Predigt vom 6. Dezember 2009

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Berufung"
Predigttext

Geschichten und Geschichte sowie das Thema „Berufung“

(2. Adventssonntag C 2009)
Die ersten Verse des heutigen Evangeliums sind entscheidend; entscheidend für alles Weitere, für alles, was Lukas zu berichten hat; entscheidend für unseren Glauben insgesamt. „Es war das 15. Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatuas war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hanna und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias.“ (Lk 3,1-2)

Was ist an dieser schlichten und eher belanglos wirkenden Zeit- und Ortsangabe so wichtig? Wir verstehen es, wenn wir uns die Eigenart der Mythen und Märchen der Völker vor Augen halten. Mythen spielen in einer gänzlich unbestimmten „grauen Vorzeit“; Märchen beginnen mit: „Es war einmal …“ oder „Vor langer, langer Zeit lebte ein König …“ Es gibt hier keine genauen Zeit- und Ortsangaben. Das Erzählte geschah irgendwann und irgendwo und es geschieht letztlich immer wieder neu. Daher werden darin typisch menschliche Urerfahrungen wiedergegeben, die allgemeingültig sind und in oft dramatische Erzählungen gekleidet werden. Das heißt: Es werden Geschichten erzählt, aber keine Geschichte.

Ganz anders Lukas. Durch seinen einleitenden Satz drückt er aus:  Ich erzähle keinen neuen Mythos über Gott oder die Götter. Auch keine einfach nur bildhaften, symbolischen, archetypischen Erzählungen, die etwas Allgemeingültiges über die menschliche Seele vor Augen führen. Sondern ich erzähle Geschichte. Ich erzähle ein umstürzendes geschichtliches Ereignis. Dass nämlich die Ewigkeit einbricht in die Zeit. Gott tritt ein in die menschliche Geschichte. Er, der Überzeitliche und Ewige, tritt ein an einem konkret benennbaren Ort – Galiläa, Judäa – zu einer konkret benennbaren Zeit – im 15. Jahr des Kaisers Tiberius. Gott selbst macht sich gleichsam zu einem Teil der Geschichte unserer Erde. 

Dieses 15. Jahr ist nach unserer Zeitrechnung das Jahr 28 n. Chr. Zu diesem Zeitpunkt ist Gott schon längst eingetreten in die Weltgeschichte, aber dieser Eintritt ist noch nicht offenbar geworden. Damit er aber offenbar werden kann, braucht Gott ein menschliches Werkzeug, einen Wegbereiter. Gott wirkt immer, damals wie heute, Sein Heil nicht ohne, sondern nur mit uns Menschen. Daher schreibt Lukas: In diesem Jahr „erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes.“

Johannes wird getroffen von einem göttlichen Anruf. Damit wird etwas Weiteres deutlich: Gott, der eintritt in die allgemeine Geschichte der Welt, will ebenso eintreten in die individuelle Geschichte menschlichen Lebens. Er will eintreten in das Leben des Täufers Johannes. Er will eintreten in die Geschichte meines Lebens. Er will eintreten in die Geschichte des Lebens eines jeden von uns.

Was sich nun in der kurzen und schnörkellosen Wiedergabe des Evangelisten wie ein punktuelles Ereignis im Leben des Täufers anhört, ist ohne Zweifel ein innerer Prozess, der Zeit gebraucht hat. Dass Gott mit Johannes etwas Besonderes vorhaben würde, wurde ihm durch den Vater Zacharias schon bei seiner Geburt prophezeit. Wie Johannes dann aber seine Berufung gefunden hat, das wird nicht berichtet. Auch er wird gesucht, gerungen, gefragt, gezweifelt haben, bis er die innere Gewissheit seiner persönlichen Berufung gefunden hatte.

Auch wenn uns Lukas diesen Berufungsprozess vorenthält, so teilt er uns aber doch ein wichtiges und entscheidendes Detail mit. „Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes.“ Die Wüste ist der Ort, wo Johannes das für ihn entscheidende Berufungswort hört, also ein Ort der Stille, des Schweigens, der Einsamkeit. Wer Gott vernehmen will, muss ein Hörender werden, muss daher in die Stille gehen. Nur an einem solchen Ort können wir überhaupt aus dem Stimmengewirr der vielen Worte, die auf uns Tag für Tag einprasseln, Gottes Stimme, Gottes Anruf heraushören. Das war damals so, das ist heute so. Und damit sind wir, ausgehend von der Berufung des Johannes, bei uns selbst angelangt.

Es gibt einen innersten Ort in der Seele eines jeden Menschen, wo wir noch vor allem Beten im Dialog mit Gott stehen. Anders und besser ausgedrückt: Es gibt in unserem, in meinem tiefsten Inneren einen Ort, in den Gott das eine Wort, das mich, und nur mich meint, eigentlich immer schon hineingesprochen hat. „Schon im Mutterleib hast du mich berufen und erwählt …“, schreibt Paulus im Galaterbrief. Lukas spricht daher auch nicht von verschiedenen Worten Gottes, die an Johannes ergingen, sondern von dem einen Wort, das ihn, Johannes, persönlich meint. Es ist ein Wort, weil es meinem Leben eine innere Konsistenz verleiht; weil es die Vielfalt des eigenen Lebens zu einer inneren Einheit zu formen vermag, alles Denken, Reden und Tun, das diesem Wort und Ruf dient, zu einer einheitlichen Gesamtgestalt integriert. Dieses eine Wort kann uns nicht von außen und von irgendeinem anderen Menschen gesagt werden, sondern wir vernehmen es letztlich nur in unserem eigenen Inneren. Andere können uns helfen, es zu vernehmen, können uns auf die Spur dieses Wortes bringen; aber es wirklich hören und es in Freiheit ergreifen – das muss ich selber.

Dieses Wort steht für unsere ganz persönliche Berufung, für unsere Lebensaufgabe, die immer auch etwas mit Gott zu tun hat und daher unverfügbar ist. Wir können dieses Wort, unsere Berufung überhören, beiseite drängen, es übertönen durch den inneren Lärm, der meist ein Echo des äußeren Lärms ist, der uns permanent umgibt. Aber nur, wenn wir diese unsere Berufung entdecken und zu leben versuchen, können wir ganz bei uns selbst sein, können wir glücklich werden. Ansonsten verfehlen wir das Eigentlichste und Tiefste unseres Daseins. Viele Menschen unserer Zeit, die unter innerer Zerrissenheit leiden, die tief in ihrem Inneren spüren, dass etwas in ihrem Leben falsch läuft, nicht stimmig ist, oberflächlich, leer, empfinden dies so, weil sie ihre eigentliche Berufung entweder nicht entdeckt oder vor ihr davongelaufen oder sie verdrängt haben zugunsten der unzähligen Versuchungen, die sich uns allenthalben lauthals aufzudrängen suchen.

All das bedeutet nun, dass wir uns dem äußeren Stimmengewirr immer wieder einmal entziehen müssen. Es braucht gleichsam „Wüste“, d.h. Orte der Stille, des Gebets, des Verweilens vor Gott. Deswegen ist es so wichtig, dass die Kirchen als solche Orte der Stille offen sind, damit auch uns widerfahren kann, was Lukas über Johannes erzählt: „Das Wort des Herrn erging auch an mich.“ Dass es gleichsam eine innere Wüste in unserem Leben gibt, Orte und Zeiten der Stille, in denen wir uns auf unser Leben besinnen und immer wieder neu den Auftrag eines Tages, einer Lebenssituation, eines Schicksalsschlages, eines Lebensabschnitts oder auch des ganzen Lebens, gewissermaßen die Lebensaufgabe suchen und um sie ringen.

Da ich das Thema Berufung anspreche, möchte ich auch kurz auf das „Jahr des Priesters“ kommen, dass Papst Benedikt anlässlich des 150. Todestages des hl. Pfarrers von Ars ausgerufen hat. Ich bin sicher, dass Gott auch in unserer Zeit genügend Berufungen zum priesterlichen Dienst schenkt. Aber damit der Ruf gehört werden kann und der Same Seines Wortes aufgehen kann, braucht es nicht nur fruchtbares Erdreich, sondern auch solche, die den Samen aussäen. Die Gläubigen so mancher Gemeinde freuen sich, wenn sie noch einen eigenen Priester haben. Andere spüren sehr schmerzlich den Priestermangel. Aber dieser Situation muss auch die Bereitschaft entsprechen, das uns Mögliche für die Weckung entsprechender Berufungen zu tun. Dazu gehört das Gebet um geistliche Berufungen; aber auch, dass es in den Gemeinden ein großes Wohlwollen gegenüber der priesterlichen Berufung gibt. Es braucht Familien, Eltern, Großeltern, Paten, Freunde, die den Mut haben, eine solche Berufung als eine echte Möglichkeit auch für das eigene Kind, Enkelkind, Patenkind bewusst zu machen; als eine der großen Möglichkeiten für ein gelingendes Leben. Auch in unserer Zeit gibt es vorbildliche Priester, an denen man das Gelingen einer solchen Berufung und eines solchen Lebens ablesen kann.

Meine Bitte daher an Sie: dass Sie dieses Anliegen entsprechend Ihren Möglichkeiten mittragen. Mein Wunsch für Sie: dass Sie immer mehr Ihre eigene Berufung und Sendung entdecken und sie mehr und mehr in der ganzen Fülle zu leben suchen: die Berufung als Ehemann und Familienvater, Ehefrau und Mutter, als Großeltern, die oft eine ganz eigene Berufung haben, im Beruf, der Berufung sein kann, aber es nicht sein muss, in einem Ehrenamt und in den vielgestaltigen Lebenssituationen, in denen Sie sich momentan und im weiteren Verlauf Ihres Lebens befinden und befinden werden.

Pfr. Bodo Windolf

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