Predigt vom 5. September 2010

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Hassen und lieben - Jesu Konzept der Nachfolge"
Predigttext

23. Sonntag im Jahreskreis   Lk 14,25-33    5. September 2010

Hassen und lieben – Jesu Konzept der Nachfolge

Es ist bisweilen ein Kreuz mit der Einheitsübersetzung. Immer wieder glättet sie den Text, entschärft (vermeintliche) Härten und macht ihn so mundgerecht, dass das Wort Jesu am Ende um seine Pointe und seine Rede um ihren Sinn gebracht wird. So auch in der Perikope zum heutigen Sonntag. Denn was Jesus hier wörtlich sagt, stößt zunächst einmal auf eine unerhörte Weise vor den Kopf: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein eigenes Leben hasst – so muss es hier heißen und nicht nur: gering achtet – dann kann er nicht mein Jünger sein.“

Wie kann Jesus so etwas sagen? Er redet ja nicht nur davon, dass, wer ihm nachfolgen will, das Böse verabscheuen und böse Menschen meiden solle. Vielmehr scheint er etwas zu fordern, das nicht nur unseren elementarsten Gefühlen widerspricht, sondern auch dem Gebot Gottes selbst, ja sogar seinen eigenen Weisungen: Du sollst Vater und Mutter ehren, lautet das vierte Gebot. Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst, ja nicht nur deine Nächsten, sondern sogar deine Feinde; um wie viel mehr dann die eigenen Familienangehörigen und im übrigen auch sich selbst.

Begegnet uns Jesus hier unversehens als ein Hassprediger, oder welchen Reim sollen wir uns auf diese seine Worte machen?

Etwas verabscheuen, weil es höheren Werten entgegensteht

Wenn Jesus so hart und so herausfordernd spricht, dann müssen wir um so genauer hinhören, das Wort in seiner Härte stehen lassen und um so nachdrücklicher forschen, was er meinen könnte.

Versuchen wir uns dem Gemeinten durch ein alltägliches Beispiel anzunähern. Ein guter Tropfen Wein, ein kühles Bier, ein saftiger Braten, eine schmackhafte Sahnetorte – all das sind Dinge, die gut und schön sind. Das gilt allerdings nur so lange, wie ich nicht, etwa aus gesundheitlichen Gründen, abnehmen will oder muss. Auf einmal werden mir diese an und für sich guten Dinge um eines höheren Zieles willen gleichsam zum Feind. In einem gewissen Sinn gilt es, sie zwar nicht in sich selbst, wohl aber so zu verabscheuen, wie man etwas verabscheut, das mich von meinen heilsamen Zielen abzubringen und so in mein Unglück zu locken droht.

Übertragen wir das nun auf das im Evangelium Gesagte: Jesus weiß sich und verkündet sich als den, an dem sich unser letztes Heil oder Unheil, ewiges Leben oder ewiger Tod entscheidet. Die Entscheidung für oder gegen ihn kommt der Entscheidung für oder gegen Gott gleich und damit der über Gelingen oder Scheitern unseres Lebens.

Und so stellt sich die Frage: Gibt es Dinge, die sich so zwischen ihn und uns stellen können, dass wir das letzte und eigentliche Ziel verfehlen können?

Selbst Gutes kann zum Feind Gottes werden

Jesus sagt eindeutig: Ja, diese Dinge gibt es, und es sind nicht zuletzt die kostbarsten, die dies bewirken können. Romano Guardini schreibt dazu folgendes: „Was hasst man denn? Das, was dem eigenen Lebenswillen entgegensteht, den Feind. Und nun sagt Jesus: In allem, was dich umgibt, ist ein Feind. Nicht nur die unerlaubten, die niedrigen, die bösen, auch die guten, großen und schönen Dinge tragen den Feind in sich. (…) Sobald also der Mensch sich anschickt, dem Ruf Jesu zu folgen, fühlt er den Feind, der in allem ist. Nicht nur im Bösen und Niedrigen, sondern auch im Guten und Großen. Nicht nur draußen, sondern auch in ihm selbst. Er selbst vor allem ist sich Feind, denn wie er zu sich selbst steht, ist von der Sünde bestimmt“ (Der Herr, 212).

Gerade das Beste, weil es so kostbar und so gut ist, kann zum größten Feind Gottes werden. Das gilt nicht zuletzt auch und gerade für die Familie und die Sippschaft mit ihrem Anspruch, den sie besonders in archaischen Kulturen an das einzelne Familien- oder Sippenmitglied stellt, aber durchaus auch noch innerhalb unserer hochindividualisierten Gesellschaft. Ein Ausscheren aus dem Sippenwillen war oftmals unmöglich, es sei denn um den Preis des Ausgeschlossenwerdens oder gar des Todes (denken wir an so etwas wie Ehrenmorde oder die Verfolgung oder gar Tötung von Moslems, die sich taufen lassen, durch die eigene Familie). Das Gewissen des Einzelnen hatte im Gleichtakt mit den Überzeugungen und Interessen der Familie zu ticken.

Gegen solche Absolutsetzungen, die sich gegen das Gewissen und gegen Gott selbst stellen können, wendet sich Jesus. Er spricht ganz sicher nicht gegen die Familie als solche, wohl aber gegen deren absolute Überhöhung. Familie, Eltern, Geschwister sind ein hoher Wert, aber nicht der höchste. Wo beide Ansprüche gegeneinander stehen, kann der Anspruch der Familie zum Feind Gottes werden. Nicht in sich selbst darf die Familie und der Einzelne in ihr gehasst werden, wohl aber das, was sich dem klar erkannten Willen Gottes entgegenstellt. Um die Entschiedenheit auszudrücken, mit der Jesus dies fordert, ist ihm das Wort Hass gerade kräftig genug.

Dasselbe gilt für die Beziehung zu sich selbst. Auch ich selbst mit meinen Leidenschaften, Wünschen, Versuchungen werde immer wieder zum Feind Gottes und darin, bewusst oder unbewusst, mir selbst zum Feind. Auch hier soll ich nicht mich selbst als solchen hassen, sondern mich in all dem, was mich gegen Gott, gegen Christus aufbringt, was mich seinen Ruf überhören und nicht beantworten lässt, was mich rein auf mich selbst zurückwirft und darin auch mich mir selbst zum Feind macht.

„Hassen“ als eine Weise des Liebens

Hassen bedeutet hier kein Gefühl, sondern eine klare Abgrenzung und die Verbannung des Vorletzten vom ersten Platz, den es immer wieder beansprucht, in das ihm angemessene zweite oder dritte Glied.

Versuchen wir es konkret werden zu lassen an einem Beispiel: Ein junger Mann, eine junge Frau verspürt den Wunsch und Ruf zum Priestertum oder Ordensleben. Die Eltern aber wehren sich ganz entschieden dagegen, versuchen ihr oder ihm diese „Flausen“ auszureden, drohen vielleicht sogar mit Abbruch jeden Kontakts. Leider gibt es diese Fälle. Auch innerhalb einer Ehe kann es zu entsprechenden Konflikten kommen, etwa wenn nur einer von beiden im Glauben steht, betet, den Sonntagsgottesdienst besucht, während der andere von all dem nichts hält und die Versuchung groß wird, sich um des lieben Friedens willen dem religiös Gleichgültigen anzupassen.

Jesus weiß, welches Kreuz es bedeuten kann, ihm den ersten Platz einzuräumen. Aber er weicht keinen Schritt zurück, lässt keine falschen Kompromisse gelten: „Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.“

Wenn Jesus Kreuz sagt, müssen wir als Christen seit seiner Auferstehung immer Ostern mitdenken. Das bedeutet: Nachfolge geht immer auf Ostern und damit auf Freude zu, aber nicht ohne Karfreitag, nicht ohne das Kreuz, nicht ohne „Hass“ auf das – um es in der Sprache des Evangeliums zu sagen – was der Liebe zu Gott entgegensteht, was mich also von Gott und damit von mir selbst entfremdet.

Resümierend lässt sich sagen: Nicht der Hass des Gotteskriegers ist hier gemeint, der sich anmaßt, als Mensch das Gericht Gottes selbst gegen dessen (angebliche) Feinde zu vollstrecken, sondern „Hass“ als stärkstmöglicher Ausdruck einer Liebe, die Gott und Jesus Christus nichts anderes vorzieht.

Pfr. Bodo Windolf
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