Predigt vom 26. Dezember 2009 (2. Weihnachtsfeiertag)

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Egal-Haltung und Toleranz – eine folgenreiche Verwechslung"
Predigttext

2. Weihnachtstag (hl. Stephanus) 2009

Egal-Haltung und Toleranz – eine folgenreiche Verwechslung

Das Schicksal des hl. Stephanus lädt dazu ein, einmal über religiöse Toleranz bzw. Intoleranz in unserer Zeit nachzudenken. Ich will es anhand zweier Ereignisse tun, die in allerjüngster Zeit die öffentlichen Gemüter in Sachen Religion in besonderer Weise erregt haben.

Da ist zunächst auf das Kruzifix-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das das Aufhängen von Kreuzen in den staatlichen Schulen Italiens untersagt hat.

Die Klagende war eine eingebürgerte Finnin, die ihre Religionsfreiheit vereitelt sah, weil ihre Kinder in der Schule dem Anblick eines Kreuzes ausgesetzt waren. Die Sachlage ist: Die Menschenrechtskonvention verbietet es keinem Staat, sich bestimmte religiöse oder weltanschauliche Handlungen zu eigen zu machen, solange er niemanden zu diesen Handlungen verpflichtet, z.B. dazu, dem Kreuz besondere Verehrung zu erweisen. Entgegen dieser Rechtslage wurde vom Straßburger Gericht ein Urteil zugunsten der religiösen Intoleranz einer Einzelnen gegenüber der religiösen Tradition eines ganzen Volkes gefällt. Außerdem wurde durch den der Frau zugesprochenen Schadenersatz im Namen von Religionsfreiheit der Hass auf die christliche Religion zusätzlich mit Geld prämiert; denn der italienische Staat hatte ihr eine nicht unbeträchtliche Summe zu zahlen. Wer so urteilt wie die Straßburger Richter, pervertiert die Menschenrechte zuungunsten der positiven Religionsfreiheit eines ganzen Landes und untergräbt damit die Fundamente der Religionsfreiheit selbst. In Zukunft wird auch der atheistische Bergsteiger, der nach anstrengender Wanderung auf ein Gipfelkreuz stößt, sich in seinen Menschenrechten beeinträchtigt sehen können.  Das selbstzerstörerische Wüten vieler Europäer gegen ihre eigenen Wurzeln treibt immer absurdere Blüten.

Der Pulverdampf um das Straßburger Urteil war noch nicht verraucht, als die Schweizer für einen öffentlichen Eklat mit ihrem Votum für ein Minarett-Verbot sorgten.

In Hinblick auf diese Schweizer Abstimmung erschien Anfang Dezember in der SZ ein Artikel von Johan Schloemann. Darin geht er der Frage nach, warum in unserer europäischen Gesellschaft auf einmal eine solches Abstimmungsverhalten möglich ist. Ich zitiere ihn: „Die Leute regen sich über Moscheen und Minarette auf. Warum? Eigentlich leben wir heute in einer allumfassenden Egal-Gesell-schaft. Den allermeisten Bürgern des Landes ist es den ganzen Tag lang vollkommen gleichgültig, was ihr Nachbar treibt. Egal, wie er seine Kinder erzieht, egal, was er glaubt, wenn er etwas glaubt, egal, ob er doofe türkische oder doofe deutsche Fernsehsender schaut … der Liberalismus hat bei uns auf ganzer Linie gesiegt – Liberalismus verstanden als alltägliche Nichteinmischung. … Doch für diese Egal-Haltung zahlen wir einen Preis. Dieser besteht nicht nur in einer Atmosphäre menschlicher, sozialer Gleichgültigkeit. Die Rückseite dieser ‚liberalen’ Lebenshaltung ist außerdem ein unterschwelliges Gefühl der Machtlosigkeit“, (hier beende ich das Zitat und paraphrasiere sinngemäß) das sich in der Schweiz in einem kollektiven Protest gegen das Establishment der Politiker und Meinungsmacher entladen hat, die zu selbstsicher ein Minarett-Verbot verpönten.

Von dieser, wie ich finde, sehr treffenden Zeitanalyse – die erstaunlicherweise aus der Feder eines SZ-Autors nur mit anderen Worten dasselbe ausdrückt wie unser Papst, wenn er von einer „Diktatur des Relativismus“ spricht – möchte ich einen Blick auf den hl. Stephanus werfen. Er wird uns gezeigt als ein Mann voll innerer Glut, dem sein Glaube an Jesus Christus alles andere als egal war. Sein Problem: Er stieß mit einer Gruppe von Juden zusammen, denen ihr Glaube ebenfalls nicht egal war. Zwei unvereinbare Wahrheitsansprüche trafen hier aufeinander: der jüdische und der christliche. Und so kann man fragen: Ist das nicht doch wieder eine klare Bestätigung der These, dass Religionen, die mit einem eindeutigen Wahrheitsanspruch auftreten, zu Intoleranz und Gewalt neigen?

Die Antwort muss wohl differenziert ausfallen. Es kann sein, aber es muss nicht sein. (Wobei hier in Klammern angefügt sei, dass es nicht nur im Namen von Religion Gewalt und Intoleranz gab und gibt, sondern auch im Namen von Religionsfeindschaft und Atheismus, ja dass die in diesem Namen insbesondere seit der Französischen Revolution und vor allem im vergangenen Jahrhundert verübten Verbrechen an Menschen und ganzen Völkern die Zahl der Opfer von religiösem Fanatismus um ein  Vielfaches übersteigen.) Das Unbehagen der Schweizer an Minaretten rührt sicher auch von daher, dass in unserer Zeit der Islam vielfach tatsächlich als unduldsam, gewalttätig, intolerant erfahren wird. Mir persönlich will scheinen, dass ein Minarett-Verbot ein wohl eher untaugliches Mittel ist, diesen Befürchtungen zu begegnen; dass man aber die dahinter stehenden Sorgen ernst nehmen muss, was aber seitens der Politik viel zu wenig geschieht.

Das eigentliche Problem, das ich sehe und für das das Straßburger Urteil symptomatisch ist, möchte ich so formulieren: Viele Menschen unserer Zeit verwechseln immer wieder die Egal-Haltung mit Toleranz und unterstellen, die Überzeugung von der Wahrheit des eigenen Glaubens gehe unweigerlich einher mit Unduldsamkeit. Das ist kompletter Unsinn. Ich kenne genügend zutiefst überzeugte Christen, die aufgrund ihres gelebten Glaubens einen hohen Respekt gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden haben; und zwar oft in viel höherem Maß, als es bei denen der Fall ist, die ständig das Wort Toleranz im Munde führen, aber egal meinen und sehr schnell sehr unduldsam denen gegenüber werden, denen die Dinge eben nicht egal sind. Meine persönliche Erfahrung ist, dass ein klarer Standpunkt, der bereit ist, sich mit anderen Überzeugungen argumentativ auseinanderzusetzen, Toleranz fördert und gerade nicht behindert.

Die Egal-Haltung dagegen bewirkt das Gegenteil. Sie macht kraftlos, konturlos, schwammig, verhindert die Ausbildung von Charakter, Rückgrat, Persönlichkeit, höhlt den Menschen von innen her aus und vereitelt so eine positive Widerstandskraft, die den fragwürdigen Erscheinungen z.B. des Islam etwas anderes entgegenzusetzen hat als platte Verbote.

Einige Beispiele: Es ist nicht egal, ob ich an Gott glaube oder nicht. Es ist nicht egal, ob ich ein überzeugter und dabei klar denkender Christ bin oder nicht. Es ist nicht egal, ob ich sonntags in die Kirche gehe oder nicht. Es ist nicht egal, ob ich in der Kirche bin oder ausgetreten bin. Es ist nicht egal, ob ich bete oder nicht. Es ist nicht egal, ob ich als Christ zu meinem Glauben stehe oder ihn verberge. Es ist nicht egal, wie wir mit den ungeborenen Kindern umgehen, wie mit kranken, alten, behinderten, sterbenden Menschen. Es ist nicht egal, wie ich mein Geld verdiene, ob ehrlich oder auf krummen Wegen. Es ist nicht egal, ob wir uns als Eltern selbst um unsere kleinsten Kinder kümmern oder dies überwiegend öffentlichen Einrichtungen überlassen … eine Liste, die sich beliebig lang fortsetzen ließe. Es ist nicht egal, weil jede dieser Haltungen unser Leben prägt, in diese oder in jene Richtung, in eine heilsame oder eine unheilsame. 

Wer diesbezüglich wie ein Stephanus den Mut zu niemals fanatischen, wohl aber klaren Positionen hat, der kann gegenüber Moslems in unserem Land tolerant sein, ihren Glauben und ihre Glaubenspraxis achten und respektieren – und zugleich klare Kriterien einfordern: Wie hältst du es mit den Menschenrechten etwa in Bezug auf Zwangsehen, Ehrenmorden, die Scharia usf.? Was wird in den Moscheen gepredigt? Bist du bereit, für die Religionsfreiheit der Christen und anderer Minderheiten in deinem Herkunftsland einzutreten, für Freiheiten, die hier eingefordert, dort aber verweigert werden?

Mir scheint, dass das Schweizer Votum auch ein Votum gegen politische Leisetreterei gegenüber dem Islam und eine kraftlose Egal-Haltung vieler Politiker, Intellektueller und Meinungsmacher ist.

An Weihnachten wir feiern einen Gott, dem wir Menschen gerade nicht egal sind und der deswegen Mensch geworden ist. Wir feiern einen Märtyrer, der Bekennermut hatte. Solche Menschen brauchen wir auch heute: mutige Christen, betende Christen, Christen mit einem klaren Standpunkt, mit einem wachen Verstand, mit Rückgrat, mit Toleranz und Sympathie gegenüber Andersdenkenden, aber immer auch mit dem Mut zum Bekenntnis ihres Glaubens.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright  2009  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de