Predigt vom 5. April 2010 (Ostermontag)

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Leibliche Auferstehung und Missbrauch – wie Leib und Seele zusammenhängen"
Predigttext

Ostermontag 2010 

Leibliche Auferstehung und Missbrauch – wie Leib und Seele zusammenhängen

Ich kann mir vorstellen, dass einige von Ihnen des Themas Missbrauch schon ziemlich überdrüssig sind. Aber mir scheint es so bedrängend, dass ich es noch einmal ansprechen möchte. Allerdings will ich mir den Weg zum Thema über Überlegungen ganz anderer Art bahnen.

Werfen wir gemeinsam einen Blick auf die Ostererscheinungen Jesu. Alle Berichte sind von einer seltsamen Paradoxie gekennzeichnet. Er lässt sich von seinen Jüngern berühren, geht aber durch verschlossene Türen. Er wird gesehen, entzieht sich aber, wenn es ihm gefällt, ihren Blicken. Er erscheint wie ein Fremder, wird dann aber doch erkannt als ihr Herr und Meister. Er erscheint in überirdischer Schönheit, aber die Wunden der Kreuzigung sind nach wie vor sichtbar. Er speist vor den Augen der Jünger, spricht von einem Leib aus Fleisch und Knochen, den er hat, zugleich aber gehorcht sein Leib offensichtlich ganz  anderen Gesetzen als den irdischen. Die österlichen Erscheinungsberichte sind durch einen fast befremdlichen leiblichen Realismus gekennzeichnet, betonen aber zugleich die völlige Andersartigkeit des Auferstehungsleibes Jesu. So mancher mag fragen: Hätte es nicht genügt zu sagen, Jesus lebe weiter, sei vielleicht auch erschienen, aber in einer rein geistigen Gestalt und eben nicht in diesen so seltsam anmutenden Materialisationen?

Ich kann mir gut vorstellen, dass viele sich damit sehr viel leichter täten. Dem aber steht der biblische Auferstehungsglaube insgesamt entgegen, der nie einfach nur das Weiterleben der Seele meinte, sondern immer auch leibliche Auferweckung meint.

Dieser Befund kann anregen, einmal etwas tiefer über unseren Leib und seine Beziehung zu unserer Seele nachzudenken.

Wie eng Leib und Geist, Leib und Seele beim Menschen ineinander verflochten sind, zeigt allein schon das menschliche Antlitz. „Ab einem bestimmten Alter ist man verantwortlich für das Gesicht, das man hat“, schrieb einmal Albert Camus. Charaktereigenschaften wie Freundlichkeit, Güte, Milde, Entschlossenheit, Willensstärke, aber auch Härte, Hass, Häme, Wehleidigkeit spiegeln sich in einem menschlichen Gesicht; genauso ein arbeits- und entbehrungsreiches Leben, Schicksalsschläge, Gram, Trauer, Verbitterung.

Das Minenspiel eines Menschen, besonders die Augen, verraten Fröhlichkeit, Traurigkeit, Übellaunigkeit, Schalk, Humor, man sieht sehr genau den Unterschied zwischen Freude und Schadenfreude.

Die Hand ist neben dem Gesicht sicher der „geistigste“ Teil unseres Körpers. Was können wir mit ihr nicht alles ausdrücken: Willkommen, Entschuldigung, Abwehr, Zorn, Drohung, Abwinken, Verachtung, Zuneigung und Zärtlichkeit durch Streicheln, Liebkosen, Umarmen. Auch die vielen psycho-somatischen Erkrankungen weisen auf die enge Beziehung von Leib und Seele hin; denn Verstörungen der menschlichen Seele schlagen sich häufig nieder in körperlichen Symptomen und umgekehrt.

Wenn wir über diesen Zusammenhang nachdenken, kommen wir nicht am Thema Missbrauch an Kindern und Jugendlichen vorbei. Hier ist die Verflechtung von Leib und Seele besonders evident, denn missbraucht wurde und wird der Leib, zerstört die Seele unzähliger Menschen. Dazu nun einige Gedanken:

So manche innerkirchliche Stimme bedauert sehr die Medienkampagne, die sich in diesem Zusammenhang überwiegend gegen die katholische Kirche richtet. Natürlich würde auch ich mir ein wesentlich höheres Maß an Objektivität und Fairness der Kirche gegenüber wünschen. Dennoch bin ich – und ich weiß dies auch von vielen anderen Priestern – sehr froh, dass die von katholischen Priestern und Ordensleuten verursachten Missbrauchsfälle auch und gerade über die Medien ans Tageslicht gekommen sind. Der Schritt in die Öffentlichkeit ging übrigens von kirchlicher Seite aus, nämlich vom Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Mertes, der das Ganze ins Rollen brachte und führte dazu, dass endlich der ganze innerkirchliche Sumpf auf diesem Gebiet öffentlich in den Blick genommen wurde und wird. Die Beteiligung leider auch der Kirche an diesen furchtbaren Verbrechen an anvertrauten Schützlingen hat ihr verständlicher Weise bei vielen Menschen einen massiven Einbruch an Vertrauen und Glaubwürdigkeit eingebracht. So sehr auch ich das bedauere, sehe ich darin aber viel eher eine Chance. Dass nämlich in der Kirche endlich ein Reinigungs- und Läuterungsprozess beginnen kann. Dass man sich endlich uneingeschränkt auf die Seite der Opfer und nicht auf die der Täter stellt. Dass endlich den Opfern geholfen wird. Und schließlich dass zumindest alles Menschenmögliche getan wird, um künftig Missbrauch zu verhindern. 

Weniger froh bin ich allerdings – auch das ist zu sagen und hinzuzufügen – über die Art der Diskussion. Weniger wegen der Kirche. Wenn sie sich offensiv und ohne jedes Vertuschen dem Problem stellt – so verlangt es Rom und der Papst, so ist es in Amerika geschehen, so geschieht es jetzt in Deutschland – dann wird ihr das auch wieder das Vertrauen der Menschen einbringen. Sorge macht mir die derzeitige Medienkampagne, weil sie den heutigen Opfern von Missbrauch nicht hilft. Wenn man es recht bedenkt, findet dasselbe statt wie vorher, nur unter umgekehrtem Vorzeichen. Statt wirklich um die Opfer geht es wieder in erster Linie um die Kirche, diesmal nicht, um ihr Ansehen zu schützen, sondern um ihr Ansehen zu zerstören. Die Opfer aber geraten wieder aus dem Blick und werden instrumentalisiert für einen anderen Zweck.

Dies will ich begründen: Fast alle recherchierten Fälle von Missbrauch in katholischem Milieu liegen Jahre und Jahrzehnte zurück. Als eine der ersten wenn nicht die erste Institution in Deutschland haben unsere Bischöfe 2002 Richtlinien für den Umgang mit Missbrauch verabschiedet, die sich schon sehr bewährt haben und die man, soweit es notwendig ist, weiter verbessern will. So schlimm und unentschuldbar jeder einzelne Fall ist – im Vergleich zu den Missbrauchszahlen bezogen auf ganz Deutschland stellen die kirchlichen Fälle einen verschwindend kleinen Anteil dar. Laut Statistik des Bundeskriminalamtes sind seit 1995 210.000 Anklagen auf sexuellen Missbrauch an Minderjährigen in Gesamtdeutschland anhängig, davon betreffen nur ca. 100 Fälle kirchliche Mitarbeiter. Ich möchte dazu Prof. Hans-Ludwig Kröber zitieren, der am Institut für forensische Psychiatrie der Charité in Berlin arbeitet: „Das Ärgerliche an der Debatte ist unter kriminologischem und Kinderschutz-Aspekt, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Bereich (nämlich den kirchlichen) gelenkt wird, aus dem den Kindern zumindest in Deutschland in Wahrheit am wenigsten Gefahr droht.“ Will man den Opfern helfen, dann muss man überall hinschauen, wo es Missbrauch gibt.

Die Option unseres Münchener Bischofs ist klar und eindeutig: Er will, so habe ich es ihn bei einem Treffen mit Priestern am vergangenen Mittwoch sagen hören, ohne Rücksicht auf kirchliches Ansehen aufklären, den Opfern helfen, die Täter zur Verantwortung ziehen, Maßnahmen zur Prävention ergreifen. Genau das ist im übrigen auch das Anliegen des Papstes. 

Darüber hinaus zeigen die genannten Zahlen über Missbrauch, der überall stattfindet, wo Erwachsene engen Kontakt mit Kindern haben, dass Kindsmissbrauch weder ursächlich mit dem Zölibat zusammenhängt noch mit der kirchlichen Sexualmoral. Der Vorgängerpapst Johannes Paul hat, was leider nur sehr Wenigen bekannt ist, in zahlreichen Katechesen zu Beginn seines Pontifikats über den menschlichen Leib, seine Geschlechtlichkeit und den tiefen Sinn recht verstandener Sexualität gesprochen und so manche Enge, Prüderie und Verklemmtheit, die es innerkirchlich in früheren Jahrzehnten in der Tat vielfach auf diesem Gebiet gegeben hat, überwunden. Was er die „Theologie des Leibes“ genannt hat (es kann in einem Buch desselben Titels von Christopher West nachgelesen werden), hat er einmal sinngemäß in diesem Satz zusammengefasst: Die menschliche Sexualität so zu genießen, dass sie einen anderen Menschen niemals benutzt und zum reinen Objekt (der persönlichen Begierde) macht, darum geht es im Grunde der kirchlichen Sexualmoral. 

Wir heute leben in einer Zeit, in der insbesondere der weibliche und der kindliche Körper – Stichwort Pornographie, Kinderpornographie, Sextourismus, usf. – wie wohl nie zuvor in der Menschheitsgeschichte ausgebeutet, versklavt, missbraucht und zu sehr, sehr viel Geld gemacht wird. Wer sich ohne Prüderie und Verklemmtheit an die recht verstandene kirchliche Sexualmoral hält, tut all das nicht und beteiligt sich auch nicht in irgendeiner Form etwa als Konsument z.B. im Internet oder anderswo an diesem widerlichen Betrieb.

Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Der kirchliche Glaube an die leibliche Auferstehung Jesu und unsere eigene leibliche Auferstehung zeigt, wie kostbar dem christlichen Glauben der Leib ist. Er ist das Instrument unserer Seele schlechthin. Alles Gute, das wir tun, tun wir mit unserem Leib. Alles Böse, das wir tun, tun wir ebenfalls mit unserem Leib. Durch den Leib hindurch berühren wir in einem guten oder in einem schlimmen Sinn immer auch die Seele unserer Mitmenschen: in der Ehe, in der Familie, auch in der Pflege und in vielen anderen Bereichen unseres Lebens. Daher sollen wir ihn, den Leib, nicht vergötzen, wohl aber kostbar halten. Denn wenn wir mit ihm Gutes tun, werden wir ihn in der Ewigkeit in einer unausdenkbaren verwandelten Form wiedererhalten. Das meint leibliche Auferstehung.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright  2010  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de