Predigt vom 10. Januar 2010

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Gottes Liebe und das Leid in der Welt"
Predigttext

Taufe des Herrn / Patrozinium in St. Severin am 10. Januar 2010

Gottes Liebe und das Leid in der Welt

Was trägt unsere Welt? Was trägt unser Leben, was mein Leben? Was trägt die unzähligen glücklichen und traurigen Schicksale von Milliarden von Menschen auf unserer Erde mit all ihren Hoffnungen und Enttäuschungen? Unzählige unter ihnen wenden ihre Blicke immer wieder nach oben, dankend und bittend zum Himmel. Glauben, hoffen und beten sie alle nur in eine unendliche Leere hinein? Ist alles nur eine fatale Illusion?

Oder gibt es sie tatsächlich, diese Stimme, die sich, wie vorhin gehört, gleichsam aus dem „Off“, aus dem „Jenseits unserer Welt“ meldet mit einer unglaublichen Zusage: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ Gibt es den, dem diese Stimme gehört und der in dieser Liebeserklärung an Jesus zugleich uns alle meint, jeden Menschen, also auch mich? Ich – das geliebte Kind eines Vaters im Himmel?

An der Antwort auf diese Frage entscheidet sich letztlich alles, Sinn oder Unsinn unseres Daseins. 

Wenn diese Stimme keine fromme Legende ist, keine Illusion überdrehter Gottgläubiger der damaligen Zeit – dann bedeutet dies: Die Welt und jedes einzelne Wesen in ihr ist getragen von einer unendlichen, alles umgreifenden Liebe. Keine andere Religion der Menschheit hat dies angesichts all des Schrecklichen in der Welt zu glauben gewagt – außer der christlichen. In keiner anderen Religion gibt es eine Aussage wie die aus dem 1. Johannesbrief: „Gott ist die Liebe.“ (1 Joh 4,8.16) Liebe besteht daher nicht zuerst darin, dass wir Menschen lieben, sondern dass wir geliebt sind, dass also Er, Gott, uns zuerst geliebt und seinen Sohn aus Liebe zur Welt und zur Menschheit gesandt hat. (vgl. 1 Joh 4,8ff). Weil es eine unendliche göttliche Liebe gibt, die aller menschlichen Liebe voraus ist, allein deswegen gibt es auch menschliche Liebe.

Dies entspricht ganz und gar unserer Erfahrung: Geliebt-werden geht jedem Selberlieben voraus. Nur wenn Kinder Liebe und Geborgenheit von ihren Eltern her erfahren, kann sich auch in ihnen die Fähigkeit zum Lieben gut entfalten.

Diese Besonderheit unseres Glaubens an die alles tragende und umgreifende Liebe Gottes ist in einem gewissen Sinn aber auch das Problem unseres Glaubens. Denn in keiner anderen Religion stellt sich die Frage nach dem Leid in der Welt und wie dies mit einem guten Gott vereinbar sei, so scharf wie im Christentum.

Buddhismus und Hinduismus haben überhaupt kein Problem mit dem Leid in der Welt. Denn sie sagen: Du bist es selbst Schuld. Es ist dein von dir selbst verursachtes Karma aus früheren Leben, das sich in deinem Leid auswirkt.

Im Judentum wird die Frage nach dem Leid am deutlichsten im Buch Hiob gestellt. Aber hier ist es weniger eine Anfrage an Gott überhaupt und seine Existenz, sondern eine an seine Gerechtigkeit. Überspitzt gesagt, wird der fragende, klagende, ja Gott anklagende Hiob am Ende gleichsam mundtot gemacht. Angesichts der Größe und Macht Gottes und seiner eigenen Kleinheit muss er verstummen. Er muss die Unbegreiflichkeit Gottes anerkennen, und findet in dieser Anerkennung Erlösung und Frieden. Dies ist eine Antwort, die uns die jüdisch-christliche Bibel schenkt, aber nicht die letzte.

Der Islam kennt die Frage nach dem Leid so gut wie gar nicht als Problem. Hier ist Gott ehrfurchtgebietende Allmacht, die alles bis ins Kleinste lenkt und vorherbestimmt, der Mensch aber ist Knecht, dem Gehorsam und Ergebung in den unerforschlichen Willen Allahs aufgetragen ist. Islam bedeutet folgerichtig genau das: Ergebung (in den Willen Gottes). 

All das zeigt, dass es alles andere als ein Zufall ist, dass die sog. Theodizeefrage in keinem Kulturraum so heftig gestellt wurde und wird wie im christlichen; nämlich die Frage: Wie kann ein guter Gott, der nichts als Liebe ist, all das Leid und das Böse in der Welt zulassen? Muss hier nicht der bekannte und vielzitierte Satz aus „Dantons Tod“ von Georg Büchner gelten: „… warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus.“

Was aber ist die Konsequenz dieser Antwort? Sie ist mir erst kürzlich noch einmal sehr deutlich aufgegangen in einem Kinofilm, nämlich im letzten und noch laufenden Film von Woody Allan „Whatever Works – liebe sich wer kann“. Der Himmel ist in diesem Film leer, die Erde allein dazu da, ein wenig Glück und Lust zu erhaschen, wenn es sich zufällig anbietet. Der Glaube wird auf eine ziemlich simple Weise ad absurdum geführt, nämlich in Gestalt zweier bigotter Südstaatler, abstoßend frömmlerisch, aber in der Ehe scheiternd, die im liberalen New York die Liebe zu Dritt bzw. ihre Homosexualität entdecken. Die Hauptfigur, ein gescheiterter, menschenhassender Physikprofessor, findet nach einer kurzen Ehe mit der jungen Tochter der Südstaatler eine neue Liebe anlässlich seines zweiten Selbstmordversuchs; denn beim Sprung aus dem Fenster fällt er auf eine Frau, die er schwer verletzt – und mit der er, nach ihrer Gesundung, eine neue Liaison eingeht. Fazit: Die Erde ist nichts anderes als die Bühne für eine Ansammlung aller möglichen Zufälle und Absurditäten. Der eine hat Glück, der andere Pech. Die Stimmung, die über dem Film liegt, ist Resignation und noch mehr Zynismus.

Die Leugnung Gottes hilft in der Tat keinem einzigen Leidenden in der Welt. Im Gegenteil: Resignation, Zynismus, Menschenverachtung, Spott über die Schicksale der Menschen sind nur allzu oft die verschwisterten Begleiter des Atheismus und haben menschliches Leid häufig nochmals um ein Vielfaches vermehrt.

Was aber ist unsere christliche Antwort? Es ist keine, die das Leid in der Welt erklärt und verständlich macht. Ich möchte sie suchen in jenem „Hymnus an die Kirche“ von Gertrud von le Fort, den (unser heute verabschiedeter Kirchenmusiker) Albert Neuhauser in seinem Abschiedsbeitrag im letzten Pfarrbrief zitiert hat. (Dies ist auch der Grund für die Thematik dieser Predigt.)

In diesem Hymnus spricht die Kirche: 

Ich will ein Gloria singen, 
dass die Wipfel meiner Türme mit den Glocken rauschen:
Alles Leid der Erde lobe den Herrn!
Es lobe ihn das Arme und Verbannte, es lobe ihn das Enttäuschte und Enterbte, es lobe ihn alles Nie-Gestillte!
Es lobe ihn die lichte Qual des Geistes und die dunkle Qual der Natur!
Es lobe ihn die heil`ge Qual der Liebe. …

Es lobe ihn das Weh der Schuld, es lobe ihn das Weh der Vergängnis, es lobe ihn das bittre Weh des Todes! …

Denn (- und nun gibt die Dichterin Antwort, warum Gott auch durch das Leid gelobt werden kann -) das Leid der Erde ist selig geworden, weil es geliebt wurde: 

Siehe, das Holz des Kreuzes, woran das Heil der Welt hing!“ …

Das Leid der Welt wurde einmal liebend umfangen von dem, der die Liebe selbst ist. Nicht das Leid als solches, sondern die Liebe hat alles Leid, alles Böse, alles Dunkel unserer Welt erlöst; die Liebe Gottes, die sich nicht scheute, dieses Dunkel auf sich zu nehmen und sich gerade so als unendliche Liebe zu offenbaren. 

Ostern macht diesen Sieg der Liebe über alle Kräfte des Todes, der Zerstörung, des Hasses offenbar. Daher fährt die Dichterin fort:

Und ich hörte eine Stimme aus der Nacht …
„Wer will die Krone des Heilands tragen?
Und meine Liebe sprach: „Herr, ich will sie tragen.“
Und ich hob die Krone auf meine Stirn,
da brach ein Licht an ihr auf,
das war weiß wie das Wasser in den Bergen. …

Und ich rief mit großem Erschrecken: „Herr, wohin willst du, dass ich die Krone trage?“

Und die Stimme antwortete: „Du sollst sie ins ewige Leben tragen.“

Da sprach ich: „Herr, es ist eine Krone von Leid, lass mich an ihr sterben!“

Aber die Stimme sprach: „Weißt du nicht, dass leid unsterblich ist? Ich habe das Unendliche verklärt: Christus ist erstanden!“

Da riss mich das Licht hinweg - - - 

In diesem Hymnus wird das Leid nicht erklärt, genauso wenig wie Gott es erklärt. Gott trägt es, mit uns und für uns. So trägt und umfängt Er mit seiner Liebe die ganze Welt, indem Er auch ihr Leid trägt und – es tragen hilft.

Unsere Taufe auf den Tod und die Auferstehung Jesu, die Eucharistie, in der wir Tod und Auferstehung Christi vergegenwärtigen, die Liturgie, die Lieder, die Kirchenmusik – all das bezeugt im Zusammenklang, dass wir, dass das Leid, dass die Welt erlöst ist, dass uns also, wenn wir unseren Blick zum Himmel erheben, nicht gähnende Leere, sondern die Stimme begegnet:

„Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter.“

Pfr. Bodo Windolf

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