Predigt vom 21. November 2010

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Der „Titulus“ und die List Gottes"
Predigttext

34. Sonntag i. J.     Lj. C    2010      21. November 2010

Der „Titulus“ und die List Gottes

Wer von Ihnen schon einmal in Rom war, hat wahrscheinlich auch die Kirche „Santa Croce in Gerusalemme“ besucht. Berühmt ist dieses Gotteshaus unter anderem wegen des sog. „Titulus“, der dort zu sehen ist, ein Fragment jener Holztafel über dem Kreuz Jesu, auf dem stand: „Jesus aus Nazareth, der König der Juden“. Archäologen haben viele Hinweise gefunden, die für die Echtheit dieser Tafel sprechen, eins von vielen Beispielen, mit denen die jüngere archäologische Forschung auf oft höchst erstaunliche Weise die historische Zuverlässigkeit der Evangelien bestätigt. Gegenüber mancher inzwischen veralteten Exegese müssen wir uns wohl wieder neu daran gewöhnen, das Neue Testament nicht nur als Heiliges Buch der Christenheit, sondern auch als historische Quelle ernst zu nehmen.

Was hat es mit dem Titulus auf sich? Bei den Römern war es üblich, die „causa poenae“, den Verurteilungsgrund, auf eine Tafel zu schreiben und beim Ort der Urteilsvollstreckung aufzustellen oder sie gar zuvor dem Verurteilten auf seinem Weg zur Hinrichtungsstätte um den Hals zu hängen.

Was die Tafel Jesu betrifft, hat der jüdische Theologe und Historiker Schalom Ben-Chorin auf ein höchst interessantes Detail aufmerksam gemacht. Nach Johannes war der Strafgrund in drei Sprachen verfasst: lateinisch, griechisch und hebräisch. Auf hebräisch war folgendes zu lesen: Jeschu(a) Ha-Nozri W(e)Melech Ha-Jehudim. Die vier Anfangsbuchstaben dieser Wortfolge ergeben das sog. Tetragramm JHWH, den unaussprechlichen Gottesnamen, den zur Zeit Jesu kein Jude auszusprechen wagte.

Auf diese Weise waren tatsächlich beide Verurteilungsgründe angegeben, die in den zwei Prozessen gegen Jesus eine Rolle spielten: Vor dem jüdischen Hohen Rat führte zur Verurteilung der religiöse Grund: Jesus hatte sich Gott gleich gemacht und so auf eine Stufe mit JHWH gestellt, eine Gotteslästerung, auf die nach jüdischem Recht die Todesstrafe durch Steinigung stand (wie beim hl. Stephanus). Da die Römer sich aber die Blutgerichtsbarkeit vorbehalten hatten, musste Jesus zur Vollstreckung der römischen Behörde übergeben werden, sprich dem Statthalter Pilatus. Diesen interessierten irgendwelche innerjüdischen Glaubensstreitigkeiten nicht im Geringsten; empfindlich reagierten die Römer allerdings auf Aufruhr. Um zum „Erfolg“ zu kommen, musste also ein politischer Grund vorgeschoben werden. Den fand man in der Behauptung, Jesus wolle sich zum König der Juden machen. Das hätte Aufstand gegen den Kaiser in Rom bedeutet und zog daher die römische Todesstrafe, also die Kreuzigung, nach sich. Natürlich durchschaute Pilatus das durchtriebene Spiel, war aber zu feige, sich durchzusetzen, weil er eine verleumderische Anklage gegen sich und damit den Verlust seines einträglichen Postens befürchtete.

Übrigens wollten die Juden Pilatus bewegen, den Text des Titulus zu ändern und zu schreiben: Jesus habe gesagt, dass … Die Antwort ist kurz und bündig: Geschrieben ist geschrieben; denn Pilatus wusste genau, dass Jesus das nie von sich behauptet hatte. Und so sehen wir hier die „List“ Gottes mitten in den schändlichen Machenschaften der Menschen. Denn unversehens wird so aus der Anklage ein Bekenntnis: Jesus von Nazareth ist der König der Juden, ja noch mehr: er ist Jahwe selbst, Gott, der als Menschgewordener am Kreuz für uns alle den Schmachtod erlitt.

Blicken wir nun von hier aus 33 Jahre zurück und versetzen uns in die Kammer einer jungen Frau namens Maria in Nazareth. Über diesen am Kreuz Hängenden war ihr damals gesagt worden: Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben. (Lk 1,32f) Mit anderen Worten: ihr Kind wird ein König sein, in dieser Erwartung hat Maria ihn empfangen und geboren, so überliefert es uns Lukas zu Beginn seines Evangeliums.

Vor diesem Hintergrund kann das, was er uns am Ende erzählt, nur wie ein Hohn auf diese Verheißung klingen: der Thron ist das Schmachkreuz, eingerahmt ist dieser Spottkönig von wirklichen Verbrechern, statt Huldigung empfängt er den beißenden, mitleidlosen Spott der Vorübergehenden.

Wie unendlich anders sind Gottes Wege als die der Menschen, kann man da nur ausrufen. Die Erfüllung der Verheißung kann der Mensch nicht vereiteln; aber auf welchem Weg erfüllt sie sich! Nur indem die Allmacht selbst – aus Liebe – den Ort einer restlosen Ohnmacht aufsucht. Allein so wird sie wahr – im Durchgang durch das Kreuz. Auf diese und keine andere Weise wird nach Gottes Willen die Macht seiner Liebe, die Macht seiner Versöhnung, die Macht seiner Barmherzigkeit mitten in einer unbarmherzigen Welt aufgerichtet.

Aber etwas von dieser wahren Macht schimmert schon am Kreuz durch, davon ist einer der beiden Verbrecher Zeuge. Wir wissen nicht, welche Untaten sie begangen haben. Sicher etwas Schwerwiegendes, sonst hätte nicht der Eine von ihnen frank und frei erklärt: Wir haben es verdient, wir hängen zu Recht hier.

Irgendetwas muss ihm aber an Jesus aufgefallen und ihm durch und durch gegangen sein: die Hoheit, mit der Jesus das Leid trug; dass er nicht fluchte, verfluchte, sondern vergab: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Vielleicht hatte er ihn auch schon einmal früher erlebt, gehört, gesehen. Jedenfalls muss er noch mitten im elenden Zustand Jesu eine Majestät, eine Würde, ein Ausstrahlung wahrgenommen haben, die ihn zum Glauben an Jesus führte. Und so besitzt er die Kühnheit zu bitten: „Jesus, denk an mich …“ Mehr traut er sich nicht zu sagen. Er hat nichts, aber auch gar nichts vorzuweisen, kann nichts mehr gut machen – und dennoch genügt Jesus dieses „Denk-an-mich!“.

Seine Antwort: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein. Entscheidend ist das Mit-mir. Das Mit-Jesus-Sein ist unabdingbar, damit das Paradies Paradies sein kann. Dieses Paradies beginnt aber nicht erst jenseits des Todes, sondern schon hier und jetzt. So dürfen auch wir uns angesprochen fühlen im Wort Jesu: dass nämlich das Paradies schon heute jedem eröffnet, der mit Jesus lebt.

Pfr. Bodo Windolf
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