Predigt vom 2. April 2010 (Karfreitag)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"
War Erlösung auch anders möglich? – Der Sinn des Kreuzestodes Jesu"
Predigttext

Karfreitag 2010

War Erlösung auch anders möglich? – Der Sinn des Kreuzestodes Jesu

Wir Menschen wollen verstehen – die Welt um uns herum, uns selbst, unsere Mitmenschen, nicht zuletzt auch unseren Glauben. Nicht ganz leicht tun sich so manche Gläubige mit dem, was wir heute feiern: Wie ist dieser grausame Tod zu verstehen? Was ist das für ein Gott, der seinen Sohn derart leiden und sterben lässt für die Erlösung der Welt? Wäre es nicht auch anders gegangen? Weniger grausam, weniger blutig?

Die Antwort kann nur lauten: Natürlich wäre es auch anders gegangen. Es wäre absurd anzunehmen, Gott hätte irgendeinem Zwang unterlegen, aufgrund dessen er nur so hätte das Heil der Welt wirken können. Aber menschliches Nachdenken über den Glauben kann nicht zum Inhalt haben, was und wie Gott es auch hätte machen können, sondern soll bedenken und meditieren, was Gott tatsächlich getan hat. Was will uns Gott in der Gestalt Seines gekreuzigten Sohnes zunächst über sich selbst zeigen, was dann aber auch über uns Menschen?

Menschliches Nachdenken darüber ist auf einen schier unglaublichen Text aus der Antike gestoßen, auf den Text eines Philosophen, nämlich Platons, der etwa 400 Jahre vor dem Tod Jesu niedergeschrieben wurde. Im II. Buch seiner „Politeia“ denkt Platon darüber nach, wie der vollkommen Gerechte aussehen müsste, ein Mensch also, der „nicht nur gut scheinen, sondern gut sein will“. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Gerechte gerecht sein müsste, ohne dafür Lohn oder einen anderen Vorteil erwarten zu können; gerecht rein um der Gerechtigkeit willen. Er müsste, „ohne ein Unrecht zu tun, den Ruf der größten Ungerechtigkeit tragen“, er dürfte „sich nie durch üble Nachrede und ihre Folgen erweichen lassen“, müsste durchs Leben gehen „unwandelbar bis zum Tod – im Rufe des Ungerechten, in Wirklichkeit aber gerecht“. Schließlich schreibt Platon:  „Ein Gerechter solcher Art wird gegeißelt, gefoltert, gefesselt, geblendet, schließlich nach all diesen Misshandlungen gekreuzigt werden ...“ Dass Unrecht erleiden besser ist als Unrecht tun und dies nur der vermöge, der „nicht seine eigene Ehre sucht“, sondern sich „straflos auf die Backe schlagen lässt, sind Sätze, die wir ebenfalls bei Platon finden. (vgl. H.U. v. Balthasar, H III,1, 157)

Einen ganz ähnlichen Gedanken kennt das Alte Testament. Im Buch Hiob behauptet Satanas – hier zu verstehen als der „Ankläger“ – als Gott ihn auf den gerechten Hiob hinweist, dieser sei ja nur deshalb gut, weil er dafür reichlich entlohnt würde mit einem guten Leben. Beide schließen eine Wette ab, bei der Gott auf Hiob setzt und Satanas erlaubt, ihm die Familie, den Reichtum, zuletzt auch die Gesundheit zu nehmen. Während Hiobs Frau zu ihm sagt: „Lästere Gott, und stirb!“, erwidert Hiob: „Gott hat gegeben, Gott hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn. Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ (1,21; 2,10)

Schließlich begegnet uns im AT noch der leidende Gerechte der Gottesknechtslieder. „Bei den Ruchlosen gab man ihm sein Grab, bei den Verbrechern seine Ruhestätte, obwohl er kein Unrecht  getan hat.“ Zugleich geht dieser Text über die genannten hinaus, denn er gibt dem Leiden des misshandelten Gerechten einen Sinn: „Der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen … wegen der Verbrechen seines Volkes wurde er zu Tode getroffen … Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein.“

In all diesen Jahrhunderte vor Christus verfassten Texten begegnen uns Ahnungen der Menschheit von dem, was im Geschick Jesu real geworden ist. Wenn wir dann noch das Wort „gerecht“ durch das Wort „Liebe“ ersetzen, dann sind wir ganz bei Ihm, dem Gekreuzigten. „Niemand hat eine größere Liebe als wer sein Leben hingibt für seine Freunde.“ „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn dahingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ „Da er die Seinen liebte, liebte er sie bis zur Vollendung.“

Man kann das Neue Testament aufschlagen, wo man will, überall springt uns entgegen, dass hier nichts als Liebe am Werk ist. Nicht das Leiden erlöst uns, sondern die Liebe. Aber nirgendwo anders kann sich die Liebe als so groß erweisen wie hier, wo das Böse der Welt über diesem liebenden Gerechten zusammenschlägt. Im Meer dieser göttlichen, nein gott-menschlichen Liebe wird das Böse, die Schuld, die Sünde der Welt getragen und ertränkt. Nur dieses Meer der Liebe war und ist all dem Bösen und dem Leid in der Welt gewachsen. Auch wenn Er anders gekonnt hätte – billiger als so wollte Gott die Menschheit nicht erlösen; denn es hätte ein Weniger an Liebe bedeutet. Auf den Gekreuzigten schauen, heißt daher, unmittelbar auf Gottes Liebe schauen; heißt schauen darauf, was aus dieser Liebe wird, wenn sie auf menschliche Ablehnung, Hass, Gleichgültigkeit stößt; heißt daher auch schauen darauf, was Sünde und Schuld bei Menschen anrichten. 

Angesichts des Gekreuzigten kann es keine Verharmlosung und Bagatellisierung des Bösen mehr geben. 

Aber das Entscheidende ist, welche Hoffnung uns im Bild des Gottessohnes am Kreuz geschenkt ist: Wer als Leidender auf Ihn schaut, weiß, dass es kein sinnloses Leid mehr gibt, dass es überwunden wird auf unvorstellbare Freude hin. Wer als Opfer von menschlicher Bosheit, Misshandlung und Missbrauch auf Ihn schaut, kann sehen, dass über alle nötige menschliche Hilfe hinaus in Ihm Heil und Heilung gefunden werden kann. Wer als schuldig Gewordener auf Ihn schaut, sieht, dass uns hier eine Liebe und Barmherzigkeit ansichtig wird, die immer größer ist als selbst die größte Schuld; eine Barmherzigkeit, die nichts anderes will als Verzeihung und Neuanfang schenken. Wer einfach als Glaubender auf Ihn schaut, sieht sich gerufen, den Leidenden dieser Erde ein Mitmensch, ein Mitleidender, ein Helfer zu sein. 

Und schließlich heißt, auf Ihn zu schauen, zu verstehen, dass uns hier eine Liebe begegnet, die alles menschliche Verstehen übersteigt. Wer das verstanden hat, fängt an, still zu werden, dankbar zu werden, anzubeten. Das wollen wir tun, wenn wir nun miteinander das Kreuz Jesu, unseres Erlösers, verehren.

Pfr. Bodo Windolf

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