerechtigkeit, der Ungerechte spätestens dann, wenn ihm selbst Unrecht widerfährt. Wir alle hoffen und wünschen zutiefst, dass es am Ende gerecht zugeht für jeden einzelnen Menschen und für die Menschheit insgesamt. Wir wünschen es, und wissen zugleich, dass eine letzte Gerechtigkeit hier auf Erden einfachhin eine Illusion ist.

Die Frage ist nun, ob uns in diesem allgemeinmenschlichen Wunsch die Stimme der Wahrheit begegnet oder nicht. Falls es die Stimme der Wahrheit ist, die ganz tief in unsere Herzen eingeschrieben ist, dann gilt: Wenn es eine letzte Gerechtigkeit gibt, dann kann sie nur Gott herstellen. Dann aber muss es auch ein Gericht über das Leben jedes einzelnen Menschen geben. Ich bin überzeugt, dass sich auch der, der Böses getan hat, nach einem solchen Gericht sehnt, selbst wenn er es sich nicht eingesteht. Jeder Vorteil, jedes Glück, das wir aufgrund eines Unrechts erlangen, ist ein vergiftetes Glück; kann gar nicht zu jener Freude führen, die nur der kennt, der gut handelt und lebt, in Übereinstimmung mit Gott und Seinen Geboten. Die Sehnsucht nach Gericht, nach dem Gericht Gottes ist die Sehnsucht, durch das Gericht Recht zu werden, ganz und gar heil und gerecht und gut zu werden. Wo das geschieht, bedeutet Gericht letztlich nichts anderes als aufgerichtet werden.

So wie dies eine ehemalige Stasimitarbeiterin am Ende eines Interviews formulierte, das in eine Kontraste-Beitrag im Fernsehen gesendet wurde: Indem sie es schaffte, ihr Unrecht einzugestehen, es zuzugeben, konnte sie wieder aufrecht, wieder gerade gehen; und besonders gerade, wenn ihr Menschen aus früherer DDR- und Stasi-Zeit begegneten, die ihr Unrecht nicht zugaben.

Die Endzeitrede Jesu verfolgt den Zweck, ganz realistisch auf die kommende große Not zu verweisen. Hier wird nichts beschönigt oder verharmlost. Dabei wird die nicht von oben, von Gott her verhängt, sondern es sind die Menschen selbst, die sie sich gegenseitig bereiten. Zugleich aber sagt Er: die Not, das Leid, das Böse, nichts von dem hat das letzte Wort. Denn danach kommt noch etwas, nein, nicht etwas, sondern jemand: der Menschensohn. "Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht (die größer ist als alles Böse der Welt) und Herrlichkeit kommen sehen." Er und niemand anderer hat das letzte Wort, weswegen Er sagen kann: "Himmel und Erde werden vergehen (vor allem alles Leid und alles Böse), aber meine Worte werden nicht vergehen." Diesem Richter übergibt sich übrigens auch und gerade der, der schon hier auf Erden seine Schuld vor Gott beichtet und sich die erlösende Vergebung schenken lässt. Diese Art von Gericht ist freiwillig, das letzte Gericht ist unausweichlich

Wer Gericht so deutet, bemerkt schnell, dass die Rede davon nicht, wie oft angenommen, Drohbotschaft ist, sondern dass sie mitten hinein ins Evangelium, in die Frohe Botschaft gehört.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright  2009  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de