Predigt vom 13. Juni 2010

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Den Sünder lieben, aber nicht die Sünde."
Predigttext

11. Sonntag i. J.  C  2010     13. Juni 2010

(Lk 7,36-8,3)

Den Sünder lieben, aber nicht die Sünde. Barmherzigkeit statt Selbstgerechtigkeit

Drei Menschentypen stellt uns das heutige Evangelium vor Augen: es begegnen einander ein sogenannter Gerechter, Simon, der Pharisäer, ein Heiliger, Jesus, und eine Sünderin, deren Name nicht genannt wird. Um das Unterscheidende zwischen dem Gerechten und dem Heiligen deutlich zu machen, möchte ich auf einen Witz zurückgreifen, den ich vor einiger Zeit gehört habe, der fast ein wenig grenzwertig ist. Aber ich traue mich trotzdem, ihn wiederzugeben, weil ich erstens überzeugt bin, dass der Himmel mit Humor gesegnet ist (genau so wie unser Kaplan), und weil er uns zweitens etwas sehr Wichtiges sehr plastisch vor Augen führt:

Sie alle kennen die folgende Begebenheit, die das Johannes-Evangelium erzählt: Pharisäer bringen eine Frau zu Jesus, von der sie sagen: „Sie ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden. Das Gesetz schreibt vor, dass Ehebruch mit Steinigung zu bestrafen ist. Was sagst du dazu, Meister?“ Jesus antwortet zunächst nicht, schreibt mit dem Finger etwas Unbekanntes in den Sand. Als aber die Pharisäer insistieren, sagt er das bekannte Wort: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Kaum hat Jesus das gesagt, kommt von hinten ein Stein geflogen. Jesus dreht sich um und sagt: „War das wirklich nötig, Mutter?“

Wie gesagt, dieser Witz ist tatsächlich ein wenig pietätlos gegenüber der Mutter Gottes, aber letztlich doch harmlos, weil wir alle intuitiv und unmissverständlich wissen: Auch wenn Maria als vollkommen Sündelose nach den Worten Jesu als Einzige gewissermaßen ein „Recht“ gehabt hätte, einen Stein zu werfen – es ist unvorstellbar, dass sie es je hätte tun können. Denn wenn wir das allen Ernstes behaupten würden, träte eine vollkommen andere Maria vor unsere Augen als, die, die wir als die Mutter Jesu verehren. Als vollkommen Sündelose und damit als vollkommener Mensch können wir uns sie nur vorstellen, wenn sie zugleich grenzenlos barmherzig ist. Jemand, der alle Gesetze hielte, nie einen Fehler oder eine Sünde beginge, aber zugleich ein hartes Herz hätte gegenüber unvollkommenen Menschen, könnte für uns nur ein Zerrbild von Vollkommenheit und Sündelosigkeit sein.

Genau dieses Zerrbild von Gerechtigkeit tritt uns im Pharisäer Simon entgegen. Er ist streng gläubig, fromm, gesetzestreu. Diesen Menschentyp treffen wir nur allzu oft an: allerdings nicht nur unter den Frommen, auch unter den Nicht-Frommen, nicht nur unter den 100prozentig Kirchentreuen, auch unter gnadenlosen Kirchenkritikern, nicht nur unter Gläubigen, auch unter Ungläubigen. Es ist der Menschentyp, der die Sensibilität für das eigene Schuldigwerden  verloren hat. Wer dieses Gespür nicht oder kaum mehr kennt, sollte dies als ein echtes Alarmzeichen ansehen. Denn wer die eigene Unvollkommenheit nicht immer wieder auch schmerzhaft erlebt, sie sich bewusst macht und sich ihr in aller Ehrlichkeit stellt, kann menschlich und geistlich nicht wachsen. Ein solcher Mensch wird ganz schnell selbstgerecht und verunmöglicht die persönliche Reifung. Nur das selbstkritische Erleben und Annehmen eigener Unzulänglichkeit eröffnet die Chance, in seinem Gewissen nicht stumpf zu werden oder gar zu verwahrlosen, eröffnet die Chance, sich zu ändern, zu reifen und zu wachsen.

Dem selbstgerechten Gesetzestreuen gegenüber ist Jesus nun durchaus kein Mensch, der Gesetzestreue gering achten würde. Im Gegenteil, er betont ausdrücklich: Ich bin nicht gekommen, das Gesetz aufzuheben, sondern es zu erfüllen. Jesus besteht auf den Geboten, auch auf den unpopulären. Er verurteilt daher die Sünde, aber er liebt den Sünder und möchte nichts lieber, als ihm Barmherzigkeit und Vergebung schenken.

Diese kann er aber überhaupt nur schenken, wenn der Sünder sich als Sünder, d.h. als ein der Barmherzigkeit Gottes Bedürftiger, anerkennt. Genau für diese Haltung aber steht die Frau im Evangelium, und genau diese Haltung macht sie in den Augen Jesu groß. Nicht ihre Sünde, worin auch immer sie bestanden haben und wie groß und wie schwer sie auch gewesen sein mag, ist in seinen Augen das Entscheidende, sondern ihre Fähigkeit, ihre Schuld zu erkennen, sie nicht psychologisch klein- oder wegzureden, sie auch nicht schön zu reden oder auf andere zu schieben, sie nicht zu verdrängen, sondern zu ihr zu stehen und sie zugleich der Vergebung Jesu anzuvertrauen.

Dem Pharisäer hätte sie sich nie im Leben anvertrauen können; gegenüber Jesus vermag sie dies, weil sie weiß und spürt: Er verachtet mich nicht, er verurteilt mich nicht; nein, ER achtet meine Würde als Mensch, meine Würde als Frau, er will mein durch eigene und fremde Schuld verwundetes Leben heilen; er will mir einen Neuanfang schenken.

Mit Schuld, mit Sünde, wie klein, scheinbar harmlos oder auch groß sie sein mag, können wir nur auf diese Weise fertig werden: sie anschauen und uns ihr stellen können wir, wenn wir um den wissen, der mit mir barmherzig umgeht und sie mir auch wegnehmen kann; vergeben lassen können wir sie uns, wenn wir sie um Vergebung bittend Gott hinhalten.

Genau das wäre im übrigen auch die eigentliche Aufgabe der Kirche in unserer Zeit: Mit großer Klarheit die Gebote und Weisungen Gottes zu verkünden, auch die, mit denen sie quer liegt zum Zeitgeist und daher Anstoß erregt, so wie dies auch bei Jesus der Fall war. Aber sobald die Kirche dabei pharisäisch, selbstgerecht, einfach nur verurteilend und zu wenig barmherzig und liebend erlebt wird, verfehlt sie ebenfalls ihren Auftrag.

Das heutige Evangelium ist eine Anfrage an die Kirche insgesamt und darin an jeden von uns: Bin ich sensibel für eigene Sünde und Unvollkommenheit? Kann ich sie bei mir und anderen klar sehen und beim Namen nennen? Kann ich aber zugleich auch barmherzig sein und barmherzig mit der Unvollkommenheit anderer umgehen?

Pfr. Bodo Windolf

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